Die Banalität des ZDF

ZDF-Dreiteiler Im wahrsten Sinne jenseits von Gut und Böse endet"Unsere Mütter, unsere Väter" in der moralischen Schwebe unserer Zeit.Wann ziehen wir endlich die Lehren für die Zukunft?

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Allein die Resonanz auf die Filmserie "Unsere Väter, unsere Mütter" zeigt ja, wie tief dieses Kapitel unsere Identifikation bis heute prägt. Wäre ich ein begnadeter Zeichner, würde ich es in einem Gemälde so verbildlichen: Das Dritte Reich ist der zentrale Fluchtpunkt, der wie ein schwarzes Loch alles verschlingt, was davor war und alles verschlingt, was darauf folgt. Unsere Erinnerung, wie die Gegenwart und die Vorstellung unserer Zukunft scheint dem zu unterliegen wie dem Lauf der Sonne. Nur wer kreist um wen in diesem Identität stiftenden Sonnensystem? Leider vermag ich nicht es bildhaft auszumalen, sondern allein zu beschreiben.


Das selbst nach jahrelanger Vertiefung Monströse, Monsterhafte jener Zeit wurde (wenn auch nicht zum allerersten Mal) in "Unsere Väter, unsere Mütter" am Beispiel nachempfindsamer Einzelschicksale aus einer anderen Perspektive nachgezeichnet, als es sonst die History-Dokumentationen vermögen. Einem breiten Publikum wurde das Böse, das bisher vermeintlich Unsagbare, weil niemals offen Ausgesprochene, in seiner individuellen Dimension vor Augen geführt. Und dennoch führt der Film ins Leere, weil er jene überleben lässt, die ohne wirkliche Läuterung heimkehren. Auch wenn das symptomatische Schweigen dieser Generation am Ende im Moment des Anstoßens beim Wiedersehen stark in Szene gesetzt ist, transportiert dies unterschwellig, dass gerade ihr opportunes Handeln ihr Überleben rechtfertigte. Wobei doch stattdessen das Schicksal des in seiner selbstempfundenen Sinnlosigkeit gefangenen Friedhelms die naheliegendste Lektion enthält: Er bringt sich kurz vor Kriegsende selbst als letztes Opfer der herrschenden Unmenschlichkeit, doch mit seinem Tod stirbt wie mit dem Tod aller Menschen dieses Ideal auch im Film.


Dieser Schluss lässt uns wieder allein mit der Frage zurück: Hätten wir damals anders gehandelt?, und verhindert so eine tiefgreifende Auseinandersetzung über die viel wichtigere Frage: Würden wir heute anders handeln?
Das jenes monströs Böse der Naziherrschaft und des Krieges in dieser Weise vermenschlicht wird, leistet keinen Beitrag zu einer vorwärts gewandten Sicht. Das sich eben das Böse aus vielen kleinen Taten Einzelner zusammensetzt und daraus eine gewisse Banalität speist, brachte bereits Hannah Arendt in der Folge des Eichmann-Prozesses von 1961 auf. Ihr eben für das Kino verfilmte Erbe hätte mindestens dieselbe Aufmerksamkeit verdient wie jener ZDF-Dreiteiler. Doch leider sind ihre Betrachtungen im hiesigen Diskurs nie vollends angekommen. Ihre elementare Erkenntnis, die Verkehrung der Moral und Ethik im Totalitarismus, der bis zur Unkenntlichkeit treibende Wandlungsprozess zwischen Gut und Böse, Falsch und Richtig, liegen zu einem gewissen Grade auch den Charakteren des ZDF zu Grunde. Doch wer nimmt das schon wahr? Wir sind und bleiben gefangen auf unserer identitären Laufbahn und kreisen dabei letztlich nur um uns selbst. Sind wir, ist unsere Geschichte, unser Deutsch-sein jenseits dieses Kosmos wirklich undenkbar?

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Geschrieben von

Passenger

Essayist, Übersetzer (s. torial-Profil unter Homepage)

Passenger

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