Peter Gabriel - Back to Front

Konzert Ein Konzert ist ein Konzert ist ein Konzert. Oder?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

1986 war ein wichtiges Jahr für mich. Wie wichtig es tatsächlich heute noch ist, ist eine andere Geschichte, von der ich hier nicht erzählen möchte*. Gefühlt war es im April des Jahres als meine damalige Teilzeitflamme aus Köln – ich studierte in Trier, auch das ist eine ganz andere Geschichte – mich anrief und mir sagte,. es gäbe bei Saturn CD-Spieler für um 400 Mark.

Saturn gab es damals nur in Köln, war eigentlich ein Plattenladen gewesen, bundesweit mit der größten Auswahl und einem Preisversprechen („wer Schallplatten anderswo billiger bekommt, bekommt die Differenz erstattet“), die inzwischen auch ein wenig in Elektronik machten. Immer, wenn ich in Köln war, was nicht nur der Teilzeitflamme sondern auch meinen Bekannten von Amrum, die dort zumeist Sport studierten und heftigsterweise Rote Hand rauchten, geschuldet war, musste ich dort hin und habe immer, immer-immer mindestens fünf Scheiben mitgenommen.

Zurück zur Geschichte? Wenn es denn eine gibt, zurück zum ersten Strang einer eigentlich arg verwobenen Geschichte, von der ich nur einen Teil erzählen will. Ich also mit meinem Audi 50, ja, so etwas gab es, gelb und voller Rostflecken, die nur mit brauner Rostschutzfarbe überpinselt waren, die 170 km durch die Eifel. Ich wollte dringend einen CD-Spieler haben. Ich wollte? Ich musste. Mein Leben hing davon ab. Mindestens.

Auf dem Weg überlegte ich mir, welche CD es denn wohl wert sei, meine erste zu werden. Ein Luxusgedanke, den ich mir bei den Vinyls so noch nicht leisten konnte/wollte: Ich war froh über jede Scheibe, die ich bekommen konnte. Meine erste Single war Day Tripper von den Beatles. Ich hatte mir zu Weihnachten eine Platte gewünscht und hinzugefügt: Von den Rolling Stones, bloß nicht von den Beatles. Meine Mama, die mir solch materielle Wünsche selten bis nie abschlug also zum freundlichen Plattendealer im Ort. Das war der Elektroladen. Ihr kennt das. Die mit Lampen an den Decken, das man gar nicht glauben mag, sie hält. Mit Gartengerät und Föhn und Staubsauger, Fernseher, Radiogeräte, Waschmaschinen. Alles, alles, alles. Total vollgeramscht – ich hätte dort niemals Inventur machen mögen – und in all dem versteckt auch zwei kleine Kästen mit Schallplatten. Darunter wohl auch einige englische, nur keine von den Stones. Meine Mama, Affenmusik ist Affenmusik, hat dann eben eine andere gekauft und damit einen Haken an all die Weihnachtswünsche einer Großfamilie gesetzt. So etwas nenne ich Pragmatismus.

Wo war ich? Ach ja, auf der Fahrt nach Köln und der Überlegung, welche CD denn nun …. Es wurde schließlich „So“ von Peter Gabriel. Die hatte ich zwar schon als Vinyl erstanden, wusste dennoch, dass es diese sein musste. Sie war es wert.

Den Sommer verbrachte ich auf meiner Insel, da wo ich von wech komme. Im Gepäck ein Walkman, ja so etwas gab‘s, seufz, und ein Tape mit „So. Mein Walkman war von Sony, pink. Totaaaaal schick. Und ich traf die Dame von dem *, es war der Teil des kennen lernens. Lange Spaziergänge durch die Dünen und am Strand wurden von Herrn Gabriel begleitet. Spaziergänge allein und auch zu zweit. Letztes Jahr, die anderen Teile aus dem * hatten sich gefügt, haben wir dann Karten gebucht für Peter Gabriel in der O2-World in Berlin, 19.10.2013, bei der die „So“ wieder aufgeführt werden sollte.

