Wo die Euro-„Rettung“ ganze Staaten ökonomisch zu erdrosseln droht, flüchten viele in den Galgenhumor. Und warum auch nicht? Der Humor, so heißt es bei Sigmund Freud, „ist trotzig, er bedeutet nicht nur den Triumph des Ichs, sondern auch den des Lustprinzips, das sich hier gegen die Ungunst der realen Verhältnisse zu behaupten vermag“. Der Psychoanalytiker sagt also, was Volksmund immer schon sagte: Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Und womöglich ist Humor noch mehr. Folgt man dem legendären sowjetischen Literaturwissenschaftler Michail Bachtin, kann das Lachen einen revolutionären Funken entzünden. Großen gesellschaftlichen Umbrüchen gehe zunächst die „Karnevalisierung des Bewusstseins“ voraus. F&
Für einen Moment reiße das Lachen die sozialen Hierarchien ein, um die Lügen der Machthaber mit der sprichwörtlichen „Narrenwahrheit“ zu konfrontieren.Lachen als Mittel des politischen Widerstands? Lächerlicher Gedanke! Zumindest wenn man dem deutschen Feuilleton glaubt. Hier erfährt man regelmäßig, wie schlecht es um den deutschen Humor bestellt ist. Stumpf ist Trumpf. Wie kürzlich die Zeit herausfand, lacht die Nation mit Mario Barth, Cindy aus Marzahn und Atze Schröder so vulgär, dass noch der letzte Rest Bürgerlichkeit abfällt. Die Veteranen des politischen Kabaretts fallen in diesem Gejohle nicht weiter auf. Sie verwalten ihr ergrautes Stammpublikum in den Nischen des öffentlich-rechtlichen Nachtprogramms.So wohlfeil kulturkritisch diese Diagnose daherkommt, so windschief ist sie. Zum einen hat in der deutschen Lachkultur schon immer die Zote regiert. Natürlich sind Mario Barths Witze dämlich. Die von Didi Hallervorden waren es aber auch. Dem politischen Kabarett Trauerkränze zu flechten, scheint zum anderen aber auch mehr eine Art journalistische Beschäftigungstherapie zu sein. Man mag zwar tatsächlich darüber streiten, ob aus der Anstalt wirklich noch Neues kommt oder Volker Pispers nicht langsam zum antikapitalistischen Fips Asmussen wird. Nichtsdestotrotz ist der politische Humor hierzulande wesentlich besser, als es der geneigte Kulturkritiker wahrhaben will. Das beweist beispielsweise nicht nur die wirklich gut gemachte Heute-Show, die ihrem amerikanischen Vorbild qualitativ immer näher kommt, sondern das zeigt sich nun auch in dem 30minütigen Online-Satire-Magazin Störsender.tv.Keine falschen RücksichtenAushängeschild dieses so originellen wie engagierten Projekts, das seit dem 28. März alle zwei Wochen online geht, ist kein geringerer als Dieter Hildebrandt. Mit 85 will es der Doyen des deutschen Kabaretts nochmal wissen. Dabei mangelt es ihm eigentlich nicht an Beschäftigung. Seitdem er 2003 den Scheibenwischer verließ, den er 1980 im Sender Freies Berlin (SFB) ins Leben gerufen hatte, tourt er mit seinen Lesereisen durch die Republik. Bis zu 160 Tage im Jahr. Stets in ausverkauftem Haus. Doch als Stefan Hanitzsch, Sohn seines langjährigen Freundes Dieter Hanitzsch, Ende 2011 mit der Idee zum Störsender aufwartete, überlegte Hildebrandt nicht lange und sagte zu.Hanitzsch, der als freier Journalist und PR-Berater arbeitet, sollte eigentlich nur eine neue Website für Hildebrandt gestalten. Doch kaum hatten sich die beiden zusammengesetzt, waren sie schon mitten in einer hitzigen Diskussion, die von den NSU-Morden bis zur Finanzkrise reichte. Man war sich einig über die schleichende Entmachtung der Parlamente, im einen, und den Dilettantismus deutscher Ermittlungsbehörden, im anderen Fall, und so schlug Hanitzsch vor, eine Plattform zu schaffen, auf der man diesen Entwicklungen mit der Macht der Worte Einhalt gebietet. Ein Ort, an dem Zorn in Satire umgemünzt wird. Und genau das wollte auch Hildebrandt. Zorn hat er noch immer genug. Die Unvernunft und Lernresistenz von Bankern und Politikern macht ihn fassungslos. Man müsse, sagt Hildebrandt im Gespräch mit dem Freitag, doch nur einmal Kurt Tucholskys Texte aus der Weltbühne, Erich Mühsam oder Bert Brecht lesen, um zu sehen, wie sehr sich der fatale Lauf der Dinge gerade wiederhole. „Heute wird das gleiche Stück gespielt, nur das Personal ist ein anderes.