Der Missbrauch

Affäre Der Skandal in der Angelegenheit Edathy liegt im Desinteresse der Politik für rechtsstaatliche Prinzipien. Und die große Koalition fängt gerade erst an
Ausgabe 08/2014

In dem politischen Kleinkrieg, der seit Tagen die Debatte um den Fall Edathy dominiert, ist vollkommen untergegangen, worum es eigentlich geht. Anstatt der Frage nachzugehen, welches Verhältnis die Politik eigentlich zu unserem Rechtsstaat hat und der Rechtsstaat zu seinen Bürgern, ist kein Stein klein genug, um nicht aufgehoben, umgedreht und von allen Seiten beleuchtet zu werden. Inzwischen geht es um verschwundene Laptops und geöffnete Briefe. Die Verhältnismäßigkeit ist verloren gegangen.

Deshalb haben es Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel leicht, wieder zur großkoalitionären Tagesordnung überzugehen. War da irgendetwas außer einer Irritation über den Umgang der Koalition mit dem Fall eines Abgeordneten, der sich im Internet Bilder von nackten Kindern bestellte? Na also. Schwamm drüber.

Doch, da war etwas. Zum Beispiel, dass ein Politiker, dessen Job es ist, als Abgeordneter seine Wähler zu vertreten, nicht einsehen mag, dass der Maßstab für sein Handeln nicht nur darin bestehen kann, ob er das Strafrecht verletzt hat. Sebastian Edathy mag sich im strafrechtlichen Grenzbereich bewegt haben, aber sicherlich jenseits der Grenzen des gesellschaftlich Akzeptablen. Sein Mandat gab er trotzdem erst ab, als es nicht mehr anders ging. Immerhin hat er es, anders als der SPD-Abgeordnete Jörg Tauss, der vor einigen Jahren mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert wurde, freiwillig getan.

Rechtsstaatlichkeit? Schnurzegal

Da ist ein Bundesinnenminister, der qua Amt für die Einhaltung der Verfassung zuständig ist, dem aber die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit schnurzegal ist, wenn es um parteipolitische Interessen wie die der Bildung einer neuen Bundesregierung geht. Einen Fehler vermag Hans-Peter Friedrich darin nicht zu erkennen. Im Gegenteil, wer das so sieht, ist für ihn ein Rechtsverdreher und Winkeladvokat. Auf seine CSU war jedenfalls Verlass. Friedrich wird künftig als stellvertretender Chef der Unionsfraktion weiter über Macht und Einfluss verfügen.

Da ist eine SPD-Fraktion, deren damaliger Parlamentarischer Geschäftsführer Thomas Oppermann es rechtlich völlig unbedenklich findet, den Chef des Bundeskriminalamtes über Anschuldigungen gegen einen Kollegen auszufragen, von denen er offiziell gar nichts weiß. Und da ist ein SPD-Chef, der Sebastian Edathy aus der Partei ausschließen will, obwohl die Ermittlungen noch gar nicht abgeschlossen sind.

Schließlich ist da noch die Staatsanwaltschaft Hannover, die gegen einen Politiker ein Verfahren samt Hausdurchsuchung einleitet, obwohl nach einhelliger Meinung anderer Ermittlungsbehörden strafrechtlich nichts Relevantes vorliegt. In Hannover ging man einfach davon aus, dass nach allgemeiner Erfahrung in solchen Fällen belastendes Material schon noch zu entdecken sein werde.

Das ist nichts anderes als eine Perversion der Unschuldsvermutung. Kungeleien und Durchstechereien gibt es in der Politik seit eh und je. Aber dass bei so vielen hochrangigen Akteuren der Rechtsstaat nichts und die eigenen politischen Interessen alles gelten, ist erschreckend.

Hauptsache, der Laden läuft

Das alles ist kein Zufall. Denn hinter dieser Haltung steht ein Verständnis von Politik, bei dem Prinzipien wenig, ein erfolgsorientierter Pragmatismus aber alles gilt. Mit diesem Politikstil hat das Land in den vergangenen neun Jahren so seine Erfahrungen gemacht. Es ist der Politikstil, mit dem Angela Merkel als Chefin verschiedener Regierungskoalitionen die Republik geprägt hat. Effizientes Management ist der Kanzlerin und ihren jeweiligen Mitstreitern oberstes Gebot gewesen. Hauptsache, der Laden läuft.

Doch dabei ist etwas ins Rutschen gekommen. Denn nicht alle Prinzipien, nach denen die Gesellschaft organisiert ist, lassen sich auf Dauer Erfolgskriterien unterordnen. Ob zum Beispiel die Sozialpolitik darunter fällt, darüber mag man noch streiten. Das Rechtsstaatsprinzip aber fällt ganz sicher nicht darunter. Dass große Teile der Elite, ob nun links oder rechts oder Strafverfolger, das inzwischen anders sehen, ist die eigentliche Lehre aus der Affäre Edathy.

Die herrschenden Verhältnisse in der übergroßen schwarz-roten Koalition werden diese Haltung noch weiter befeuern. Der Allmacht der Regierung hat die Opposition nicht viel entgegenzusetzen. Wo die Kontrolle nur lückenhaft sein kann, wird vieles einfach so durchrutschen. Der kühle Pragmatismus der Regierenden wird die politische Kultur weiter aushöhlen.

Durchgemerkelt

Die Bundeskanzlerin hat sich in der Angelegenheit so wie immer verhalten. Erst tat sie so, als ginge sie das alles nichts an und äußerte sich nicht, um dann, als der öffentliche Druck zu stark wurde, den Landwirtschaftsminister zu feuern. Ein Krisenmanagement war nicht zu erkennen. Sie ließ die Dinge so lange laufen, bis aus der Affäre Edathy eine handfeste Belastung für die Regierung geworden war. Erst als es nicht mehr anders ging, nahm sie die Zügel in die Hand und lud die anderen beiden Parteichefs zum Krisengespräch. Sie hat sich, wie so oft schon, durchgemerkelt. Das Bild von der Präsidialkanzlerin hat auch die Koalitionsrauferei der vergangenen Tage nicht trüben können.

Ob das auch in diesem Fall eine kluge Strategie war, wird sich noch zeigen. Das Vertrauen der Koalitionäre ineinander ist jedenfalls nachhaltig erschüttert.

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Geschrieben von

Philip Grassmann

Chefredakteur

Philip Grassmann ist seit 2008 Chefredakteur des Freitag. Zuvor arbeitete er neun Jahre als Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Berlin. Von 1994 bis 1998 war Grassmann Redakteur und später Korrespondent der Welt. Er studierte Politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin sowie der London School of Economics und ist Absolvent der Axel-Springer Journalistenschule.

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