Samstagabend war es endlich soweit. 27 Jahre nach der Veröffentlichung, 27 Jahre nach kennen lernen, drei Jahre nach dem wieder finden und ein Jahr nach der Kartenbestellung. Wir machen uns auf mit den Öffis, kommen pünktlich am Ostbahnhof an. Ein kurzer Fußweg führt zur O2-Welt. Der Andrang ist nicht allzu groß, obgleich außer uns noch 12.998 weitere Menschen da sein sollen. Schnell noch ein Bier aus dem Rucksack eingeschenkt (da laufen wirklich Menschen mit Litern von Bier auf dem Rücken herum und plörren das in Sekunden in einen Plastikbecher) und dann geht es auch schon los. Ganz unprätentiös steht Gabriel plötzlich auf der Bühne und kündigt seine Vorgruppe an, zwei Frauen aus Skandinavien, Jennie Abrahamson und Linnea Olsson, die später auch die backing vocals übernehmen werden.

Als erstes gibt es einen Fahrplan. Wie beim Essen solle es sein, mit Vorspeise, Hauptgang und Nachspeise. Vorspeise sind wenige Stücke unplugged. Das erste, „Oh But“, noch nicht richtig „fertig“, work in progress. Das Saallicht bleibt an. Denn es sei ja so wie beim betreten eines neuen Zimmers, man müsse sich erst einmal orientieren. Was teilweise mit leichtem Murren quittiert wird. Zum Hauptgang gibt es dann Werke aus über 30 Jahren Rock- Und Popgeschichte des Herrn G. Die Band, die Originalbesetzung mit der „So“ eingespielt wurde, ist in Spiellaune, der Drummer in Höchstform, die Stimme von Peter Gabriel trägt noch. Noch? Und wie die trägt. Es ist nicht die gleiche wie vor 27 Jahren, aber sie ist beeindruckend und der ganze Mensch ebenso beeindruckend in seiner Präsenz und Unaufgeregtheit. Verstörend wirkt manchmal das Scheinwerferlicht aus den Cubs, den Robots, vor allem, wenn sie nach oben scheinen und damit stark an Flaksuchscheinwerfer erinnern. SPON sprach von KdF-Ästhetik. Nun ja, das scheint mir zu weit zu gehen.

Dann endlich die Nachspeise. Das komplette „So“ neu interpretiert. Start bei „Red Rain“ mit erstaunlichen Videos, in denen die Musiker total verfremdet werden bis hinunter zu Strichzeichnung a la Haus des Nikolaus und dennoch sind die Bewegungen zu erkennen. Erstaunlich. Wie überhaupt die Videos rasend frisch daher kommen. Frischer als man meinen könnte bei jemandem, der immerhin schon 63 ist. . Ich habe gelernt, dass „Don’t give up“, wenn nicht durch die weinerliche Kate Bush zerstört, ein wunderschönes Lied ist. Jennie Abrahamson war da mehr als ein Ersatz. Und dazu noch gelernt, dass früher – Vinyl – die Songs mit einem prägnanteren Bass an den Anfang einer LP gehörten, weil die Rillen zum Ende hin enger wurden, zu eng. Das habe sich erst mit der CD geändert

Hatte ich schon gesagt, dass das ein wundervolles Konzert war? Ja, war es. Da ich keine Konzertkritiken zu schreiben mich traue, verweise ich auf die Links. Die sind zumeist gut geschrieben und geben meinen Eindruck wider (dieser hier trifft es wirklich sehr gut). Eins noch. Da ich im Innenraum kaum etwas gesehen habe, werde ich mir wohl eine DVD des Konzertes – es gibt sie für alle der Konzertreihe – zulegen. Um zu sehen, was ich gehört und gespürt habe.

Den Abschluss des Abends bildete eine von Mr. Gabriel vorgetragene Erklärung an Jugendliche, die sich durch „die kleinen Dinger in ihren Händen“ weltweit verbinden und vernetzen und damit dazu beitragen, dass Ungerechtigkeit und Willkür und Terror erkannt wird und dagegen aufstehen. Für mich eine Anspielung auf den arabischen Frühling und an alle, die sich erheben gegen Ungerechtigkeit weltweit. Wie wichtig ihm das war, mag man daran erkennen, dass er es – unter manchmal großen Schwierigkeiten – auf deutsch vortrug. . Es war die Einleitung zum Lied des Abends: Biko.

Das ich immer noch im Kopf habe.

*Sie hat mit kennen lernen, mit auseinander gehen, mit partiell wieder zusammen sein, mit verlieren und wieder finden vor allem aber mit Liebe leben zu tun

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

oi2503

Wat dem een sin uul is dem annern sin nachtigall

oi2503

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden