Die Bevölkerung wird flächendeckend überwacht, Staatsoberhäupter werden ausspioniert, Freiheitskämpfer als Terroristen denunziert. Kommt einem bekannt vor? Findet sich in Friedrich Schillers Don Karlos; das über 200 Jahre alte Stück ist ein Drama unserer Zeit. Und zwar nicht nur, weil die berühmten Worte des Marquis von Posa – „Geben Sie Gedankenfreiheit“ – uns so aktuell erscheinen, sondern auch, weil man die Machtlosigkeit von Schillers Held nachempfinden kann. Die oftmals unterschlagene Pointe des Stücks besteht nämlich darin, dass am Ende der Großinquisitor, seinerseits Chef eines monströsen Geheimdienstes, verkündet, dass der Bürgerrechtler Posa nie eine Chance hatte: „Sein Leben/ Liegt
Leben/ Liegt angefangen und beschlossen in/ Der Santa Casa heiligen Registern. […] Das Seil, an dem/ Er flatterte, war lang, doch unzerreißbar.“Der Apparat siegt über das Individuum. Angesichts des staatlich-postindustriellen Komplexes, dessen Wille zum Wissen vor keinem Halt macht, kann einen heute ein ähnlicher Fatalismus beschleichen. Denn ob das Internet nun „kaputt“ ist (Sascha Lobo) oder nicht: der Weg in die postdemokratische Überwachungsgesellschaft ist eingeschlagen. Die Frage ist nur noch, ob es eine Reset-Taste gibt. Genau deshalb sollte man der Bundeskulturstiftung danken, dass sie zur Konferenz „Einbruch der Dunkelheit – Theorie und Praxis der Selbstermächtigung in Zeiten digitaler Kontrolle“ in die Berliner Volksbühne geladen hatte.Die Konferenz bündelte eine Menge Ansätze, aus denen politische Alternativen abgeleitet werden können. Allerdings spiegelte sich in ihr eine Eigenart, die einem auch in der Blogossphäre begegnet: Wenn zum Beispiel ein „Technoblogger“ und ein „Lawblogger“ über die Überwachung im Netz schreiben, fallen Problembeschreibung und Lösungsansatz doch sehr verschieden aus. Ökonomische, juristische, individualpsychologische und technologische Diskurse sind nur bedingt ineinander übersetzbar. Es gibt keine Supersprache im Sprechen über das Internet. Damit muss man dann wohl leben und sich das Beste aus den einzelnen Ansätzen ranziehen.Daten wie FinanzprodukteEinen ökonomischen Zugang wählte Evgeny Morozov. Mit markigen Worten wandte sich der pouläre Medienwissenschaftler gegen ein „intellektuelles Ghetto“ von Netzaktivisten, die am Problem vorbei diskutierten. Die Forderung nach Datenschutz und De-Amerikanisierung der digitalen Infrastruktur reiche nicht aus. Werden die von Amazon & Co gesammelten Daten wie Finanzprodukte gehandelt, müsse man sich eher mit dem Kapitalismus als mit den Verschlüsselungstechniken beschäftigen. Statt lauter Privacy-Tools zu programmieren, bräuchte es einen politischen Gegenentwurf zur Marktlogik. Indem Morozov darauf insistierte, dass NSA und Silicon Valley eben nicht nur Ursachen, sondern gleichzeitig auch Konsequenzen unserer Probleme sind, legte er einmal mehr den Finger in die Wunde.Andererseits ist es ärgerlich, dass seine Neoliberalismuskritik immer so vage bleibt, dass man nicht weiß, ob er nun eher Commons oder Kommunismus meint, und unbefriedigend bleibt auch, dass Morozov implizit jene Idee des Old-School-Marxismus’ recycelt, wonach die Umwälzung der Produktionsverhältnisse auch alle „Nebenwidersprüche“ auflöse. Ebenso missfiel seine schematische Trennung von Technik und Politik. Die Künstlerin und Hackerin Eleanor Saitta monierte zu Recht, dass Technikdiskurse immer auch politisch sind, weil sie die ihr zugrunde liegende Systemlogik mitverhandeln. Einfaches Beispiel: Das Online-Shopping. Allein die Tatsache, dass man bei seiner Bestellung Vor- und Nachnamen einzugeben hat, manifestiere eine Namenspolitik, die es vielen Weltteilen vorher nicht gab. Nicht zuletzt komme den Programmierern eine eminent politische Aufgabe zu.Ähnlich argumentierte der Medientheoretiker Felix Stalder, der in seinem Beitrag die „Architektur der Anreize“ von sozialen Netzwerken beleuchtete. So habe natürlich jeder die Freiheit auf Facebook zu verzichten. Aber eben oft nur theoretisch. Erreicht ein Netzwerk eine gewisse Größe, werde man vielmehr zu einer „freien“ Entscheidung gezwungen, da eine Nicht-Teilnahme enorme soziale Kosten verursache. Das zeige sich nicht nur bei Facebook, sondern auch auf politischer Ebene, etwa bei Freihandelsabkommen: Wer nicht mitmacht, muss draufzahlen. Dementsprechend müssen Netzwerke so verfasst sein, dass Sichtbarkeit und Sicherheit keinen Widerspruch bilden. Der Ruf nach individueller Datendisziplin sei hingegen ein Irrweg, er