Was nützt "grüner Konsum"?

Faktencheck Wie weit trägt die viel beschworene Macht des Verbrauchers: Können wir durch den Kauf von Bio-Produkten wirklich zu mehr Nachhaltigkeit beitragen?

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Was nützt "grüner Konsum"?

Sie ist viel beschworen: Macht des Verbrauchers. Aber was hat der Verbraucher wirklich in der Hand? Allein im vergangenen Jahr ist der Umsatz von Bio-Produkten in Deutschland um neun Prozent gestiegen. Hat das irgendeinen positiven Effekt mit Blick auf Nachhaltigkeitsziele? Oder: Würde man der Erreichung Klimaschutzvereinbarungen bedeutend näher kommen, wenn wir alle konsequent versuchen würden, im privaten Haushalt Energie zu sparen?

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Die Ausgangsfrage

Welchen Effekt hat „grüner Konsum“? Und was sind eigentlich die Ziele, die es zu erreichen gilt? Könnte „grüner Konsum“ – sofern er sich denn durchsetzt – auch dazu führen, dass Landverbrauch, Nitratbelastung und Versauerung der Meere im langfristig nötigen Maß zurückgefahren werden? Dass artgerechte Tierhaltung und faire globale Produktionsbedingungen sich durchsetzen? Angesichts begrenzter Ressourcen lohnt es sich, darüber nachzudenken, welche Bemühungen am meisten Früchte tragen. Dies zeigt ein Beispiel, welches das Magazin Enorm kürzlich in einer Titelgeschichte zum Thema „grüner Konsum“ vorstellte: Ein Jahr lang Kartoffeln statt Reis zu essen spart ungefähr zehn Kilogramm CO2 ein. Ein energieeffizienter Kühlschrank spart rund 150 Kilogramm. Die bessere Wärmedämmung in den eigenen vier Wänden mehr als 1000 Kilogramm. Das heißt: Ein Verbraucher, der viel Bio-Lebensmittel kauft, sie aber in einem alten, stromfressenden Kühlschrank aufbewahrt, erreicht nicht viel. Genauso wie der der autolose Ökostrom-Kunde, der versucht, seine schlecht gedämmte Altbauwohnung warmzuhalten. Also: Ist der Ehrgeiz, den wir als „grüne Konsumenten“ an den Tag legen, wenn wir im Bio-Supermarkt einkaufen und daheim versuchen, Heizenergie und Strom zu sparen, sinnvoll investierte Mühe oder ein sprichwörtlicher Kampf gegen Windmühlen? Die Recherche gliedert sich in drei Teile:

  1. Welchen Anteil hat privater Verbrauch überhaupt an CO2-Emissionen und anderen Nachhaltigkeits-Indikatoren?
  2. Welche Anzeichen gibt es dafür, dass Konsumverhalten sich in Richtung auf größere Nachhaltigkeit verändern kann?
  3. Wie relevant sind zu erwartende oder praktisch mögliche Effekte „grünen“ Konsums mit Blick auf Nachhaltigkeitsziele insgesamt?

Zusammenfassung. Das Ergebnis der folgenden Untersuchung zeigt: Im Einzelnen ist schwierig, Effekte „grünen“ Konsums zu quantifizieren. Hauptgrund dafür ist, dass man kaum absehen kann, wie einzelne Konsumhandlungen sich auf das große Ganze auswirken und ob nicht Erfolge im einem Bereich durch Rückschläge an anderer Stelle wieder zunichte gemacht werden. Dennoch werfen die zusammen getragenen Ergebnisse die Frage auf, was in der gegebenen Situation die beste Entscheidungsstrategie ist. Unser Vorschlag (der am Ende dieses Beitrages zur Diskussion gestellt wird): Es nützt wenig, schlechthin „grünen Konsum“ und andere Instrumente wie zum Beispiel die gesetzliche Regulierung industrieller Produktion einander gegenüber zu stellen. Sinnvoller ist eine fallweise Herangehensweise. Die Leitfrage lautet entsprechend: Wo ist es erfolgversprechender, auf freiwilligen oder durch sanften Zwang geleiteten „grünen“ Konsum zu setzen – wo auf harte gesetzliche Regulierung? Die in dem folgenden Bericht vorgestellten Untersuchungen aus dem Bereich der sozialökologischen Forschung könnten helfen, diese Frage zu beantworten.

