Vermummen oder Filmen lassen?

Demonstrationsrecht In Berlin soll das Filmen von Demonstrant_innen bei Demonstrationen polizeilich generell erlaubt werden. Dabei gibt es gute Gründe dagegen

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Im Abgeordnetenhaus von Berlin kam es letzte Woche fast zum Eklat. Mehrere Fraktionen verließen das Plenum, nachdem die Berliner Koalition versuchte in letzter Minute einen Gesetzesentwurf durchzubringen, der es der Berliner Polizei gestattet soll dauerhaft und legal auf Demonstrationen filmen zu dürfen. Am Mittwoch nun berät der Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses über die rechtliche Zulässigkeit der Maßnahmen.
Das Szenario kennt Mensch leider schon. Spätestens seit dem Vorfall während der Fußball WM, als im Bundestag ein kläglicher Rest von Abgeordnet_innen einen Gesetzesentwurf für das neue Meldegesetz durchgewunken hat und hoffte dass dies möglichst ohne wirbel verläuft. Es scheint fast so, als hätte die Berliner Koalition etwas Ähnliches versucht, denn auch im Berliner Plenum waren bei der Lesung des Gesetzesentwurfes nur noch eine Handvoll Stimmberechtigte anwesend. Die Große Koalition brachte den Entwurf für eine Neuregelung der Polizeibefugnisse ein.
Es ging um das abfilmen von Demonstrant_innen, ohne einen konkreten Anlass. Dies ist offiziell zurzeit nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig, wie z.B. bei begangenen Straftaten und um diese beweissicher zu dokumentieren. Nun sollen die Beamt_innen auch in "unübersichtlichen Situationen filmen dürfen, um den eigenen Einsatz koordinieren zu können". Der Fraktionsvorsitzende der Berliner Grünen Benedikt Lux äußerte: "Die Polizei kann sich per Funk mit ihren mobilen Beamten auf Motorrädern und Fahrrädern verständigen, das muss reichen.“ Stattdessen fordern die Grünen eine Lockerung des Vermummungsverbotes.
Da die gängige Praxis der Berliner Polizei bereits jetzt anders ist, als im Plenum diskutiert, greifen immer mehr Teilnehmer_innen zu kreativen Verkleidungen, um gegen das dauerhafte und willkürliche Filmen zu protestieren. Außerdem gibt es für Vermummung auch gute Gründe, wie viele Menschen finden, die jenseits von öffentlich beachteten Demonstrationen z.B. sich Neonazis in den Weg stellen. Denn bei Neonazi-Aufmärschen filmen eben diese teils immer aggressiver und erstellen wie im Falle der Neonazi-Plattform "NW-Berlin" direkte Listen mit politischen Gegner_innen. In der Vergangenheit hat sich hierbei viel Unmut aufgestaut, denn einige haben bereits Erfahrungen gemacht. Erst setzt die Berliner Polizei ein Vermumungsverbot, teils mit einiger Gewalt durch und dann kurz im Anschluss daran, setzten sich natürlich die Recherche-Trupps der Neonazis in Bewegung und freuen sich über die "Amtshilfe".

Beweis- und Dokumentationsfahrzeuge im Hintergrund


Nachdem immer mehr Teilnehmer_innen für das Thema der Kameraüberwachung auf Demonstrationen sensibilisiert sind, lässt die Berliner Polizei ihre Beweis- und Dokumentationsfahrzeuge eher im Hintergrund agieren. Dennoch sind sie fast immer da und wer sich mal die Mühe gemacht hat einen Blick in die Fahrzeuge zu werfen, wird festgestellt haben, dass die Kameras dort auch immer laufen und die Szenerie filmen. Die Qualität von solchen Aufnahmen erlaubt es sowieso, aus den Übersichtsaufnahmen im Zweifel auch auf einzelne Personen zoomen zu können. Ob der Beweissicherungswagen nun aufnimmt, die Bilder in eine Leitstelle sendet, wo sie wiederum aufgenommen werden könnten, oder eben nicht, können die Teilnehmer_innen einer Demonstration im Zweifel nicht selber feststellen. Also gehen viele die auf Demonstrationen gehen mittlerweile dauerhaft davon aus, dass sie gefilmt und registriert werden.
Letzteres ist als zukünftiges Szenario wahrlich nicht übertrieben. Wer sich einmal mit Gesichtserkennungs-Software beschäftigt hat, wird sich sehr bildlich vorstellen können, wozu eine Sammlung von Demonstrationsteilnehmer_innen auf diversen Veranstaltungen schnell auch benutzt werden könnte. Außerdem kritisieren Gegner_innen solcher Maßnahmen, dass zwar oft vor Gericht Videoaufnahmen für eine Anklage verwendet werden, aber bei der Entlastung von Beschuldigte_n diese oft auf mystische Weise nicht gesichert, überschrieben, oder durch Datenverlust verloren gegangen seien. Somit bleibt ein schaler Beigeschmack bei der Forderung des Einsatzes von dauerhaften Videoaufnahmen. Die Ängste sollten ernst genommen werden.
Die Piraten werfen Frank Henkel unterdessen vor, dieses Gesetz noch schnell vor dem anstehenden Ersten Mai durchdrücken zu wollen. Im Rechtsausschuss soll nun über die Formulierungen im Gesetzestext beraten werden, denn diese fordern nämlich, dass die Polizei filmen dürfe, „wenn dies wegen der Größe oder Unübersichtlichkeit der Versammlung oder des Aufzugs im Einzelfall zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes erforderlich ist“. Pirat Oliver Höfinghoff kritisiert laut TAZ, dass Formulierungen wie „’Größe‘ und ’Unübersichtlichkeit‘ geradezu einladen, das Recht sehr weit auszudehnen“. Eine Debatte über den generellen Einsatz von Videomaßnahmen wäre angebrachter scheint es, aber durch die Eilbeschlüsse der Großen Koalition kaum noch möglich.

Der Entwurf der Großen Koalition findet sich hier Online auf der Seite des Berliner Abgeordnetenhaus.

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Geschrieben von

Andreas Potzlow

Freier Fotograf und Journalist aus Berlin.

Andreas Potzlow

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