Zur Lage der Piraten vor der Wahl

Piraten. Wenn „das Medium ist die Botschaft“ die Botschaft ist

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Warum bei der allseits angeratenen Themenfindung Vorsicht geboten ist und ein elektiver Meinungsmutismus durchaus empfohlen werden kann.

Es war so schön still geworden um Deutschlands Shootingstar unter den Parteien, dass man schon Normalität und „politischen Alltag“ zu unterstellen begann. Der irgendwann dann doch nervende Keine-Ahnung-von-gar-nichts-Charme war noch nicht ganz zur Pose bzw. zum Claim einer claimhassenden Klientel geworden, die NRW-Fraktion arbeitete sich ein (statt in jedes Mikrofon zu schalmeien, man arbeite sich ein), und die Frage, wo Transparenz aufhört und Selbstdarstellung anfängt (und ob es eine grundsätzliche Begünstigung des letzteren durch ersteres gibt), schien erst einmal vertagt.

Man irrte sich.

An sich hat es sich, wenn ein neuer politischer Mitbewerber zur Strecke gebracht werden sollen, bewährt, ihm zu attestieren, er habe einen wichtigen Weckruf geleistet. In diesen Sinne: Das Thema „Internet“ wurde auf die Agenda gebracht, und nun ist es gut. Der Wecker hat geklingelt. Peter Altmeier twittert, Alexander Dobrindt trägt Brille, Ursula von der Leyen wird sich künftig beim Simulieren politischen Handelns mehr Mühe geben als bei ihrem „Kampf gegen Kinderpornografie“ und Bärbel Höhn wird nie wieder vor laufender Kamera entrüstet sagen, sie „lese auch Internet“.

Und von jetzt an ist es Sache der etablierten Parteien, die vagen Visionen und überfallartigen Forderungen marktfähig zu machen. Wie bei den Grünen, deren Ideen ja auch dann erst vollständig umgesetzt werden konnten, nachdem sie von der politischen Konkurrenz geldförmig gemacht worden waren.

Hier liegen zwei Denkfehler vor. Erstens: Die Grünen existieren noch, sind stabiler denn je, ihr einstiger Rigorismus zählt in der Wählergunst mehr als die rabiat-zögerliche Umsetzung bei der „Energiewende“. (Zwar heißt es immer, die Rechte beginne mit Resignation, die Linke ende mit ihr, aber seit Fukuschima ist es offenbar umgekehrt – ein Paradigmenwechsel der ganz besonderen Art.)

Der zweite Fehler: Es sind nicht die wohlwollend-herablassenden Reaktionen der politischen Konkurrenz, die den Sinkflug der Piraten verursachen; den besorgt man derzeit selbst. Und der Protest nomadiert weiter.

Was ist zu tun? Ein geordneter Rückzug (um nicht von “Liquidierung“ zu reden)? Oder – warum eigentlich geordnet? – ein ungeordnetes, das Scheitern abfeierndes Ende? Party-is-over als Party, wie bei der Vorgängerblase, wo auch so manche Insolvenz betanzt und sektlaunig wegjubiliert wurde? Nach dem Crash ist vor dem Crash? Als sympathischer, erfrischend chaotischer Abgang einer sympathischen, erfrischend chaotischen Truppe, bei der künftig wieder jeder seiner virtuellen Wege geht?

Oder doch endlich Themen generieren?

Streng genommen war der Beginn ja durchaus themenhaltig. Neben dem obligatorischen Internet und „Wlan für alle“, gab es u.a. noch: Cannabis für alle, bedingungsloses Grundeinkommen für alle. Und natürlich – der Gipfel der Alligkeit - Transparenz.

Alles in allem sind das doch schon mal drei Themen und somit zwei mehr als es FDP-Sitte ist.

Gehen wir die Forderungen mal durch.

1) Bedingungsloses Grundeinkommen

Wer mal durch den digitalen Äther gesegelt ist oder eine re:publica besucht hat, stieß immer wieder auf Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens, das seine Hippness sicherlich auch aus dem Umstand bezog, dass mit Götz Werner nicht irgendein Philosoph, Gutmensch oder sonstwie dem „wirklichen Leben“ abhanden gekommener Elfenbeinturmbewohner, sondern der Chef einer auch noch bestens funktionierenden Firma, es nicht nur „irgendwie gut“ fand, sondern auch gegenrechnete. Und bei DM darf man sogar, glaubt man u.a. Wegreen, guten Gewissens einkaufen (sieht man von der notorischen Beschaffungskriminalität ab).

