Grauwacke reloated

Autonome in Bewegung Die Räumung der Liebigstraße ist ein guter Anlass, über den Stand der Autonomen nachzudenken. Ein neuaufgelegtes Buch gibt dazu Anstösse

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Eigentlich hätten in der letzten Tagen die Medien wieder mal die Autonomem entdecken müssen. Schließlich müssen die immer wieder mal in konservativen Medien als Popanz herhalten, wenn es darum, nachzuweisen, dass es auch militante Linke gibt. Rund um die Räumung des querfeministischen Hausprojekts Liebigstraße 34 wäre doch wieder mal Gelegenheit gewesen. Ich habe den Eindruck, dass da von Autonomen so viel nicht zu lesen war. Das würde die Frage aufwerfen, die seit 20 Jahren auch in der Linken immer wieder gestellt wird. Konnte man überhaupt je von einer autonomen Bewegung sprechen und vor allem, gibt es aktuell noch eine autonome Bewegung? Doch es gibt auch Linke, die sich selber als Autonome bezeichnen. Bereits 2003 veröffentlichen 5 männliche Protagonisten der autonomen Bewegung unter dem Pseudonym A.G. Grauwacke ein subjektives Geschichtsbuch. Grauwacke ist ein anderes Wort für Pflastersteine und damit wurden die Autonomen oft in Verbindung gebracht. Es zeugt also von den Humor der 5 Grauwacken, dass sie sich den Begriff aneignen. Denn es ist natürlich auf die Veränderung des Haupthaares des Mannes im Laufe des Lebens. Humor ist ein Leitfaden des Buches, deswegen macht es auch Lust aufs Stöbern. Denn es geht nicht nur um die Texte, sondern auch um die Fotos, die zum Blättern anregen. Die Grauwacken beschreiben dort ihre politische Sozialisation in der Hausbesetzer*innenbewegung, im Kampf gegenAtomkraftwerke oder die Startbahn-West in der Nähe von Frankfurt/Main.Einige waren an längerfristigen Kampagnen beispielsweise gegen den IWF-Gipfel 1988 in Westberlin beteiligt. Die dokumentierten Diskussionspapiere und politischen Statements der einzelnen Kampagnen machen das Buch zu einem einzigartigen Nachschlagewerk. Schließlich sind die Papiere in der Regel nur in wenigen Archiven ehemaliger autonomer Hochburgen wie Berlin, Hamburg und Göttingen öffentlich einsehbar. Manche werden vielleicht auch bald digitalisiert. Wer sich in dem Buch theoretische Debatten erhofft, wird enttäuscht werden. Die 5 Grauwacken erklären gleich zu Anfang, dass sie den akademischen Abhandlungen über die autonome Bewegung kein weiteres Buch hinzufügen wollen. Es ist ein sehr subjektives Buch, so wie es auch die autonome Bewegung war. Politik in der ersten Person war eines ihrer Essentials aber keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal. Diesem Anspruch teilte sie mit der Spontibewegung, die in vielen westdeutschen Städten in den 1970er Jahren aufblühte. Sie wurde ein Schwungrad sowohl für die Grünen als auch für die Autonomen. Auch, wenn es einen großen Unterschied im Politikstil zwischen Grünen und Autonomen gab, so teilten beide doch wesentliche politische Essentials. Neben der Politik der ersten Person gehört dazu auch die Distanz zur Arbeiter*innenbewegung und das Interesse für Identitätspolitik. Daher sorgte auch in autonomen Kreisen für Diskussionen, dass das Buch von 5 Männern herausgegeben wurde.

