Die Ursache. Eine Andeutung

Dschungelcamp Warum das Dschungelcamp wie Fußball ist und was Larissa und Lenin gemeinsam haben. Also quasi.

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Die Ursache. Eine Andeutung

Foto: Harry Engels/Getty Images

Der Kulturtheoretiker und leidenschaftliche Kicker Klaus Theweleit hat mal die Regel aufgestellt: „Wer mitbekommt, was sich im Fußball wann und wie verschiebt, ist über andere Gesellschaftsbereiche osmotisch informiert.“ Dass dies heute in sozialwissenschaftlichen Seminaren und Kulturredaktionen meist ähnlich gesehen wird, bedurfte bekanntlich einer gewissen Eingewöhnungszeit. Gerade dort, wo Fußball lange als quasi-militaristisches Training für den autoritären Charakter firmierte, also linksaußen, musste erst ein gewisses Quantum postrevolutionärer Dekadenz einkehren, damit Helden nicht nur Blaumann, sondern auch Shorts tragen durften. „Kannten sich die Leute vor drei Jahrzehnten“, so schrieb Theweleit im Jahr 2006, „noch bestens in den diversen chinesischen Wegen zur deutschen Revolution aus, kommentieren sie heute versiert die Verschiebungen der fußballerischen Gemengelagen. Zidane wäre dann so etwas wie der aktualisierte Lenin, ein unverfänglicherer zumal.“ Wer nun um den Innovationsdruck kultureller Deutungsmuster weiß, den kann kaum überraschen, dass die feuilletonistische Nobilitierung des vermeintlich Abjekten beim Fußball keinen Halt macht. Dieser Tage lässt sich abermals beobachten, dass das Dschungelcamp, vormalig eine Art Mickie Krause der deutschen TV-Shows, in puncto Diskursfähigkeit mindestens gleichgezogen hat. Und das natürlich vollkommen zu Recht.

Die Hölle, das sind die anderen

Aus psychosozialer Perspektive ließe sich nämlich zum einen sagen: Wo Es war, sollen Dschungelcamp-Zuschauer werden. Ist Gesellschaft nichts anderes „als eine von medial induzierten Stress-Themen in Schwingung versetzte Sorgengemeinschaft“ (Peter Sloterdijk), muss das Dschungelcamp als die vielleicht avanciertste Form des sozialen Schmiermittels verstanden werden. Hat man das verinnerlicht, wird en passant auch deutlich, dass all die verschnarchten Suhrkampsektierer, die sich der obligaten RTL-Dosis nach wie vor verweigern, nicht etwa von bildungsbürgerlichem Distinktionswillen, sondern lediglich von anti-sozialen Affekten getrieben werden. Zum anderen macht die aktuelle Staffel von Ich bin ein Star, holt mich hier raus aber auch markant, dass hier weit mehr geboten wird als existentialistisches Bauerntheater („Die Hölle, das sind die anderen“). Nein, nein. It's bigger than you. Dschungelcamp ist politisches Reflexionsmedium at it's best, gewissermaßen eine Bricoulage aus Balzac und Franz-Josef Wagner. Das zeigt sich beispielsweise daran, dass hier die Fortsetzung der NSA-Affäre mit anderen Mitteln betrieben wird. Und zwar in dem präzisen Sinn, dass ebenso deutlich wird, dass die einzig plausible Lesart des Realen im Modus der Verschwörungstheorie besteht. Waren es bekanntlich jene als „Alu-Hüte“ verspottete Nerds, die schon lange vor Edward Snowden um die weltumspannenden Geheimdienstaktivitäten wussten, so verlangt die Entschlüsselung Larissa Marolts eine ähnlich unkonventionelle Denkweise. Eine Denkweise, die heute womöglich noch abgründig erscheinen mag, deren Richtigkeit die Geschichte jedoch unter Beweis stellen wird. Versucht man nämlich dem Phänomen des österreichischen (Ex-)Models auf den Grund zu gehen, greift der lapidare Vergleich mit ihren ähnlich obskur erscheinenden Vorgängern – Daniel Küblböck, Georgina Fleur oder Sarah Knappik – bei weitem zu kurz. Er unterschlägt nämlich, dass Larissa, medientheoretisch gesehen, eine völlig neue Qualität verkörpert. Wo andere Querulanten lediglich den millieutypischen Mix aus Hysterie und Eitelkeit, gepaart mit der notwendigen Differenz von Fremd- und Selbstwahrnehmung versprühten, legt sie eine Dynamik der permanenten Eskalation an den Tag, die mit dem Verdacht der bloßen Selbstinszenierung nicht vollständig erfasst werden kann. Dafür ist ihre Formatkompatibilität einfach zu perfekt. Diese virtuose Mischung aus Arroganz und Weinerlichkeit, Dreistigkeit und Hilfsbedürfnis, lethargischem Verlierertum und manischen Aktivismus, Stumpfheit und Schläue, die Kombination aus Bartleby (I prefer not to) und Medea (Bin ich vielleicht angepisst), ruraler Bodenständigkeit („Zum Glück bin ich am See aufgewachsen“) und urbaner Freshness („Ich komme gerade aus New York“), es passt einfach zu gut. Und, come on: Auf die Idee, eine Dschungelprüfung zu unterbrechen, um den als Requisite postierten Champagner zu köpfen, darauf kommt doch keiner! Eine Kärtnerin von diesem Format, das hätte sich nicht mal Thomas Bernhard ausdenken können.

Die Schläferin aus Klagenfurt

Deshalb kann die einzig sinnvolle Erklärung dieses Phänomens darin bestehen, dass es sich bei Larissa um eine langfristig angelegte Verschwörung des Privatfernsehens handelt, eine Schläferin, eine blonde Witwe im Auftrag von RTL. Vermutlich bereits in frühster Kindheit als Zielobjekt auserkoren, wurde sie, zumindest aller Wahrscheinlichkeit nach, fern der Zivilisation, Klagenfurt (sic!), in diversen Trainingscamps für den finalen Einsatz ausgebildet. Künstlich zur C-Prominenz aufgebaut, schleicht sie unter den wachsamen Augen des Kölner Hauptquartiers zunächst - relativ - unauffällig den Boulevard of Broken Dreams entlang, um sich punktgenau für den australischen Urwald zu qualifizieren. Und dann lässt man die Bombe platzen. Der agent provocateur hysterisiert die Massen, der Plan ist aufgegangen. Bazinga! Dafür sprechen zumindest alle Indizien. Also jetzt mal ernsthaft, oder was?

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