Merkel hat es in der Hand

Kommentar Nach dieser Wahl wird nichts mehr so sein wie früher. Die rechten EU-Skeptiker sind auf dem Vormarsch. Die Europäische Union steht an einem Scheideweg
Besonders gut abgeschnitten hat die Partei von Angela Merkel bei der EU-Wahl nicht. Trotzdem führt an ihr kein Weg vorbei
Besonders gut abgeschnitten hat die Partei von Angela Merkel bei der EU-Wahl nicht. Trotzdem führt an ihr kein Weg vorbei

Foto: AFP/ Getty Images

Es ist schon paradox. Noch nie zuvor in der Geschichte des Europäischen Parlaments hatten die Abgeordneten mehr zu sagen. Und trotzdem haben die Bürger noch nie so viele Europaskeptiker in das Parlament mit Sitz in Straßburg und Brüssel gewählt. Es werden wohl an die 100 Abgeordnete sein, die die Europäische Unionin den nächsten Jahren aus dem Parlament heraus bekämpfen werden. Die rechten EU-Skeptiker sind auf dem Vormarsch. In Frankreich ist der rechtsextreme Front National bei der EU-Wahl sogar zur stärksten Partei geworden. Ebenso die Ukip in Großbritannien. Und die rechtspopulistische Dänische Volkspartei In Dänemark. Aber auch hierzuland hat die rechtskonservative, EU-feindliche Alternative für Deutschland stark abgeschnitten.

Nach dieser Wahl ist nichs mehr so, wie es früher war. Nicht nur der Ton und der Umgang wird sich im EU-Parlament ändern. Auch die Themen werden andere sein. Die Gegner der europäischen Integration werden mobil machen und nichts unversucht lassen, um weiter an Einfluss und Stimmen zu gewinnen.

Viel wird davon abhängen, wie die Politik auf dieses Wahlergebnis reagieren wird. Es gibt zwei Möglichkeiten und in beiden Varianten spielt die deutsche Kanzlerin Angela Merkel die zentrale Rolle. An ihr vorbei kann niemand in der EU Politik machen. Sie gibt die Richtung vor, egal ob man das nun gut oder schlecht findet. Bisher hat sie mit ihrere auf deutschen Interessen fokussierten Politik dazu beigetragen, dass die EU-Gegner in den Nachbarländern immer stärker geworden sind.

Nun steht die EU an einem Scheideweg. Immer mehr Menschen wenden sich von der europäischen Idee ab; aus Enttäuschung, aus Unverständnis, aus Langeweile. Oder aus Wut über das ebenso harte wie ungerechte Management der Euro-Krise und die deutsche Dominanz in der EU. Die europäische Idee wird sich nur widerbeleben lassen, wenn sie endlich auch eine soziale Dimension erhält. Und wenn die Nationalstaaten, insbesondere Deutschland, ein ernstzunehmendes Gegengewicht im EU-Parlament erhalten würde.

Merkel hat das in der Hand. Sie kann entweder das Wahlergebnis ignorieren und die bevorstehende Entscheidung über den neuen Kommissionschef wie bisher im Kreise ihrer Kollegen auskungeln. Oder sie kann das demokratische Mandat der EU-Bürger ernst nehmen und den Kandidaten zum zum Nachfolger von Manuel Baroso machen, der im EU-Parlament eine Mehrheit hinter sich hat. Das würde auch eine Institution stärken, die durch den Einzug der EU-Gegner stark unter Druck geraten ist. Und ein Anfang wäre gemacht. Denn die EU krankt ja nicht an Erfolgen, sondern daran, dass sie so schwache Institutionen hat und niemand so recht durchschaut, wofür sie eigentlich gut sind.

Schwache Institutionen und eine ungerechte, an deutschen Interessen orientierte Politik: Das ist der Boden, auf dem rechtspopulistische Wahlerfolge in den Nachbarländern gedeihen. Das Wahlergebnis von diesem Sonntag ist ein Alarmsignal. Man kann nur hoffen, dass es nicht überhört wird.

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Geschrieben von

Philip Grassmann

Chefredakteur

Philip Grassmann ist seit 2008 Chefredakteur des Freitag. Zuvor arbeitete er neun Jahre als Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Berlin. Von 1994 bis 1998 war Grassmann Redakteur und später Korrespondent der Welt. Er studierte Politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin sowie der London School of Economics und ist Absolvent der Axel-Springer Journalistenschule.

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