Das gute Leben der Bionade-Biedermeier

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Die Tageszeitung feierte mit einem Lab das gute Leben, Menschen mit geringen Einkommen waren damit nicht gemeint

Revolution bei der Taz? Ach, wo, das Titelbild der Jubiläumstageszeitung zum 20ten Geburtstag der Taz-Genossenschaften war nur ein Joke auf die längst vergangenen wilden Jugendjahre.

Die Ausgabe wurde ganz von Tageszeitungs-Genoss_innen erstellt, so dass sich de Redaktion für den Blödbegriff diegutezeitung höchstens fremd schämen muss. Zumal man befürchtet kann, dass diejenigen, die diese temporäre Namensänderung vorgeschlagen haben, es nicht einmal ironisch meinten. Dabei wäre es eine gelungene Satire auf das Bionade-Biedermeier, dass sich jeden Samstag im taz-magazin austobt. Da geht es um die Sorgen derer, die befürchten, dass die Hundekacke im Garten umweltschädlich und das Müsli verstrahlt ist.

Am vergangenen Samstag konnte man dieses Milieu dann real erleben.. Aus allen Teilen der Republik kamen die guten Menschen, um ihrer guten Zeitung zum Jubiläum zu huldigen und zelebrierten einen ganz neumodisch einen Taz-Lab im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Es ging um das gute Leben für das Bionade-Biedermeier. Eine Lektüre der Jubiläumszeitung hätte aber schon gereicht, um zu erkennen, wer damit nicht gemeint ist. Alle die Menschen, die mit oder ohne Hartz-IV-Regime , mit Niedriglohn und prekären Arbeits- und Lebensbedingungen konfrontiert sind, bleiben von diese schönen Leben ausgeschlossen.

Das Thema Jobcenter wurdetatsächlich einmal in einem Kommentar angesprochen. Ein verrenteter Leiter eines Sozialamts macht auf Herz IV und propagiert mehr Bürgernähe im Amt. Dagegen beschimpft das als Mitglied von Attac und dem CDU-Wirtschaftsrat vorgestellte Uli Borchardt Menschen, die zum Discounter gehen, als „Kunden, die zu wenig denken". Darauf angesprochen, dass sie vielleicht wegen Hartz IV oder Niedriglohn auf Billigwaren angewiesen sind, antwortet Borchardt sehr ehrlich:

„Dieses Problem bewegt sich außerhalb meines Themenkreises, wir sprechen hier schließlich über einen Bruchteil unserer Gesellschaft“. Ob er damit die Bionade-Bourgeoisie meint, was korrekt wäre, oder den wachsenden Teil der Menschen, die einkommensarm sind, bleibt unklar.

Gabriele Mittag, die laut Selbstbeschreibung eiin einer feministischen Unigruppe und in den 90er Jahren noch in antirassistischen Zusammenhängen Berlins aktiv war, will heute nicht mehr soviel von Armut, Hartz IV etc. hören. Natürlich will auch heeute „nicht leugnen,“ dass es „soziale Schieflagen“ gibt, wie Mittag ganz im Slang von Kapitalverbändendie Zumutungen des alltäglichen Kapitalismus nennt. Dochvon einer „Liebeserklärung an Berlin“ hält sie das nicht ab und Mittag weiß auch, „Wer sein Hirn allerdings nur mit diesen Nachrichten füttert, riskiert eines, den Blick für das gute Leben in Berlin zu verlieren“. Natürlich sagt Mittag nicht, dass es das es das Leben einer kleinen herrschenden Elite ist. Schließlich stellt sie sich als Pressesprecherin aus Schöneberg vor, verschweigt aber sicher nicht ohne Grund, für welches Unternehmen sie da spricht. Für aktive Erwerbslose, kämpferische Lohnabhängige oder von Vertreibung bedrohte Mieter_innen der Barbarossastraße, wo in Schöneberg Sozialwohnungen aus den 60er Jahren abgerissen werden sollen, weil die nicht so gut und zentral wohnen sollen, sicher nicht.Das schöne Leben für das die letzten Mieter_innen kämpfen, die sich nicht vertreiben lassen wollen, kommt zumindest in den Zeilen von Mittag und aller Autor_innen der Wochenend-Tat nicht vor.

Gauck statt Adorno

Dass die Tat einmal als Organ der Gegenöffentlichkeit gegründet wurde, die Macht, Staat und Herrschaft dekonstruieren wollte, ist kein Thema mehr.

Was den Biedermeier-Bohemien in Zeiten von Eurokrise, NSU-Mord, wachsenden rassistischen und populistischen Bewegungen bewegt bringt Taz-Genosse Alexander Kempe aus Wiesbaden mit vermutlich unfreiwilliger Komik auf den Punkt, als er darlegt, was für ihn das schöne Leben ausmacht: „Der Postbote zerknickt meine Zeitung nicht. Der Geschmack der Scheibe frischen Brots explodiert im Mund...Eine Hundebesitzerin entfernt den Haufen ihres Tiers vom Bürgersteig...“

Etwas Politischer wird es dann im völlig affimativen Interview mit der Philospohin Birgit Recki, der der mit dem Ende der DDR verbundene Elitentausch eine akademische Karriere in Greifswald beschert hat. Nach dem über eine Seite über Freiheit versus Gerechtigkeit mäandert wurde, kommt Recki auf den Punkt. Es geht um eine Verteidigung von Gauck. „Er lässt keinen Zweifel dran, dass für ihn der Freiheitsbegriff mit Verantwortung zusammenhängt“, probiert sich Recki als Gauck-Interpretion. Dass damit auch robuste militärische Einsätze überall verbunden sein können, wo Interessen tangiert sind, die das gute Leben der Bionade-Bourgeoisie gefährden könnten, wird im Interview nicht angesprochen. Auch sonst bleibt das Thema in der guten Zeitung und ihrem Leben aisgespart. Doch nicht etwa, weil man damit nichts zu tun haben will, sondern weil man dafür Bundeswehr und Nato hat, die man dann von Fall zu Fall bejubeln und zu noch mehr Verantwortung aufrufen kann. Schließlich will die Bio-Boheme ihr gutes Leben auch verteidigen, umso besser wenn das mit dem Interesse des deutschen Staats zusammenfällt. Am Ende gibt Recki dann die Parole aus Adorno zu vergessen, der bekanntlich ein richtiges Leben im falschen nicht erkennen wollte. Gauck statt Adorno, wer hätte sich das träumen lassen, als die Taz beim Tunix-Kongress 1979 gegründet wurde? Und doch konnten es schlauere Beobachter_innen schon wissen. Schließlich wurde ja schon nach dem Kongress an alternativen WG-Tischen noch recht verschämt kundgetan, dass es gar nicht so verkehrt war, dass dort auch der SPD-Spitzenpolitiker und Scharfmacher gegen die außerparlamentarische Linke Peter Glotz auftreten konnte. 2012 ist also die Frucht von Tunix im Bio-Biedermeier aufgegangen.

Peter Nowak



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Geschrieben von

Peter Nowak

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