Zwar bleibt ein ungutes Gefühl - die Verwaltung derer, die das System nicht braucht (die sog. „Surplusmenschen“), auf veritablem finanziellen Niveau kann auch eine besonders perfide Exklusion derer sein, die das System (trotz oder wegen ihrer Alimentierung) immer noch nicht braucht – aber eine gewisse Chatroom-Credibility ist unbestreitbar.

2) Cannabis

Hat den Vorteil, immer noch ein bisschen skandalös zu sein. Ein besonderer Clou besteht vielleicht darin, dass so schon ein Ansinnen der „Mutterpartei“ lautete, das nur nie umgesetzt wurde, und so schafft man es, sich zugleich anzuhängen und abzusetzen: Die Grünen hatten z.T. die richtigen Ideen, sind aber mit den fetten Jahren zu träge geworden, sie umzusetzen; in dem Maße, in dem es immer leichter möglich gewesen wäre, stieg auch die Unlust - was sicherlich auch an der „Neuen Mitte“ lag, der man sich (mit Erfolg) anzudienen versucht hatte und die man nun nicht durch einen derartigen Unfug verprellen durfte.

3) Transparenz

Klingt erst mal logisch und wie die Forderung nach Wlan so Internetzwangsläufig, dass niemand auf die Idee kommt, es könne sich hier um einen Geburtsfehler handeln. Lag außerdem in der Luft: Stuttgart 21. So konnte man sich in einen bestehenden Diskurs einklinken, der den Vorteil hatte, nicht allzu nerdig zu sein, und es bestand die Möglichkeit, Leute anzusprechen, die „mit dem ganzen Internetkram“ nichts am Hut hatten.

Alle drei Themenbereiche, so lässt sich’s fürs Erste festhalten, erwiesen sich als hypebegünstigend – auch weil sie an Stimmungen anknüpften, die irgendwie da waren. Und das nicht in irgendeinem ominösen virtuellen Raumzeitkontinuum, sondern im „ganz realen Leben“.

Blieb die Frage: Wie weiter?

Tiefe statt Weite. Und: Die Toten sollen die Toten begraben.

Formal-piratig – und eben vor allem transparenzverströmend – schien es zu sein, zu den restlichen Themen die Meinung der Community einzuholen, um die ganze Palette von Afghanistan bis Zuwanderung abdecken zu können. Vielleicht wäre es aber besser gewesen, genau das nicht zu tun und Zurückhaltung zu üben. Und sich die Frage vorzulegen, was bspw. am „nein“ zum Afghanistankrieg priatiger ist als am „ja“. Oder ob vielleicht erst der Umstand piratig ist, dass genau diese Frage bis auf weiteres nicht beantwortet werden kann (und zwar nicht wegen der Keine-Ahnung-Attitüde, sondern aus einer grundsätzlichen Negierung heraus: man möchte sich keine Meinung zu Situationen aufzwingen lassen, zu denen es mit den Piraten erst gar nicht gekommen wäre).

Hier ließe sich wiederum von den Grünen lernen: Die hatten ihre bescheidenen Kernthemen (Ökologie und Frieden schaffen ohne Waffen), mit denen man es auch jahrelang bewenden ließ, und wurden erst mit der Zeit fähig, bei auftauchenden Problemen in aller Ruhe die grünstmögliche Lösung zu finden. Mit jeder Not kam auch was Rettendes. Okay, es kam auch Joschka Fischer, aber indem die Kernthemen der ursprünglichen Splitterbewegung immer weiter in die Mitte wanderten, wurde aus der schicken Randlage (nach der sich nicht Wenige zurücksehnen), besagte „Neue Mitte“. Der Öko zog seinen Strickpullover aus und existierte fortan nur noch in der billigen Polemik der Golffahrergeneration.

Also Geduld. Und möge sich der genussvoll vorgeführte Widerwille gegen den ewighohlen Politjargon zu einem Widerwillen gegen die ewiggleichen Themenagenden hin entwickeln. Vielleicht sind die Piraten die Partei, die mehr für künftige (bzw. in der Gegenwart noch unscheinbar daherkommende) Probleme, Fragen und Möglichkeiten zuständig sein könnte. Sollen die Toten die Toten begraben, und wenn es länger braucht, eine verbindliche Piratenmeinung zu Afghanistan zu entwickeln als ein geordneter Truppenabzug dauert, dann ist das eben so. In der gleichen Zeit wird im Internet so viel passieren, dass man sich über mangelnde Beschäftigung nicht wird beklagen können, weil ja andauernd was geschieht in diesem unvergleichlichen, mehr oder weniger vorgängerlosen Medium.

