Verfilzt und zugenäht!

Lobbyismus Am Donnerstag wurde im Bundestag über Karenzzeiten für Politiker debattiert. Fest steht aber schon jetzt, dass es Ronald Pofalla an Fingerspitzengefühl gefehlt hat
Ausgabe 02/2014
Abschiedsküsschen von der Regierungschefin
Abschiedsküsschen von der Regierungschefin

Foto: Davis Gannon/ AFP/ Getty Images

Noch immer ist nicht abzusehen, ob Ronald Pofalla tatsächlich Chef-Lobbyist im Vorstand der Bahn wird. Der Widerstand gegen ihn wuchs nicht zuletzt im Aufsichtsrat des Unternehmens. Auch die Opposition äußerte Kritik, am Donnerstag wurde auf Antrag von Grünen und Linken im Bundestag über gesetzliche Übergangsfristen für den Wechsel von Regierungsmitgliedern in die Wirtschaft debattiert. Sicher ist jedoch schon jetzt, dass die Idee, Pofalla als hochbezahlten Manager in dem Staatsunternehmen zu installieren, ein Beitrag zur allgemein grassierenden Politikerverachtung ist.

Es ist übrigens nicht der erste, den wir Angela Merkels Spitzenpersonal zu verdanken haben. Wegen des Wechsels von Staatsminister Eckart von Klaeden zum Daimler-Konzern ermittelt die Staatsanwaltschaft. Und der inzwischen weitgehend vergessene Norbert Röttgen wollte einst Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Industrie werden, gleichzeitig aber sein Mandat als Bundestagsabgeordneter behalten. Das ging selbst den eigenen Parteifreunden zuweit.

Wenn in Deutschland ein Politiker die Seiten wechselt und bei der Wirtschaft anheuert, dann reagiert die Öffentlichkeit – zu Recht – äußerst sensibel. Denn in den allermeisten Fällen empfehlen sich die Kandidaten nicht durch ihre Management-Qualitäten, sondern durch die Kontakte und Netzwerke, die sie in ihrer politischen Laufbahn aufgebaut haben. Die Unbekümmertheit, mit der zu Werke gegangen wird, steht dabei in umgekehrten Verhältnis zu dem Misstrauen, das beim Bürger besteht. Unerreicht ist bis heute die Chuzpe eines Gerhard Schröder, der erst die Ostsee-Gaspipeline mit seinem russischen Männerfreund Wladimir Putin einfädelte und nach dem Ende seiner Kanzlerschaft als gut bezahlter Lobbyist für Gazprom mithalf, die Sache erfolgreich über die Bühne zu bringen.

Fehlendes Fingerspitzengefühl

Man kann von einem Politiker sicherlich nicht erwarten, dass er nach dem Aussscheiden aus dem Amt hauptberuflich Debatten auf Phoenix verfolgt. Was man dagegen schon erwarten kann ist ein gewisses Fingerspitzengefühl im Umgang mit der Frage, wo man die nächsten Jahre seine Brötchen verdienen will. Schließlich gehört ein professioneller Umgang mit der Öffentlichkeit zu den wichtigsten Qualifikationen eines Politikers. Man fragt sich allerdings, wie sich dieses Fingerspitzengefühl in einem Land entwickeln soll, in dem es beispielsweise ein Mann wie der einstige Ministerpräsident Christian Wulff ganz normal findet, mit seinen Freunden aus der Wirtschaft gemeinsam in den Urlaub zu fahren. Zu erkennen, was geht und was nicht – das überfordert offenkundig nicht nur Wulff. (Und dabei spielt es keine Rolle, wie das Verfahren wegen Vorteilsnahme ausgehen wird.)

Merkels mütterlicher Rat an Ronald Pofalla, doch etwas Zeit zwischen altem und neuem Job vergehen zu lassen, hilft da nicht weiter. Er war ohnehin nur dazu gedacht, die Kanzlerin aus der Schusslinie zu nehmen. Ihren Staatsminister von Klaeden jedenfalls ließ sie gewähren, als es um die EU-Abgasnormen für Autos ging, obwohl sie wusste, dass der Mann in wenigen Wochen in die Konzernzentrale von Daimler wechseln würde. Das alles zeigt: Von einigermaßen geordneten Verhältnissen sind wir noch weit entfernt.

Die NGO Lobby-Control fordert seit langem, dass zwischen politischem Amt und neuem Job in der Wirtschaft eine Karenzzeit von bis zu drei Jahren liegen sollte. Für das EU-Spitzenpersonal gilt eine Zwangspause von 18 Monaten. So eine Regelung wäre zumindest mal ein Anfang. In einem Interview hat Roland Pofalla einmal eine seiner Lebensweisheiten preisgegeben: „Kein Problem verschwindet dadurch aus der Welt, dass man es verschlossen hält.“ Da hat der Mann zweifellos Recht.

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Geschrieben von

Philip Grassmann

Chefredakteur

Philip Grassmann ist seit 2008 Chefredakteur des Freitag. Zuvor arbeitete er neun Jahre als Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Berlin. Von 1994 bis 1998 war Grassmann Redakteur und später Korrespondent der Welt. Er studierte Politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin sowie der London School of Economics und ist Absolvent der Axel-Springer Journalistenschule.

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