Informieren und schweigen

Organspende Bei der Aktion „ORGANPATEN werden“ sollen sich Menschen mit Organspenden beschäftigen. Die Veranstalter sagen, sie wollen aufklären. Einiges verschweigen sie jedoch

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Informieren und schweigen

Screenshot: Organpaten-Werbung

Mitten in der Leipziger Promenade liegt ein Herz. Beide Vorhöfe sind geöffnet, die Kranzgefäße heben sich blau vom roten Muskelgewebe ab und ein Arzt im weißen Kittel steht daneben. Das Herz überragt ihn um einen halben Meter und ist aus Plastik.

Einige Meter hinter Herz und Arzt wartet eine Frau Anfang zwanzig. Ihr blondes Haar ist zu einem Dutt zusammengesteckt, ein Zahnpastalächeln blitzt auf, wenn sie spricht „Hast du schon einen Organspendeausweis?“, fragt sie einen jungen Mann, der eine umgedrehte Schirmmütze auf dem Kopf balancierend und an einem Stück Pizza kauend vorbei schlendert. Etwas verdutzt bleibt er stehen. Schaut sie an, grinst. „Ne, aber ich habe schon mal drüber nachgedacht. Ist ja irgendwie schon richtig.“ -“Super! Hast du vielleicht Lust jetzt einen auszufüllen?“, sagt sie, lächelt noch etwas breiter und berührt kurz seinen Arm. Er richtet sich auf, zieht die Schultern nach hinten. „Klar!“ Einige Minuten später geht er weiter, wedelt seinen frisch laminierten Ausweis durch die Luft und schaut auf eine Broschüre mit der Aufschrift „Organpaten werden“.

Unter diesem Motto ist die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) auf Informationstour. Dazu klappert sie die Einkaufszentren deutscher Großstädte ab. Schickt junge Frauen, die höflich Besucher ansprechen. Baut Herzen aus Plastik oder zwei Meter hohe Säulen.

Keine weiteren Fragen

Vor Letztere in mintgrün kann man sich stellen, um zu lernen, wann ein Hirn stirbt. Das ist der Fall, so die Säule, wenn alle Funktionen des Großhirns, Kleinhirns und Hirnstamms irreversibel ausfallen. Sollte man Organspender sein, erläutert die Säule weiter, prüfen zwei Ärzte die Grundfunktionen des Gehirns. Mit einem EEG messen sie die Hirnaktivität. Zeigt sich keine Reaktion, dann erklären sie den Menschen für Hirntod. Auch auf Fragen eines potenziellen Lesers geht die zuvorkommende Säule ein: Kann es passieren, dass ich als Organspender zu früh als Hirntod erklärt werde? -Nein, um einen Interessenskonflikt auszuschließen, dürfen Ärzte, die den Hirntod feststellen, nicht selbst die Organe entnehmen. Keine weiteren Fragen.

Wenn man mit dem Text in der Säule fertig ist, dann weiß man fast so viel, als hätte man den Wikipedia-Artikel zum Thema gelesen. Aber nur fast. Denn darin steht noch: „Verschiedene Mediziner und Wissenschaftler üben Kritik an der Hirntod-Definition.“ Das muss die Säule vergessen haben. „Ein Hirntoter ist ein sterbender“, sagt Alan Shewmon. Der Neurologe hat 170 Fälle gefunden, in denen zwischen Feststellung des Hirntodes und Eintritt des Herzstillstands viel Zeit vergangen war: eine Woche bis 14 Jahre.

Shewmons Forschung ließ das US-amerikanische President's Council on Bioethics am Hirntod zweifeln. Sie schlugen 2008 vor, den Begriff in Hirnausfall zu ändern und schrieben, die Patienten seien „schwer verletzt, aber noch nicht tot.“ Damit graben sie am Fundament der Organspende. Im Jahr 1968 schufen Forscher der Harvard Universität den Hirntod indem sie das irreversible Koma umbenannten - ein Jahr nachdem ein Arzt das erste Herz erfolgreich transplantierte. Um weiter zu forschen, brauchte es Organe.