Und vielleicht waren die Gründungsthemen ja doch weniger zufällig (und lediglich erfolgbegünstigend), als die bisherige Abhandlung uns glauben machen will und es gäbe etwas Gemeinsames; eine ausbaufähige Schnittmenge: Nur – was könnte das sein? JEKAMI? Jeder kann mitmachen?

Gehen wir die Punkte von eben noch mal durch.

1) Bedingungsloses Grundeinkommen

Götz Werner, der vermutlich prominenteste bGE-Verfechter, setzt bei der Überversorgtheit hierzulande an. Den Beweis sieht er übrigens in der raschen flächendeckenden Versorgung Ostdeutschlands nach der Wiedervereinigung mit allem, was der verwöhnte Mitteleuropäer braucht (und vor allem: nicht braucht). Für ihn eine Frage der Technik. Immer weniger Leute können aufgrund der immer besser werdenden Produktionsmittel immer mehr herstellen. Arbeit wird effizienter und tendiert letzten Endes zur Werksnormierung. Managementfehler sind in diesem Sinne der dauernde Verzicht aufs Bestmögliche. Was sich, grobdarwinistisch, in Insolvenzen niederschlägt, wodurch die, die es besser machen, noch einmal zusätzlich profitieren. Dies bedeutet eine grundsätzliche Schrumpfung der Wirtschaftstreibenden, weil die jeweils neuen Effizienzstandarts es immer schneller (und dank des siebenmeilenstiefelnden Internets fast in Echtzeit) möglich machen, dass bessere Produktionsmittel nach einer (immer kürzer werdenden) Einführungsphase allen Wettbewerbern zur Verfügung stehen – und die stehen sich dann im Weg. Mehr Technik bedeutet so nicht nur weniger Arbeit für alle, sondern auch zügigere Ausmerzung derer, die sich nicht auf dem neuesten Stand der Produktionsmöglichkeiten zu bedienen wissen. Individuelles Gewurschtel ist zunehmend over. Dadurch werden Kapazitäten frei. Gesellschaftliche Teilhabe ist nicht mehr an Lohnarbeit gekoppelt. („Jeder Mensch ist systemrelevant.“) Und das schafft (neben neuen Ängsten und Abusiegefühlen) Freiräume und Möglichkeiten. Zugleich entstehen immer mehr gesellschaftliche Aufgaben („demografischer Wandel“), die aus der Produktions- und Gewinnmaximierungslogik ausgelagert und auf der Basis von bGE neu organisiert werden können.

2) Cannabis

Auch hier waltet das JEKAMI-Prinzip. Jeder kann mitzüchten. Problem nur: Es gibt eine Tabaklobby und eine Alkohollobby, die daran interessiert sind, „gute Drogen“ von schlechten zu unterscheiden (so wie das Christentum ja auch den Sektenbegriff erfand, um damit die eigene Rechtgläubigkeit zu zementieren) – der Selbstversorger wird kriminalisiert. Wenn hingegen jeder auf seinem Balkon das züchten darf, was er zum gelegentlichen Selbstverlust braucht, dann bedeutet auch dies: Wir haben, was wir brauchen und verschwenden zu viel Zeit, Energie und Arbeit mit Restriktionen.

3) Transparenz

Seit Luhmann weiß man, dass Begriffe nur dann aussagemächtig sind, wenn ihr Gegenbegriff dies ebenfalls ist. Er führt das am Begriff der „Risikogesellschaft“ vor, dessen Antagonist „Sicherheit“ aber im strengen Sinne keiner ist, da es Sicherheit nicht geben kann. Es handelt sich also um einen „Universalbegriff, der nichts ausschließt, sondern nur im Kontext seiner selbst wirkt“. Wie ist es diesbezüglich um „Transparenz“ beschaffen? Und was hält unsere Sprache für das bereit, was nicht Transparenz ist?

Es fällt einem nur Intransparenz ein. Und indem man ein „in“ davorknallt, entsteht natürlich keine Gegengewichtigkeit. Ein Präfix ist eben deshalb nur ein Präfix, weil es vor dem „fix“, dem Festen, Eigentlichen steht. „Prä“ verhält sich zu „fix“ wie „Vor“ zu „Haut“ – hinsichtlich seiner Bedeutungsmacht eher beschnitten.

In der Tat ist der öffentliche Wunsch nach „Transparenz“ weder neu noch polarisierungsmächtig. Zwar ist sie nicht verwirklicht, aber sie wird derart beflissen von allen politischen Beteiligten gewünscht, dass Überparteilichkeit die verdiente Strafe ist. Auch die Macher von Stuttgart 21 reklamieren für sich, es habe ja öffentlich ausgehängte Planfeststellungen gegeben, nur habe sich niemand dafür interessiert. Anders gesagt: „Transparenz“ ist so bedeutungszerschlissen wie “Freiheit“.