1. Welchen Anteil hat Konsum?

Die Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen zeichnet für den Endenergieverbrauch in Deutschland (2011) folgendes Bild: Vom Endenergieverbrauch insgesamt (8.744 Petajoule) gehen in

  • Industrie: 30 Prozent (2.624 PJ)
  • Verkehr: 29 Prozent (2.572 PJ)
  • Haushalte: 25 Prozent (2.194 PJ)
  • Gewerbe, Handel, Dienstleistungen: 15 Prozent (1.355 PJ)

Nach dieser Aufschlüsselung liegt allein der Posten „Haushalt“ in der Hand des Verbrauchers. So betrachtet, scheint die Hebelwirkung des privaten Verbrauchs erst einmal relativ gering – zumal von den 25 Prozent des Endenergieverbrauchs, die auf die privaten Haushalte entfallen, drei Viertel durch das Heizen verursacht werden. Aber die Betrachtung greift zu kurz. Dies zeigt der Vergleich mit anderen Kennzahlen:

  • Private Konsumausgaben machen über 57 % (2011) der Verwendung des deutschen Bruttoinlandproduktes aus
  • Eine für Ungarn erstellte Studie beziffert den Anteil allein des Lebensmittelverbrauches in privaten Haushalten am nationalen ökologischen Fussabdruck auf 40 Prozent (Mózner Vet né & Csutora 2011)
  • Eine spanische Untersuchung hat als Anteil des Endverbrauches an den gesamten CO2-Emissionen auf 50-70 Prozent errechnet (Marin, Mazzanti & Anna, 2011)

Diverse Untersuchungen zeigen außerdem, dass das Niveau des privaten Verbrauches sich allein in den (relativ wohlstandsgesättigten) europäischen Ländern in jüngster Vergangenheit noch einmal kräftig angezogen hat (Lavelle 2011). Dies unterstreicht, als Tendenz, noch einmal die Relevanz des Sektors „Konsum“. Weitere Untersuchungen zeigen, dass sich durch Änderungen im Verbraucherverhalten deutliche Effekte erzielen ließen. So gibt es zwar keine Daten für den Effekt der Umstellung der Ernährung auf „Bio“ – wohl aber für Folgen des Fleischverzichtes. Dieser würde den ökologischen Fussabdruck des Verbrauchers um 12 Prozent reduzieren. Eine veganische Lebensweise würde sogar zu einer Entlastung von 36 Prozent führen (Berechnung für Ungarn: Mózner Vet né & Csutora, 2011. Vgl auch http://fleischfrage.wwf.de/). Deutliche Wirkungen hat auch die energieeffiziente Sanierung des Eigenheims. Die Fortschritte in diesem Bereich lassen sich deutlich mit Zahlen belegen (Habermann u.a. 2012)

  • Energieverbrauch in unsaniertem EFH: 255 kWh/qm/Jahr
  • Energieverbrauch in saniertem/fassadengedämmten EFH: 82 kWh/qm/Jahr

Zwischenfazit: Auch wenn es sich nicht eindeutig beziffern lässt – die Zahlen zeigen, dass privater Verbrauch einen signifikanten Anteil an der Verursachung von Umweltschäden hat. Mehr lässt sich vorerst kaum konstatieren. Zugleich wird deutlich, wie man die Ausgangsfrage präzisieren müsste, um deutlicher Antworten zu erhalten: An was hat privater Konsum einen deutlichen Anteil: CO2-Emissionen? Ökologischer Fußabdruck? Und: Wonach soll man entscheiden, was dem Posten „Konsum“ alles zugerechnet wird? In der Tendenz zeigt sich ferner: Ein verändertes Verbraucherverhalten würde zu deutlichen Reduktionen der Belastungen führen. Zunächst sind diese Reduktionsmöglichkeiten allerdings blanke Theorie. Schließlich stehen die Chancen denkbar schlecht, dass wir alle über Nacht zu Vegetariern (oder gar Veganern werden) oder unsere Häuser und Wohnungen mit großem Aufwand energieeffizient sanieren. Oder?

