Kolumne # 17: Verlegenheitsdemo – "So, Pflicht getan"

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Sie ziehen für Ungarns Verbleib in der europäischen Wertegemeinschaft vor die ungarische Botschaft. Ihre Gallionsfigur Rainer Wieland findet eher verteidigende Worte als Kritik gegenüber der Regierung Orbán

Aus meiner Sonntagskolumne auf www.peterknobloch.net

„Eins, zwei, drei, vier: Für Ungarn sind wir hier “, ruft eine junge Frau durch ein Megafon. Sie trägt ein grünes T-Shit der Jungen Europäischen Föderalisten, einem überparteilichen Jugendverband, der sich für ein vereintes Europa mit föderalen Strukturen starkmachen will. Zusammen mit der Europa-Union Deutschland und dem Verein „Mehr Demokratie“ demonstrierte der Jugendverband für den Verbleib Ungarns in der europäischen Wertegemeinschaft. Das war am vergangenen Samstag.

Es ist ein sonniger Frühlingstag. Die rund hundert Demonstranten ziehen von der Landesvertretung Rheinland-Pfalz zur Ungarischen Botschaft auf der Straße Unter den Linden. In der zweiten Reihe marschiert auch Rainer Wieland. „Europe and Hungary – united in democray“, skandieren ein Dutzend der Demonstranten. Ihr Ruf klingt genauso verhalten, wie der Inhalt. Lautlos bewegte auch Christdemokrat Wieland seine Lippen zum Appell.

Die Gruppe will dem ungarischen Botschafter ein Memorandum überreichen. Doch wer fehlt, ist der Botschafter – trotz Zusage. Die Gittertür vor dem Eingang bleibt heute verschlossen. So liest Wieland, Vize-Präsident des EU-Parlaments, in Abwesenheit des Adressanten aus dem Dokument vor. Dieses sei keine Anklage, sondern ein Appell an die Regierung von Viktor Orbán, die parlamentarische Opposition anzuerkennen. Man sorge sich bei Ungarn nicht um seine demokratische Verfasstheit, sondern nur um die Qualität der Demokratie.

Wie Viktor Orbán mit seinen politischen Gegner umgeht, machte der Ministerpräsident auch während des ungarischen Nationalfeiertags am 15. März wieder deutlich. Knapp 100.000 Gegen-Demonstranten standen etwa 200.000 Orbán-Anhängern gegenüber. Die hatte Ungarn Regierungschef in bester Puntin-Manier in Bussen aus dem ganzen Land in die Hauptstadt einfahren lassen. Zum Nationalfeiertag hat die Fidesz sicherheitshalber fast die komplette Innenstadt von Budapest für die eigenen Veranstaltungen reserviert. Die Anti-Orbán-Demonstranten hat man in sichere Entfernung vom Parlaments-Gebäude auf den Platz vor der Elisabeth-Brück platziert.

Vor der ungarischen Botschaft in Berlin schiebt Rainer Wieland das Schreiben durch das Gitter, lässt sich fotografieren und den Umschlag vor den Eingang fallen. Man werde das Memorandum ohnehin nachsenden, erklärt Wieland dem Publikum. „So, Pflicht getan“, freut sich ein älterer Herr in den hinteren Reihen der Menge.

Das klingt nicht nur nach Kritik mit angezogener Handbremse, das ist es auch. Denn wenn man die ungarische Fidesz kritisiert, wendet man sich schließlich gegen die eigenen Fraktionskollegen in der Europäische Volkspartei (EPV), deren Vize-Präsident Viktor Orbán ist.

„Ich bin überzeugt, dass es sich um mediale Übertreibungen und bewusste Missverständnisse handelt, die die Regierung in Misskredit bringen sollen.“ Was nach druckreifer Orbán-Propaganda klingt, sagte erst kürzlich Eckart von Klaeden, Staatsminister im Kanzleramt, auf einer Veranstaltung der deutsch-ungarischen Gesellschaft.

Im Gespräch mit Wieland klingt der gleiche Tenor durch. So will auch der aus Stuttgart stammende CDU-Mann vorsichtig mit vorschnellen Urteilen gegen Ungarn sein, was an sich nicht verkehrt ist. Für Kritik gegen die Regierung Orbán findet Wieland allerdings ausschließlich verteidigende Worte und Vergleiche, wo andere Staaten Ähnliches gemacht haben sollen. Jene die jetzt Ungarn anklagten, seien die gleichen, die sich für einen EU-Beitritt der Türkei stark machten, so Wieland. Eine Aussage, die man weder konkret belegen noch widerlegen kann. Ungarn sei außerdem noch wesentlich liberaler als die Türkei – ein Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen. Denn Ungarn ist der Europäischen Union vor acht Jahren beigetreten, hat den Lissabon-Vertrag unterschrieben und ihn ratifiziert. Ein EU-Breitritt der Türkei liegt hingegen noch immer in weiter Ferne.

Was die Kritik an der Abhängigkeit der ungarischen Zentralbank betrifft, weiß Wieland genauso auszuweichen. Auch Frankreichs Zentralbank sei vor der Einführung des Euro alles andere als unabhängig gewesen. Die Kriminalisierung von Obdachlosen in Ungarn, spielt Wieland ebenfalls herunter. Er sieht in der Kritik an Ungarns politischer Führung in erster Line einen Angriff auf das bürgerliche Lager. Bei Verfehlungen linker Regierungen in europäischen Nachbarstaaten schweige die Presse.

Erst kürzlich stellen SPD und Grüne im Bundestag einen Antrag an die Bundesregierung „gegenüber der ungarischen Regierung und Ministerpräsident Viktor Orbán endlich deutlich zu machen, dass sich die Bundesregierung und der Bundestag über die demokratischen Verhältnisse in Ungarn“ Sorgen machen. Nach drei Vertragsverletzungsverfahren, die Brüssel wegen Formalien verhängt hatte, fällt in dem Antrag von Rot-Grün auch der Artikel 7 im Lissabon-Vertrag: ein Verfahren wegen Verletzung der europäischen Grundwerte, gegen das sich Wieland und andere Unions-Politiker noch sträuben.

Man wird den Eindruck nicht los: Wieland scheint Ungarns Regierung nicht kritisieren, sondern verteidigen zu wollen. Die Demonstration, deren Gallionsfigur er ist, führt Wieland, so scheint es, weniger aus Überzeugung, als aus Verlegenheit an – wohl gegenüber den Mitgliedern der Europa-Union Deutschland, dessen Präsident er ist. Wieland hat seine „Pflicht getan“. Der ältere Herr muss ihm aus der Seele gesprochen haben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Knobloch

Seit September arbeite ich als ifa-Redakteur bei Radio Neumarkt in siebenbürgischen Neumarkt, Târgu Mureș

Peter Knobloch

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