Action statt Analyse

Deutlich wurde auch, dass die Krise der linken Bewegung, die Autonomen nicht verschonte. Die verschiedenen bewaffneten Formationen lösten sich auf, und Mitte der 1990er Jahre zerfielen viele langjährige autonome Zusammenhänge. Doch auch hier reagierten viele mit Subjektivismus, wie die anonymen Autor*innen eines auf Seite 328 des Buches dokumentierten Textes:

„Wir dachten trotz des Rückzugs viele GenossInnen nicht ans Aufhören. Warum auch? Wenn schon keine Bewegung, wenn schon keine Bewegung, wenn schon keine Hoffnung auf radikale Veränderung – dann jedenfalls die geplante nächtliche Aktion.“

Unter dem Motto „Zeiten der Verwirrung“ wurden im 11. Kapitel auch einige politische Differenzen angesprochen, die auch die Autonomen nicht verschonten. Manche schlossen sich der antideutschen Bewegung an, die 5 Grauwacken allerdings nicht. Sie haben den Antideutschen sogar einen Herrschaftsblick unterstellt, dabei aber nicht genug differenziert. Denn die Antideutschen gab es wie die Autonomen.

Zukunft mit viel Sonnencreme

Die Grauwacken distanzieren sich auch von Organisationen wie der Antifaschistischen Aktion/bundesweite Organisation (AA/B0) der sie 2003 nachriefen: „Nach 10 Jahren wurde diese Organisation wieder abgebaut“. Da daraus das „Umsganze-Bündnis und die Interventionistische Linke hervorgingen, war es zu früh für Grabreden. Es wäre auf jeden Fall sinnvoll gewesen, genauer auf die Organisationsdebatten einzugehen, die ja ihren Ursprung in einer internen Kritik an den Grenzen der autonomen Bewegung hatte. Die Grauwacken beenden die Erstauflage mit humoristischen Subjektivismus :

„Da wir nicht wissen, wie die utopische Welt aussehen wird (außer, dass viel Sonnencreme gebraucht, von wegen „scheint die Sonn ohn’ Unterlass), ordnen wir unsere alltägliche Politik nicht dieser ungewissen Zukunft unter, sondern tun hier und heute das, was und dem Ziel am nächsten scheint“.

Anmerkung des Verfassers: Vielleicht war die Sonnencreme auch schon ein Hinweis auf die Erderwärmung .

Unterstrich statt Binnen-I

In der aktualisierten Neuauflage des Buches, die kürzlich im Verlag Assoziation A erschienen ist, hat eine neue Generation von linken Aktivist*innen die Geschichte der Autonomen nun fortgeschrieben. Die subjektive Sichtweise hat sich nicht geändert, wie bereits im Vorwort der Neuen erkennbar ist.

„Wir, als neue Redaktion, haben andere Aktive gefragt, ob sie etwas beisteuern mögen zur jüngeren Autonomen-Geschichtsschreibung“.

Auch wenn die Autor*innen den Anspruch formulieren, nicht nur Ereignisse aufzählen zu wollen, sondern möglichst auch Ansätze vermitteln und weiterdiskutieren zu wollen, wird dieser Anspruch nur teilweise erfüllt. Es geht auch hier nicht um eine theoretische Auseinandersetzung, sondern die Vermittlung von subjektiven Erfahrungen. Doch, eine Neuerung sieht man so fort. Als geschlechtssensible Schreibweise wurde das große I vom Unterstrich ersetzt. In den aktualisierten Teil werden einige Politikfelder der autonomen Linken der letzten 2 Jahrzehnte vorgestellt. Es geht umKlimaaktivismus, Gipfelvorbereitungen, der Kampf gegen rechts, aber auch die starke antirassistische Bewegung, die im Herbst 2012zur Entstehung eines Refuges-Camps auf dem Berliner Oranienplatz geführt hat, das über einen längeren Zeitraum die Debatte nicht nur in der Linken bestimmte. Hier wird noch einmal an den politischen Aufbruch der Geflüchteten erinnert, von demdas Camp in der ersten Zeit getragen war. Berichtet wird auch, wie sich die Campzusammensetzung veränderte und der gemeinsame Kampf schwerer wurde.