2. Bewegter Verbraucher?

Welche Anzeichen gibt es dafür, dass Verbraucher willens und in der Lage sind, ihr Konsumverhalten zu ändern? Verschiedene Wege sind denkbar, mit denen die Konsumenten dazu gebracht werden könnten, ihr Verhalten zu ändern. Einer dieser Wege ist der Appell ans gute Gewissen. Neutraler formuliert: Information. Sanfter Zwang: Information. Ein Mittel, um über den Weg von Informationen den Verbraucher zu „grünerem“ Konsum zu bewegen, sind Zertifikate – also Produktlabel wie der Blaue Engel, das Bio-Siegel oder Fairtrade. Zertifikate helfen dem Verbraucher, sich auch dann zu orientieren, wenn ihm das entsprechende Detailwissen fehlt. Damit am Ende auch wirklich etwas dabei herauskommt, müssen allerdings bestimmte Bedingungen erfüllt sein: Es muss sinnvolle und möglichst einheitliche Standards für die Zertifizierung geben. Und die Botschaft, die mit den Zertifikaten einhergeht, muss bei den Verbrauchern auch ankommen. Letzteres ist durchaus der Fall: Bis zu 50 Prozent der Verbraucher wissen etwas mit Zertifikaten wie dem Blauen Engel oder dem Bio-Siegel anzufangen (ohne allerdings im Detail zu wissen, was sich dahinter verbirgt). Problematischer steht es um die Standards: Hier herrscht weitgehend Wildwuchs und inhaltliche Überschneidung kreuz und quer. Besserung ist möglich und in Sicht: Öko-Institut und IÖW haben gemeinsam dem BMELV einen Bericht vorgelegt, in dem sie aufzeigen, wie das Zertifikatewesen verbessert werden könnte (Rubik, Scholl und Teufel, 2011). Nun hilft Information alleine wenig, wenn diese nicht zu entsprechendem Verhalten führt. Hier ist das Beispiel von so genannten smart meters instruktiv: intelligenten Mess-Systemen, die den Energieverbrauch im privaten Haushalt messen und somit beim gezielten Sparen vor allem von Strom helfen. Der Einsatz von smart meters ist in verschiedenen Forschungsprojekten getestet worden – mit gemischtem Erfolg:

  • 40 % der Verbraucher glauben, mithilfe von smart meters im Monat mehr als fünf bis zehn Euro Stromkosten sparen zu können
  • Tatsächlich konnten in Fallstudien Einsparungen von 3,5 Prozent erzielt werden
  • 10 % der Verbraucher sind bereit, für die Installation eines smart meters mehr als einen Euro im Monat auszugeben (Globisch u.a. 2011)

Aufgrund dieser Ergebnisse könnte man durchaus zu dem Schluss kommt, dass es am besten wäre, smart meters zwangsweise einzuführen. Funktioniert aber nicht. Tatsächlich spart nämlich nur ein kleiner Teil der Haushalte mit Hilfe von smart meters. In Simulationsmodellen ließen sich deshalb die meisten Kilowattstunden einsparen, wenn die Verwendung von smart meters auf freiwilliger Basis erfolgte (Bothe u.a., 2011). Strafe durch Steuern. Informationen sind ein Weg. Die Androhung finanzieller Strafen – also Steuern – ist ein anderer Weg, um den Verbraucher dazu zu bringen, sein Verhalten zu ändern. Positive Anreize wie Fördergelder sind die andere Seite der Medaille. Wie gut funktionieren finanzielle Anreize? Was die Reduktion von Heizenergie betrifft, so sind in der jüngeren Vergangenheit deutliche Fortschritte erzielt worden. Staatliche Förderprogramme haben dazu vermutlich entscheidend beigetragen. Hier die Statistik (Graichen u.a. 2011):

  • Heizenergie-Verbrauch pro Person 1998: 7,5 Mwh
  • Heizenergie-Verbrauch pro Person 2007: 6,5 Mwh

Was den Nahrungsmittelkonsum betrifft, hat bereits jemand mit Hilfe mathematischer Modelle ausgerechnet, wie stark die Preise durch höhere Steuern bedingt steigen müssten, damit die Verbraucher am Ende weniger Fleisch und Milchprodukte verzehren (Duman und Grethe). Die Ergebnisse klingen vielversprechend:

  • mehr als 40 Prozent weniger Nachfrage nach Rindfleisch in OECD-Ländern
  • Reduktion von Weideland in der OECD um mehr als zwei Prozent
  • 340 Megatonnen weniger Emissionen, davon über 250 Megatonnen allein durch weniger Rindfleischverbrauch.