erinnere an den Rat, dass Frauen keine kurzen Röcke tragen sollten, um einer Vergewaltigung vorzubeugen.Der Soziologe Urs Stäheli plädierte hingegen sehr wohl für eine Form digitaler Askese, indem er die (temporäre) Entnetzung einforderte. Für ihn liegt das Grundproblem in der Hyperkonnektivität; diese führt nicht nur zur sozialen Erschöpfung des Ichs, sondern auch zu Flashcrashs, also zujenen milliardenschweren, algorithmengestützten Börsenschwankungen. Stähelis Lösung: Die Entnetzungsprozesse forcieren: Entschleunigung, Camouflage, „Notworking“.Aber gibt es wirklich keine andere Mölichkeit, der Überwachung zu entkommen, als das Netz links liegen zu lassen? Vielfach wurde die Dezentralisierung der technischen Infrastruktur ins Spiel gebracht. Wenn die Daten auf dem eigenen Server liegen, lässt sich selbst bestimmen, wer auf sie Zugriff hat. Obschon auch Frank Rieger, der Sprecher des Chaos Computer Club, eine Dezentralisierung befürwortete, wies er auf Fallstricke hin: Wer ist eigentlich Ansprechpartner in einer dezentralen Struktur bei konkreten Problemen, etwa den Hackern? Der Philosoph Robert Pfaller zeigte sich wiederum als gewiefter Dialektiker und gab zu bedenken, dass sich die Dezentralisierung als Feigenblatt bestehender Quasi-Monopole erweisen könnte. So wie auch Charity, man denke an Bill Gates oder Warren Buffett, lediglich als Ablenkung von der Ausbeutung fungiere.Einen rechtstheoretischen Ansatz lieferte Johannes Masing. Um deutliche Worte nicht verlegen, konstatierte der Bundesverfassungsrichter, dass die Demokratie erodiere, da die Macht nicht mehr bei den Bürgern, sondern den Konzernen liege. Er erinnerte daran, dass staatliches Handeln zunächst immer öffentlich sei, sodass Ausnahmen einer guten Begründung bedürften. In diesem Zusammenhang umriss er die Aufgaben einer idealen Geheimpolizei. Zum einen sei sie eben gar keine Geheimpolizei, sondern „nur“ Informationsdienst der Politik. Zum anderen müssten nicht nur ihre Aufgaben und Befugnisse, sondern im Sinne einer „Transparenz der Intransparenz“ auch der Umfang der Geheimhaltung präzise bestimmt werden. Schließlich bräuchte es eindeutige Regelungen zur Kooperation mit ausländischen Diensten, nicht zuletzt weil ihr Auftrag auch den Schutz der Bürger vor letzteren einschließe.Ganz analoge PraktikDer Philosoph Volker Gerhardt rekurrierte in seinem Referat über die Öffentlichkeit des Subjekts ebenfalls auf die Notwendigkeit kollektiver Rechtssetzung zur Verteidigung errungener Freiheiten. Denn, so zitierte er einen „schrecklich-schönen“ Satz Michel de Montaignes: „Nur was wirklich gut ist, lässt sich auch missbrauchen.“ Wie schon ganz simple Gesetzesänderungen helfen könnten, verdeutlichte Piraten-Politikerin Anke Domscheit-Berg. Sie schlug vor, dass AGBs, die selbst Verfassungsrichter Masing nicht zu lesen zugab, verständlich formuliert und nicht zu lang sein dürften.Schließlich kreiste die Konferenz um die schwierige Frage nach den ganz persönlichen Möglichkeiten der Selbstermächtigung. Das ist schwierig, weil einerseits ja tatsächlich jeder einzelne zum Handeln aufgefordert ist, Individuallösungen andererseits unter dem Generalverdacht der Wirkungslosigkeit stehen. In Anlehnung an den von der Politikwissenschaftlerin Jodi Deans geprägten Satz: „Goldmann Sachs ist es egal, ob du Hühner züchtest!“, stellt sich also die Frage: Ist es der NSA egal, ob du verschlüsselst?Der Hacktivist Jacob Appelbaum und die Piraten-Politikerin Marina Weißband verneinten dies. Weißband verwies auf eine Bemerkung Edward Snowdens, wonach die Geheimdienste die Daten nicht sammeln, weil es nötig, sondern weil es billig ist. Dementsprechend ließe die kryptologische Selbstverteidigung die Kosten der NSA in die Höhe treiben. Zur Frage, ob und wann es Verschlüsselungsverfahren gibt, die so effektiv wie einfach wären, haben indes beide nichts gesagt.Appelbaum, der en passant Typologien von Julian Assange („kompliziertes Arschloch“) und Wikileaks-Aktivistin Sarah Harrison („Sie ist der Grund, warum Snowden noch lebt“) lieferte, wandte sich zudem gegen Fatalismus, Chelsea Manning habe ja gezeigt, wie einfach man die Welt verändern könne. Mit einer ganz analogen Praktik: der Demonstration. Im Don Karlos gibt es übrigens eine Situation, die den Verlauf des Stücks doch hätte ändern können. Als sich die Verhaftung Karlos’ herumspricht, brandet ein Massenprotest auf. Posa hätte sich nur an dessen Spitze stellen müssen.
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