Ein weiteres Problem unspezifizierter Begriffe besteht darin, dass jeder sich ans Definieren macht und somit eine Flut von „eigentlichen Bedeutungen“ in Umlauf gebracht wird.

Transparenz heißt wörtlich „durchscheinen“, bedeutet folglich Durchsichtigkeit und Gläsernheit und eben nicht: jeder kann mitmachen. (Sondern sozusagen: mehr durchscheinen als durchseinen.)

Vom Fluch und Segen der Niedrigschwelligkeit

Also doch wieder: Politik den Politikern? Nur mit „ein Stück weit“ Abgeordnetenwatch? Zuckergusspartei? Was einmal mehr an „Die Grünen“ gemahnt, die bei Hartz mitmachten - aber dann bitte mit etwas Ökodressing?

Nun muss die Grenze zwischen „Parteibasis“ und „Politikern“ nicht gleich so undurchlässig sein, dass eine sprachliche Zweiteilung in „Parteibasis“ und „Politikern“ unvermeidlich wird, aber es könnte sinnvoll sein, auch hier liquide zu verfahren und bspw. dem Schwarmgewimmel Administratoren zuzuordnen, die mit stets offenem Ohr (bzw. Account) einsammeln, sortieren, zusammenfassen und einfürallemalisieren: So durchlässig wie möglich, so ausschluskriterienhaltig wie nötig.

JEKAMI: Von der Methode zum Inhalt

Indem nämlich viel Energie
und öffentliche Kommunikation auf die Methode gerichtet wurde (und indem sich jeder Quatschantragstellerzugutehalten kann, er bediene die Vielfalt seiner Partei), ging ein nicht nur wichtiges, sondern vor allem eben auch piratiges Anliegen verloren: Wie gehen wir mit einem Medium um, bei dem jeder mitmachen kann? Bei dem Mitredenkönnen so einfach, der Kommunikationseinstieg so niedrigschwellig ist wie nie zuvor? Wo liegen die Chancen, wo die Risiken?

Zeit, aus der Methode endlich ein Thema zu machen.

Oder auch hier liquide zu verfahren und also aufs starre Entweder-oder zu verzichten: halb Methode und halb Thema.

Hier ist ein letztes Moment-mal! angebracht: Da wurden nun also drei Themen zu einem einzigen kerngeschmolzen und heraus gekommen ist etwas, das man auch „Internet“ nennen könnte. Ist der langen Rede Sinn nicht doch etwas sehr kurz? Und reicht es nicht, diese demonstrativ abgelenkten Typen in den Talkshows zu sehen, deren Getwitter und knapp an der temporalen Direktive vorbeischrammendes Echtzeitgetue mittlerweile mindestens so nervt wie der komplette Rest?

In der Tat, es reicht. Allerdings sind gerade auch die Quatschanträge vielleicht eine Folge der Themenvielfaltzumutung - jeder, der etwas bei-trägt, fühlt sich willkommen, weil man ja endlich dem Ruch der Einthemenpartei entkommen zu müssen meint.

Muss man aber nicht, auch wenn man Gefahr läuft, selbst als Partei selbst liquide zu werden, d.h. zwischen vierjährigen Landesparlamentengagements und außerparlamentarischer Position zu pendeln.

Was vielleicht auch nicht das Schlechteste wäre. Nicht, damit man sich wie ein Bundesligaverein auf der nächstniedrigen Ebene „konsolidiert“ oder „zu den Wurzeln“ zurück kehrt (was bei einem eher rhizomatischen Gebilde wie der sog. Netzgemeinde ohnedies die falsche Metapher wäre), sondern so: Netzaffine Leute lernen sich über Aktionen kennen, schätzen, Kontakte verfestigen sich, und solange es EU-Vorstöße gibt, gibt es auch Erregungsbedarf. Mag sein, dass die Piratenpartei so keine Zukunft hat, mag aber auch sein, dass in der Zukunft so Politik gemacht werden muss: Anlassbedingte Zusammenschlüsse, die sich wieder auflösen, erschöpfen oder zu einem Man-könnte-ja-nochmal führen. Irgendwo zwischen der Partikularität, für die das Internet wie kein Medium zuvor steht, und Partei.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Niklas Buhmann

Selbstironie ist die schlechteste aller Umgangsformen mit dem durch sämtliche Kränkungen zersetzten "Ich" - abgesehen von allen anderen.

Niklas Buhmann

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