Allerdings räumen die Autoren der Studie ein, dass diese Resultate sich nur mit sehr hohen Verbrauchssteuern erzielen lassen und in praktischer Hinsicht ein Mix verschiedener Maßnahmen vermutlich erfolgreicher wäre als allein eine Verbrauchssteuer auf Fleisch. Zwischenfazit: Auch, wenn es nur anekdotische Beispiele sind – die aufgeführten Fälle zeigen, dass eine Änderung von Verbraucherverhalten in eingeschränktem Maße möglich ist. Informationskampagnen haben (bescheidenen) Erfolg; finanzielle Anreize und Steuern zeigen Wirkung. Es bleibt die Frage, ob auf diesem Wege zu erzielende Veränderungen ausreichen, Umweltbelastungen insgesamt entscheidend zu reduzieren.

3. Relevanz

In einzelnen Bereichen mag es durchaus zu Verhaltensänderungen kommen. Aber wie groß ist die Wirkung auf den Gesamtzusammenhang? Sparen wir nicht an der einen Stelle Umweltbelastungen ein, um an anderer Stelle umso mehr zuzulangen? Und: Lenkt die ganze Debatte um „grünen Konsum“ nicht lediglich davon ab, dass wir die Industrie stärker in die Pflicht nehmen müssen? Zunächst: Es gibt prinzipielle Argumente dafür, dass zumindest einige Effekte sich ausschließlich über Änderungen im Verbraucherverhalten erzielen lassen – und nicht darüber, dass man der Industrie Auflagen macht.

  • Wenn man nicht die Produktion, sondern den Konsum ins Visier nimmt, dann wirkt man der Tendenz entgegen, dass die „Schmutzfinken-“ Industrien dorthin ausweichen, wo die Standards schwach sind („Pollution Haven Hypothesis“)
  • Verbraucherkoalitionen zum Beispiel in Form von Bürgernetzwerken sind (zumindest in den USA) eine relevante politische Kraft, weil sie das Thema „Nahrung“ mit anderen Themen auf der politischen Agenda (Gentechnologie; Widerstand gegen die Agroindustrie) verknüpfen und so eine Hebelwirkung erzeugen (Lappé 2011)

Was letzteres Argument betrifft, sind leider weder empirische Daten vorhanden, welche die Einflusskraft des Food-Movements in den USA belegen könnten, noch dürfte Einigkeit darüber herrschen, das weniger Agroindustrie zu mehr Nachhaltigkeit führen würde. Auf der Gegenseite stehen nicht weniger prinzipielle Argumente, die skeptischer Natur sind:

  • Politik zum Beispiel in Form internationalen Wirtschaftsrecht hat viel größere Auswirkungen als die Nachfragemacht der Verbraucher. Ein Beispiel: Der Commodities Futures Modernization Act (USA, 2000) hat die Spekulation mit Nahrungsmitteln in großem Stil erst möglich gemacht. Im Vergleich mit den Folgen einer solchen Regelung ist die politische Macht des Food Movement eine vernachlässigbare Größe.
  • Der so genannte Rebound-Effekt führt dazu, dass CO2-Verbrauch und andere Werte insgesamt stetig steigen – selbst dann, wenn in Einzelbereichen durch effizientere Technologien Einsparungen erzielt werden. Beispiel: Der Kauf eines verbrauchsärmeren Kühlschrankes der aber – weil größer als der alte – unterm Strich dennoch genauso viel Strom verbraucht (vgl. Madlener und Alcott 2012).