Wenn das Interim zum Normalzustand wird

Während in einer Zeitleisteeinige Highlights des autonomen Aktivismus der letzten 40 Jahre notwendig lückenhaft aufgezählt werden, gehen die Texte wesentlich kritischer mit den autonomen Aktivismus um. Öfter wird festgestellt, dass es in der autonomen Bewegung „heute mehr und größere Fragezeichen in Bezug auf Utopien und Gegenentwürfe und geeignete Strategien gegen den Normalzustand“ gibt. Beim Rückblick auf den Aufbruch der Geflüchteten ab 2012, der sich in dem Refugee-Camp am Oranienplatz und der Besetzung der Gerhard Hauptmann Schule manifestierte, gibt es zwei unterschiedliche Einschätzungen, was sehr positiv ist. Es wäre zu wünschen gewesen, dass auch bei anderen Kapiteln dieKritikpunkte deutlicher formuliert worden wären. Enttäuschend ist das Kapitel über die Micky Mouse genannte Autonomenpostille Interim. Da hätte man schon mal kritischer diskutieren müssen, ob die Publikation nicht auch ein Stück Erstarrung der autonomen Bewegung symbolisiert. Die Interim, die schon im Titel als Zwischenlösung kenntlich wird, ist nun seit 33 Jahren zum autonomen Normalzustand geworden. So wie es in der Zeitung keine Neuerungen gibt, digitale Spuren will man natürlich nicht hinterlassen, geht daher auch nicht Online, und das Layout hat manchmal Anklänge an Punkfanszines, so könnte auch die autonome Bewegung eine Zwischenlösung in den 1980er Jahren gewesen sein, die in bestimmten Städten und Milieus zum Normalzustand wurde. Die Durchgangszeit dauert in der Regel wenige Jahre, meistens verabschieden sich autonome Aktivist*innen mit dem Ende der Jugendphase, die ja heute sehr unterschiedlich lang ist. Es gibt aber auch einige Autonome, die in der Bewegung alt geworden und dort weiter aktiv sind. Die Grauwacken der ersten Ausgabe gehören dazu. Noch geht es denAutonomen wie den längst verstorbenen und zweimal umgebetteten Rio Reiser und seiner Band Ton, Steine, Scherben. Es gibt immer junge Leute, die die Musik hören und Teil einer autonomen Bewegung sein wollen. Da ist natürlich auch viel Mythos im Spiel. Aber das liegt auch an der der Neuzusammensetzung der Klasse, die zumindest in den 1980er Jahren in Zusammenhängen rund um die Karlsruher Stadtzeitung, die heute als Wildcat weiter existiert, diskutiert wurde und wird. Es gibt immer wieder gut ausgebildete junge Menschen, die kaum Kontakt mit den Organisationen der Arbeiter*innenbewegung haben, sich selber auch nicht als Teil einer Klassenbewegung sehen, aber ihre Autonomie gegenüber den Staatsapparaten verteidigen wollen. Sie waren das Schwungrad der Spontis und sie sind auch das Klientel der autonomen Bewegung. Daher ist es wahrscheinlich, dass die autonome Bewegung noch einige Zeit im Interim existieren kann und wird. Das ist auch zu begrüssen. Denn bei aller Kritik hat sie sich Verdienste für die Neuformulierung linker Politik erworben, wie die antideutsche Bewegung übrigens auch. Der Bildband macht Lust am Lesen, Blättern, Stöbern und auch am Diskutieren. Wie die autonome Bewegung ist auch das Buch kein abgeschlossenes Projekt. Auf der Webseite (http://autox.nadir.org) finden sich wichtige Dokumente zur Geschichte der autonomen Bewegung. Dort können auch Diskussionsbeitrage hingeschickt werden.

Peter Nowak

A.G. Grauwacke: Aus den ersten 23 Jahren. Autonome in Bewegung, Aktualisierte Neuauflage Berlin 2020. Verlag Assoziation A. 496 Seiten, ISBN: 978-3-86241-4680-0, 26 Euro.

http://www.assoziation-a.de/buch/autonome_in_bewegung

Die Fotos sind ein wichtiger Teil der autonomen Bewegungsgeschichte und auch des Bildbandes.

Sie wurden vom Umbrucharchiv beigesteuert:

https://www.umbruch-bildarchiv.de/bildarchiv/ereignis/autonome_in_bewegung.html

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

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