“Da der Störsender volle redaktionelle Freiheit beansprucht und weder Rücksicht auf Intendanten noch auf Werbepartner nehmen will, musste man einen alternativen Finanzierungsweg suchen. Man fand ihn im Internet. Im Januar 2013 inserierte Hanitzsch das Konzept des Störsenders auf dem Crowdfunding-Portal Startnext. Die erforderlichen 125.000 Euro kamen innerhalb von nur 14 Tagen zusammen, rund 3.000 Menschen waren bereit zu spenden und sicherten mit ihrem Beitrag die Finanzierung für das erste Sendejahr. Dieter Hildebrandt trommelte derweil ein hochkarätiges Ensemble aus Freunden und Kollegen zusammen, die das Projekt ohne Gage unterstützen. Für kommende Folgen haben bereits die Kabarettisten Georg Schramm, Gerhart Polt, Frank-Markus Barwasser, aber auch der Allzweckintellektuelle Roger Willemsen zugesagt. Darüber hinaus werden mit Monika Gruber, Luise Kinseher oder Sandra Kreisler zudem auch viele Frauen dabei sein, im Kabarett sind sie ja meist unterrepräsentiert.Das klingt alles also gut, und doch fragt man sich, ob ein solches Projekt im Internet wirklich funktionieren kann. Man erinnert sich vielleicht noch an Elke Heidenreich, die sich 2009 mit ihrer Show Lesen! ebenfalls vom Fersehen verabschiedete und ins Netz ging, wo sie kläglich scheiterte. Das Interesse der Zuschauer an ihrer einst im ZDF so erfolgreichen Sendung war so klein, dass sie schließlich nach nur einem Jahr wieder eingestellt wurde.Hildebrandt und Hanitzsch beteuern, dass dieser Fall sie überhaupt nicht irritiere. Störsender.tv sei mit Lesen! einfach nicht vergleichbar. Während Heidenreich ihre vormalige Fernsehsendung eins zu eins ins Netz übertrug, ist der Störsender konzeptionell in dieses integriert. Und zwar nicht nur aufgrund des Crowdfundings, sondern auch, weil zahlende Abonnenten, die die Folgen jeweils drei Tage vor der öffentlichen Freischaltung sehen dürfen, in einem Forum die nächste Sendung mitgestalten und diskutieren können.Aber nicht nur die basisdemokratische Mitbestimmung unterscheidet den Störsender von einer konventionellen Satiresendung. Dem Selbstverständnis nach verbindet er „Kabarett, Journalismus und politisches und soziales Engagement zu einer Kampagnen-Plattform“. Ähnliches hatte Hildebrandt auch schon immer für den Scheibenwischer im Sinn. Die ARD erwies sich für seine Ideen aber als zu schwerfällig. Dass der Störsender dies nun gewissermaßen nachholt, beweist bereits die erste Folge, die in der Tat die Züge einer solchen „Kampagnen-Plattform“ trägt. Einen wesentlichen Teil der Sendung bestreitet Stefan Hanitzsch nämlich in ganz spaßfreien Gesprächen mit dem Erfurter Ökonomieprofessor Helge Peukert und dem Wirtschaftsanwalt und Occupy-Aktivisten Hans Scharpf. Solange da über das „fraktionale Reservesystem“ und die „post-autistische Wirtschaftslehre“ diskutiert wird, bleibt der Lachfaktor gering, der Informationsfaktor hingegen hoch.Obschon man vor allem Scharpfs Thesen zum Vollgeldsystem anzweifeln darf, ergänzen sich diese journalistischen Beiträge überraschend gut mit den kabarettistischen Teil der Sendung. Wenn Dieter Hildebrandt in gewohnt pointierter Manier die Zypern-„Rettung“ kommentiert, HG Butzko einen tatsächlich interessanten Einblick in die Lobbyaktivitäten des einflussreichen Finanzstaatssekretärs Jörg Asmussen gibt oder Ecco Meineke mit seiner Big Band eine neue Version von „Mackie Messer“ intoniert, ergibt das ein stimmiges Bild.Scheitern an MerkelNur an einem Sujet scheitert die erste Folge des Störsenders komplett: Angela Merkel. Nun ist die Bundeskanzlerin, von der ja berichtet wird, dass sie im kleinen Kreise einen durchaus spitzen Humor pflege, bekanntlich eine ziemlich harte Nuss für Kabarettisten. Insofern man sich nicht mit Zoten über Muttis Garderobe begnügen will, bietet das aggressive Nicht-Handeln des „Merkiavellismus“, wie der Soziologe Ulrich Beck die geräuschlose Machtpolitik der Kanzlerin bezeichnete, wenig klare Angriffsfläche. Das weiß auch Dieter Hildebrandt.Dem Freitag sagte er, dass man sich aufgrund ihrer teflonartigen Art nicht auf ihre bloße Person beschränken dürfe. „Man muss vielmehr aufzeigen, was sie nicht tut und aussprechen, was von ihr verschwiegen wird.“ Kabarett über Merkel, so setzt Hildebrandt mit einem Lachen hinzu, das sei ein wenig wie Tatort – man suche andauernd nach Beweisen. Doch in der ersten Störsender-Folge ist davon leider wenig zu spüren. Ein leidlich lustiges Lied über Angies Lächeln von Konstantin Wecker, ein uninspirierter Cartoon über die Kumpanei von Bundesregierung und Bankern und ein platter Einspieler über Merkels neues nordkoreanisches PR-Team – das ist flach und oberflächlich.Dank der Schwarmintelligenz kommt man den machtpolitischen Mysterien der Kanzlerin aber vielleicht schon in der nächsten Sendung ein wenig näher.
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