Vielleicht sind diese prinzipiellen Überlegungen nicht so unvereinbar miteinander, wie es auf den ersten Blick aussehen mag. Der Rebound-Effekt zum Beispiel: Ist er nicht im Grund ein Argument für „grünen Konsum“? Denn auch, wenn der Umweltverbrauch insgesamt trotz immer effizienterer Technologien steigt: Kleinere Kühlschränke – um im Beispiel zu bleiben - kann man den Verbrauchern wohl schwerlich per Gesetz verordnen. Wenn überhaupt, werden Verbraucher sich aus eigenen Stücken für den kleineren Kühlschrank entscheiden. Zum Beispiel deshalb, weil sich der geringer Verbrauch deutlich im Geldbeutel bemerkbar macht. Oder auch, weil ein großer Kühlschrank, ähnlich wie ein aufgemotzter SUV, irgendwann einmal ein Symbol für Umweltsünder sein wird. An dieser Stelle zeigt sich, dass die Recherchehypothese „Zu erwartende oder praktisch mögliche Effekte ‚grünen‘ Konsums haben mit Blick auf übergreifende Nachhaltigkeitsziele deutliche Relevanz“ (siehe Karte) im Grund noch zu ungenau ist. Denn nicht auf Relevanz schlechthin kommt es an: sondern darauf, ob für einen gegebenen Fall die Chancen auf Nachhaltigkeitsverbesserung via Konsumverhalten besser stehen als jene, die sich durch eine gesetzliche Regulierung der Industrie ergeben.

Fazit

Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus der Vielzahl von Untersuchungsergebnissen und Überlegungen prinzipieller Natur ziehen? Vor allem: Was folgt für das eigene Verhalten? Ein Vorschlag wäre dieser: „Wichtigster Orientierungspunkt ist die Priorisierung!“. Begrenzte Mittel müssen sinnvoll eingesetzt werden. Sinnvoll, das heißt: maximale Wirkung mit Blick auf Nachhaltigkeitseffekte. Aber was bedeutet das konkret? Ist der Einkauf im Bio-Supermarkt lediglich eine Streicheleinheit fürs gute Gewissen, solange man seinen Fleischkonsum nicht drastisch reduziert – ganz einfach deshalb, weil Fleischkonsum sich in der Nachhaltigkeits-Bilanz so dermaßen bemerkbar macht, dass Bio oder Nicht-Bio im Vergleich dazu schon fast egal zu schein scheint? Das Beispiel zeigt: Die Sache mit der Priorisierung hat einen deutlichen Haken. Dieser Haken hat zu tun mit dem eigenen Ego und mit den notorischen Anderen. Zum einen gibt es Dinge, auf welche die allermeisten von uns schlichtweg nicht bereit sind, zu verzichten. Dazu gehört neben dem Fleischkonsum die Flugreise in den Urlaub. Wenn wir als kühle Rechner an die Sache herangehen, kommen wir schnell zu dem Schluss: „Grüner Konsum“ lohnt sich nicht. Denn wir sparen nur dort, wo es nicht wehtut. Und selbst, wenn wir selbst zu bewundernswerten Verzichten bereit wären: die anderen sind es nicht. Deshalb ist der Versuch, „grün“ zu konsumieren, zum Scheitern verurteilt. Man kann sich seine Bemühungen auch schenken. Soweit die Schlussfolgerungen aus dem Handlungsmodell „Priorisierung“. Eine andere Möglichkeit, an die Sache heranzugehen, wäre dieses Rezept: „Privates Engagement und ‚grüner‘ Konsum dort, wo auch andere mitziehen. In allen anderen Bereichen: auf staatliches Durchgreifen setzen“. Denn: Es gibt Bereiche, in denen Verbraucher bereit und fähig sind, ihr Verhalten zu ändern, und es gibt Bereiche, in denen das nicht der Fall ist. (Wo genau diese Grenze verläuft, kann nur durch empirische Forschung herausgefunden werden.) Beide Bereiche müssen jeweils für sich betrachtet werden. Denn sie verlangen nach unterschiedlichen Strategien: Dort, wo Verbraucher nachgewiesener Maßen bereit sind, Nachhaltigkeitsziele zu berücksichtigen – da ist es auch sinnvoll, sich selbst verantwortlich zu verhalten. Dort, wo dies nicht der Fall ist, ist das private Engagement vergebens. Hier hilft nur eine politische Regelung. Diese muss dann allerdings aber auch tatsächlich erfolgen, um die privaten Bemühungen der Verbraucher nicht zu frustrieren.

