Ein unappetitliches Spiel

Hartz-Debatte Die Hartz-Debatte wird ausländerfeindlich. Auch liberale Zeitungen beteiligen sich. Gegen alle Fakten. Denn immer weniger Migranten liegen dem Steuerzahler auf der Tasche

Deutschland ist ein Einwanderungsland. Das ist eine Tatsache, die die Parteien in diesem Land inzwischen weitgehend anerkennen. Die deutsche Gesellschaft braucht Zuwanderung. Auch das ist eine Tatsache, über die sich die Politik weitgehend einig ist.

Wenn es aber um das Zusammenleben von Migranten und Deutschen geht, wird oft bedenkenlos geholzt. Der ehemalige Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin ist dabei der profilierteste, aber bei weitem nicht einzige, Politiker. Und, man soll sich da nichts vormachen: Einige der Sarrazinschen Äußerungen bekommt man auch etwas weniger zugespitzt an vielen Orten in diesem Land zu hören. Leider. Das ist alles nichts Neues.

Neu ist allerdings, dass sich nun auch die Zeit an dem unappetittlichen Spiel beteiligt, mit Vorurteilen gegen Ausländer zu spielen. In der aktuellen Ausgabe erwähnt Chefredakteur Giovanni di Lorenzo in seinem Artikel über Hartz IV eine Studie des Bundesarbeitsministeriums, nach der Migranten und ihre in Deutschland geborenen Nachkommen doppelt so häufig auf Sozialhilfe angewiesen seien, wie der Rest der Bevölkerung. Der Zeit-Chef weiß auch warum. Einerseits liege das an der geringen Qualifikation von Migranten und den damit verbundenen schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Und fährt fort: „Andererseits drängt sich der Verdacht auf, dass unser in Deutschland so angefeindetes Sozialsystem immer noch attraktiv genug ist, dass es eine massenhafte Einwanderung in die sozialen Netze auslöst“.

Man glaubt es kaum, so einen Satz in der liberalen Zeit zu lesen.

Aber der Zeit-Chef kann beruhigt sein. Der Verdacht, der sich ihm bei der Lektüre der Studie aufgedrängt hat, ist gänzlich unbegründet. In Deutschland existiert eine massenhafte Zuwanderung in die sozialen Netze allenfalls in den Köpfen von ultrakonservativen Hardlinern. Und dafür gibt es einen Grund: Das Ausländerrecht ist nämlich in den vergangenen Jahren Stück um Stück verschärft worden, so dass es gar keine Möglichkeiten mehr für eine massenhafte Einwanderung in die sozialen Netze gibt. Das letzte Fenster, das dafür eine Möglichkeit bot, hat die große Koalition mit der Reform des Familiennachzugs geschlossen.

Heute muss jeder Migrant, der seine Familie nach Deutschland holen will, nachweisen, dass er ihren Unterhalt bezahlen kann. Diese Prüfung gilt auch für jeden weiteren Aufenthaltstitel, also beispielsweise für ausländische Studenten. Das Bundesverwaltungsgericht hat erst kürzlich in einem Urteil die Voraussetzung sogar noch einmal verschärft. Und Asylbewerber werden schon lange zum allergrößten Teil von Deutschlands Nachbarn aufgenommen – das sieht das EU-Recht so vor. Wie es unter diesen Umständen zu einer massenhaften Zuwanderung in die sozialen Netze kommen soll, ist ein Rätsel, das wohl nur di Lorenzo lösen kann.

Im Migrationsbericht ist jedenfalls nachzulesen, dass sich die Schere zwischen Zuzug und Wegzug von Migranten seit Jahren immer weiter schließt.

Zeit-Chef di Lorenzo fordert in seinem Artikel, sich endlich sachlich mit den eigentlichen Problemen von Hartz IV zu beschäftigen. Da wiederum kann man ihm nur zustimmen. Der angebliche Zustrom von Ausländern auf Kosten des deutschen Steuerzahlers gehört aber ganz sicher nicht dazu.

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Geschrieben von

Philip Grassmann

Chefredakteur

Philip Grassmann ist seit 2008 Chefredakteur des Freitag. Zuvor arbeitete er neun Jahre als Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Berlin. Von 1994 bis 1998 war Grassmann Redakteur und später Korrespondent der Welt. Er studierte Politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin sowie der London School of Economics und ist Absolvent der Axel-Springer Journalistenschule.

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