Meisterin des gnadenlosen Realismus

Filmkritik Die US-Regisseurin Kathryn Bigelow wurde mit "Zero Dark Thirty" bekannt. Das Berliner Kino Arsenal zeigt eine Retrospektive ihrer Filme

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Jessica Chastain als Maya Lambert in "Zero Dark Thirty"
Jessica Chastain als Maya Lambert in "Zero Dark Thirty"

Foto: Screenshot

Die US-amerikanische Filmemacherin Kathryn Bigelow ist in Deutschland mit Zero Dark Thirty einem größeren Publikum bekannt geworden. Der Film hat die Jagd nach dem Al Qaida-Boss zum Thema. Ihm wurde von Kritiker_innen vorgeworfen, die Folterpraktikanten der US-Behörden zu verharmlosen oder gar zu unterstützen – solche Vorwürfe müssen sich Künstler_innen, die die Realität ohne Tünche und Sentimentalitäten darstellen, immer wieder anhören. Manche Menschen verwechseln eine Darstellung der Realität mit deren Affimierung.

Wer die Filmemacherin Kathryn Bigelow noch nicht kannte, hat jetzt in Berlin Gelegenheit, ihre Filme zu sehen. Das Berliner Kino Arsenal am Potsdamer Platz veranstaltet noch bis zum 31.März eine Bigelow-Retrospektive. Am 28. März ist dort Zero Dark Thirty zu sehen. Aber auch Bigelows weniger bekannten Filme sind zu empfehlen, schon weil sie in deutschen Kinos äußerst selten aufgeführt werden. Hier kann eine Künstlerin neu entdeckt werden, der es mit ihren Filmen gelingt, in den kleinsten Details die Lebensweise einer Gruppe von Menschen zu beschreiben. Es gilt, wirklich genau hinzuhören und zu sehen. Selbst die Radiomeldungen im Hintergrund geben Aufschluss über die Figuren des Films. The Loveless, Bigelows 1981 gedrehter Film, ist hierfür ein gutes Beispiel. Immer wieder sieht man Menschen in einem Raum sitzen, in denen ein Radio läuft. Mal werden Meldungen aus der Politik verbreitet, mal irgendwelche Sendungen, die wohl eher unter die Rubrik Klatsch und Tratsch fallen. Ansonsten passiert nicht viel in der Kleinstadt in Georgia, in der eine Gruppe von Bikern eher unfreiwillig einen längeren Aufenthalt einlegen muss, weil ein Motorrad kaputt ist.

Easy-Rider-Effekt

Sofort entsteht ein Easy-Rider-Effekt. Die Biker gelten als Außenseiter, denen die Erwachsenen alles Schlechte nachsagen, während die wenigen jüngeren Männer und Frauen mit seligen Blick an den schweren Motorrädern und ihren Besitzer_innen herumstreichen und ihre Faszination nicht verbergen können. Das aber macht die Erwachsenen umso wütender. Als es zwischen Vance, dem Boss der Biker und Telena zu einer Annäherung kommt, eskaliert die Situation. Denn die junge Frau, die in ihrem roten Wagen zunächst einen selbstbewussten Eindruck macht, entpuppt sich als misshandelte Tochter des Dorftyranns. Welche Funktion genau dieser Mann hat, bleibt offen. Im Film ist er jedenfalls omnipräsent und sammelt alle Negativpunkte auf seine Person. Er beleidigt und demütigt Frauen und farbige Amerikaner_innen, ist ein homophober Waffennarr und hasst Kommunist_innen und alle Menschen, die nicht aus dem Dorf in Georgia kommen, in dem er den Boss spielt. Diese Mischung aus Hausmeister und Sheriff dreht endgültig durch, als er spürt, dass die wenigen jüngeren Leute im Ort in der Bikegang ihr Vorbild sehen. Mit der erfundenen Behauptung, dass es sich bei den Fremden um langhaarige Kommunist_innen handelt, denen öffentlich die Haare geschnitten werden müssen, will der Dorf-Blockwart seine angekratzte Autorität wiederherstellen und sucht Kumpanen, die ihm dabei unterstützen sollen, die Fremden zu erschießen. Dabei ist ihm jedes Mittel recht und seine Tochter das erste Opfer. Am Ende hat sich der Möchtegern-Rambo aber verrechnet. Der Film besticht durch seinen gnadenlosen Realismus. Ein Markenzeichen von Bigelow, das ihre Filme so sehenswert macht und ein gutes Gesellschaftspanorama abgibt.

Grenzüberschreitungen – Die Filme von Kathryn Bigelow

http://www.arsenal-berlin.de/kino-arsenal/programm/einzelansicht/article/4726/2796.html

Am 24.3. wird mit "The Weight of Water" ein weiterer selten gezeigter Bigelow-Film im Arsenal zu sehen sein.

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Geschrieben von

Peter Nowak

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