Nachtrag

Wie könnten entsprechende politische Regelungen aussehen? Fleisch und Fliegen: Was den Fleischkonsum betrifft, wurde die Möglichkeit einer Besteuerung bereits angesprochen. Analoge Modelle gibt es zur Reduzierung des klimaschädlichen Flugverkehrs. Eine deutlich Anhebung der Steuern auf Flugbenzin würde aller Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass Maschinen mit weniger Verbrauch verkauft und die Flughäfen entsprechend umgebaut würden, um diese Maschinen abzufertigen. Die normale Fluggeschwindigkeit würde sich reduzieren: Für Schnell-Fliegen würden Extratarife eingeführt. Obst und Gemüse via Luftfracht durch die Welt zu schicken, wäre nicht mehr länger eine gängige Handelspraxis (siehe: MacManners 2012). Heizenergie: Ein anderer Bereich, wo ausschließlich durch politischen Druck entsprechende Bewegung erzeugt werden kann, ist das Heizen im Wohnbereich. Das Ziel ist hier klar formuliert: Bis zum Jahr 2050 sollen wir beim Heizen achtzig Prozent weniger Energie als heute verbrauchen, damit die nationalen Klimaschutzziele erreicht werden - - so wie es das Bundesumweltministerium für nötig hält. Bei der derzeitigen Sanierungsrate würde das avisierte Ziel allerdings erst in hundert Jahren erreicht. Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass dies nicht weiter verwunderlich ist:

  • Je nach Baualter kostet die Sanierung eines Einfamilienhauses zwischen 340 und 736 Euro pro Quadratameter
  • 34 bis 54 Prozent davon sind energieeinsparungs-bedingte Mehrkosten
  • Aufs Jahr gerechnet, gibt ein Hauseigentümer allein für die energieeinsparungsbedingten Mehrkosten, die im Zuge einer Sanierung anfallen, 9,6 bis 18,4 Euro pro Quadratmeter aus
  • Dem gegenüber stehen Einsparungen in von nur 9,20 bis 14,56 Euro
  • Bei den Berechnungen wird ein Abschreibungszeitraum von 10 bis 22 Jahren zu Grunde gelegt – Förderkredite der KfW mit einberechnet (Henger und Voigtländer 2012)
  • Tatsächlich sind jedoch 94 Prozent der Hausbesitzer sind der Meinung, dass sich Investitionen ins Haus in weniger als 15 Jahren amortisieren müssen (Stieß u.a. 2010)

Das Problem, welches sich hinter diesen Zahlen verbirgt, betrifft zudem lediglich Einfamilienhäuser. Technologisch betrachtet, sind diese noch relativ leicht zu sanieren – jedenfalls im Vergleich zu Gründerzeit-Reihenhäusern oder anderen Altbaubeständen, wie sie für die meisten Innenstädte charakteristisch sind. Um hier zu Fortschritten in Sachen energieeffizienter Sanierung zu kommen, wären ganz andere Maßnahmen notwendig. Um ein Beispiel zu nennen: Es könnte sinnvoll sein, so etwas wie einen Anschlusszwang an Fernwärmenetze oder Solaranlagen einzuführen, die zwar eine effiziente Beheizung von Altbauten ermögliche, aber nur als Kollektivlösung funktionieren. Damit gewänne man zwar sicherlich nicht die Herzen der Hauseigentümer – würde aber einen Baustein für eine insgesamt überzeugende Nachhaltigkeits-Politik setzen.

Links und Literatur auf separater Seite.

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Das Projekt Faktencheck wird gefördert durch die Robert Bosch Stiftung.Kostenfreie Wiederveröffentlichung diese Textes ist auf Anfrage möglich: faktencheck@debattenprofis.de

Disclaimer: Diese Recherche greift zurück auf eine Dokumentation der Konferenz „Sustainable Consumption – Towards Action and Impact“ (2011), die der Autor im Auftrag des IKAÖ Bern erstellt hat.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ralf Grötker

Wissenschaftsautor.Zwischenzeitlich Redakteur der Wissens-Seiten beim FREITAG

Ralf Grötker

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