Es ist nichts Anrüchiges daran, wenn eine Partei an die Macht will, es sollte eigentlich ihr oberstes Ziel sein. Dass also die Sozialdemokraten so energisch mit Angela Merkel über eine Regierungsbeteiligung ringen, gehört zum normalen Polit-geschäft. Immerhin. Denn am Willen zur Macht konnte man bei der SPD in den vergangenen Monaten durchaus Zweifel haben. Erst nominierte sie einen ungelenken Kanzlerkandidaten, dann setzte sie sich ein unrealistisches Wahlziel, und als sich wider Erwarten mit Grünen und Linken doch die rechnerische Möglichkeit bot, Merkel abzusetzen, war das kein Thema. Man mag dies bedauern. Aber das ist Vergangenheit.
Nun geht es also nicht mehr gegen die bisherige Kanzlerin, sondern nur noch mit ihr. Ein Mann hat darauf besonders zielstrebi
zielstrebig hingearbeitet: SPD-Chef Sigmar Gabriel. Bei der Spitzenkandidatur ließ er Peer Steinbrück den Vortritt, im Wahlkampf tat er nur das Nötigste oder das Falsche, und als sich jene Niederlage abzeichnete, mit der ohnehin alle gerechnet hatten, schmiedete er längst Pläne für die Zeit nach der Wahl. Jetzt ist Gabriel wieder präsent und auf dem besten Weg, zum starken Mann der SPD zu werden. So stark, wie es in der Partei seit langer Zeit niemanden mehr gegeben hat.Das zeigte sich insbesondere bei den Sondierungsgesprächen mit der Union. Gabriel war dort auf SPD-Seite die treibende Kraft. Es ging dabei nicht nur um einen Mindestlohn von 8,50 Euro, um das Betreuungsgeld oder Steuererhöhungen für Wohlhabende. Um ein achtbares Ergebnis also, das die SPD vor ihren Mitgliedern vertreten kann. Es ging auch darum, wie hoch die Forderungen geschraubt werden sollen – und darum, wer in der SPD künftig das Sagen hat. Denn die Skepsis der Basis vor einer Großen Koalition ist nach wie vor groß. Schließlich kam die Partei nach dem letzten Experiment dieser Art arg unter die Räder.Folgt die Partei Gabriel?Das weiß natürlich auch Gabriel. Schritt für Schritt hat er sich vorgetastet, immer in enger Absprache mit den übrigen Spitzengenossen. Das Ganze ist ein Akt auf dem Hochseil, ein Absturz ist jederzeit möglich. Doch wenn alles so läuft, wie es Gabriel gerne hätte, dann steht am Ende ein Koalitionsvertrag mit der Union und ein Votum der Basis, ob das Verhandlungsergebnis akzeptabel ist. Ohne diese Zustimmung werden die Sozialdemokraten nicht am Kabinettstisch mit Angela Merkel Platz nehmen. Doch was wie ein Musterbeispiel an Basisdemokratie daherkommt, ist in Wirklichkeit ein knallhartes Machtinstrument, mit dem Gabriel sich absichern und unangreifbar machen will. Das Risiko ist erheblich: Verweigert ihm die Partei die Gefolgschaft, wäre seine politische Karriere wohl zu Ende. Gewinnt er aber die Abstimmung, hätte Gabriel ein Mandat, das weit über die Große Koalition hinausgeht. An ihm als Kanzlerkandidaten wird bei der nächsten Wahl dann kein Weg vorbeiführen. Sigmar Gabriel, Superstar.Das hat wohl auch Hannelore Kraft gemerkt, die immer wieder als kommende Herausforderin von Angela Merkel gehandelt wird. Dass nun alles so auf Sigmar Gabriel zuläuft, kann ihr nicht recht sein. Kein Wunder also, dass sie unablässig gegen die Große Koalition stänkert. Und es sprechen ja – neben persönlichen Ambitionen und den schlechten Erfahrungen 2009 – noch andere Gründe dafür, die Finger von Schwarz-Rot zu lassen. Warum sollte sich die SPD auf die Zwänge eines Koalitionsvertrages einlassen? Warum sollte sie jetzt Kompromisse schließen, von denen niemand weiß, ob sie in zwei Jahren noch sinnvoll sind? Warum sollte man das Monopol auf eine linke Opposition Gregor Gysi überlassen?Nein, die SPD könnte es viel einfacher haben. Denn auch bei einer schwarz-grünen Koalition säße die SPD immer als unsichtbarer Dritter mit am Kabinettstisch. Eine Bundesregierung ohne die Sozialdemokraten könnte wegen der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat nur wenig entscheiden. Merkel wäre eine Kanzlerin ohne Land. Und sie wäre abhängig von der Kompromissbereitschaft der SPD-regierten Länder – angeführt von Hannelore Kraft. Es ist kein Wunder, dass es bei den Sondierungsgesprächen besonders zwischen der NRW-Ministerpräsidentin und der Union krachte. Und auch wenn nach dem Ausstieg der Grünen aus den Sondierungsgesprächen jetzt alles auf eine Große Koali-tion hinausläuft: Ob am Ende die Bildung einer neuen Regierung steht, ist ja nach wie vor vollkommen offen.Dennoch spricht vieles für Gabriels Weg in eine Große Koalition. Denn Angela Merkel wäre eine getriebene Kanzlerin. Schließlich gibt es nach wie vor eine potenzielle rot-rot-grüne Mehrheit im Bundestag. Und nirgendwo steht geschrieben, dass Koalitionen grundsätzlich vier Jahre halten müssen. Mehr als ein Zweckbündnis wäre Schwarz-Rot ohnehin nicht. Eine Mehrheit für ein konstruktives Misstrauensvotum oder gar Neuwahlen ließen sich im Bundestag bei Bedarf sicher organisieren. Und ein Anlass dafür wird sich ohne Zweifel in den nächsten Jahren ergeben. Die Euro-Krise schwelt weiter, auch innenpolitisch stehen einige große Brocken auf der Agenda. Die Große Koalition als Sprungbrett für ein linkes Reformbündnis? Gabriel wäre dafür der richtige Mann. Und als Parteichef und Vizekanzler der Einzige, der es anpacken und durchsetzen könnte.