Das Maß ist voll

Bundestag Innerhalb von wenigen Tagen sollen der Fiskalpakt und der europäische Rettungsfonds vom Parlament verabschiedet werden. Die Kanzlerin untergräbt damit die Demokratie
Das Maß ist voll

Illustration: der Freitag

Vor vier Tagen ist Angela Merkel vom obersten deutschen Gericht dafür gerügt worden, dass sie die Rechte des Parlaments nicht ausreichend beachtet. Das war sehr höflich ausgedrückt. Man kann es auch so sagen: Die Kanzlerin untergräbt die Demokratie, weil sie das Parlament nicht richtig informiert und zu kurzfristig informiert. Innerhalb von wenigen Tagen sollen nun der Fiskalpakt und der europäische Rettungsfonds vom Parlament verabschiedet werden. Das ist ein Affront gegen das oberste Gericht. Die Regierung nimmt das Verfassungsgericht offenbar nicht mehr sonderlich ernst. Schlimmer noch. Auch den Oppositionsparteien SPD und Grünen war die Beteiligung an einem Kompromiss wichtiger als die eigenen Rechte. Sie bekamen dafür: eine vage Zusage für ein Wachstumsprogramm und das Versprechen auf eine Finanztransaktionssteuer. Diejenigen, die bisher in Karlsruhe immer um Hilfe riefen, hatten in diesem Fall kein Problem, sich überflüssig zu machen.

Dass der Bundespräsident, dessen Aufgabe es ist, die Gesetze zu prüfen und zu unterschreiben, nun nicht auch noch unter die Räder der Regierungswalze geraten ist, hat er einem ebenso ungewöhnlichen wie mutigen Vorstoß der obersten Richter zu verdanken. Gauck sollte die Dokumente möglichst noch am gleichen Tag unterschreiben. Die Richter warnten daraufhin öffentlich vor einer Verfassungskrise und baten Gauck, den Füller vorerst stecken zu lassen. Sonst könnten sie die Anträge gegen die Gesetze – unter anderem von der Linkspartei – nicht vernünftig prüfen. Üblicherweise halten sich die obersten Richter aus der aktuellen Politik heraus. Dass die Richter sich so offen gegen die Regierung gewandt haben, ist ein klares Signal an die Regierung. Das Maß ist voll.

Die Tendenz, die Rechte des Parlaments beim Regieren zu übergehen, gibt es nicht erst seit Angela Merkel an der Macht ist. Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder waren bei der Verabschiedung der Hartz-IV-Gesetze die Rechte der Abgeordneten so ziemlich schnurz. Aber Merkel hat diese Haltung auf die Spitze getrieben. Das Bundesverfassungsgericht hat gegen die entfesselte schwarz-gelbe Exekutive immer wieder Brandmauern errichtet. Sei es bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr, sei es bei der Rettung der deutschen Banken, sei es beim europäischen Krisenmanagement. Aber Gerichtsurteile nützen wenig, wenn es keine selbstbewussten Abgeordneten gibt, die ihre Rechte auch einfordern. Und daran fehlt es – leider.

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Geschrieben von

Philip Grassmann

Chefredakteur

Philip Grassmann ist seit 2008 Chefredakteur des Freitag. Zuvor arbeitete er neun Jahre als Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Berlin. Von 1994 bis 1998 war Grassmann Redakteur und später Korrespondent der Welt. Er studierte Politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin sowie der London School of Economics und ist Absolvent der Axel-Springer Journalistenschule.

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