Ein Mensch, dem diese Definition das Leben gerettet hat, ist Lothar Schmidt. Die Frau mit dem Zahnpastalächeln hatte ihn stolz angekündigt: „Wir haben auch jemanden, der lebt schon 16 Jahre mit einer gespendeten Niere.“ Schmidt arbeitet heute ehrenamtlich für den Dialyseverband Sachsen in der Leipziger Promenade. Er wartet, wenn Menschen an seinen Stand treten. Spricht sie höflich an. Mit blauem Polohemd, einem Brillenrand in gleicher Farbe und braunem Schnauzer, wirkt er wie der Prototyp der deutschen Mittelschicht. Er ist einer von den Menschen, deren Leben die Organspende ermöglicht. Dem ein Toter ein langes zweites Leben geschenkt hat. Ein Beispiel, das gerne durch die BzGA angeführt wird. Der Regel entspricht sein Fall aber leider nicht.

Schlechte Aussichten

Nach fünf Jahren funktioniert ein Drittel der gespendeten Nieren nicht mehr. Bei anderen Organen ist die Rate noch schlechter: Jede dritte Lungen fällt schon im ersten Jahr aus. Nach fünf Jahren funktioniert weniger als die Hälfte. Spricht man mit Lothar Schmidt über die schlechten Aussichten, dann sagt er: „Klar, gut sind die Aussichten nicht. Aber denk drüber nach, ob du ein Organ haben willst, wenn du es brauchst? Wenn ja, dann solltest du auch spenden.“ Zu dem Rat gibt es noch einen Organspendeausweis.

Seine Frage wird auf der „Organpaten werden“-Tour beständig wiederholt. Überall prangen Poster mit jungen Menschen oder Prominenten, die sagen: „Du bekommst alles von mir. Ich auch von dir?“ Das Prinzip des Gabentausches. „Ich selbst finde, dass der Satz etwas Forderndes hat“, sagt Weyma Lübbe, Philosophin und Mitglied im deutschen Ethikrat. „Wer seine Organe nur an Menschen spenden will, die ihre ebenfalls abgeben wollen, der rückt die Organspende in die Sphäre des Tausches.“ Schläge man diese Richtung ein, dann sei es nur schwer zu erklären, warum man Personen, die selber spenden, nicht auch in der Organ-Vergabe bevorzugen sollte. Gespendet würde, weil es einem nützt. Menschen die nicht spenden dürfen, wären benachteiligt.

„Keiner hat einen Nutzen davon, außer die Empfänger“, sagt die lächelnde Frau in der Leipziger Promenade. Sie könne genau begründen, warum die Organspende in Deutschland ganz sicher sei: „Erst versucht ein Arzt dem Patienten das Leben zu retten. Scheitert dieser, stellt ein Zweiter den Tod fest." Entnehmen würde die Organe dann wieder ein Anderer. "Wer sie dann bekommt, bestimmen die Wartelisten der Organisation Eurotransplant“ Organhandel sei in Deutschland so praktisch unmöglich. Die Worte widerlegen die Skandale der letzten Monate. Aber auch ganz offiziell gibt es einen Profiteur, wenn die Spenderzahlen steigen: Die Deutsche Stiftung Organspende (DSO).

Die Krankenkasse zahlt ihr 8 765 Euro. Pro Organ. Wird es geflogen, sind es 15 496 Euro. Damit deckt die DSO laufende Kosten. Interne E-Mails zeigen jedoch: Günter Kirste und Thomas Beck, der medizinische und der kaufmännische Vorstand, hatten hohe Kosten zu decken. Sie leisteten sich noble Dienstwagen, zahlten sich hohe Gehälter und schliefen auf Dienstreisen in teuren Hotels. Spesen inklusive. Das finanzierten sie mit Geld aus der Organspende. Wegen der Vorwürfe trat Thomas Beck im April 2012 zurück.

Schwerer wiegt ein Vorwurf, der aus Recherchen der taz entstand: Die DSO soll seit 2006 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Krankenhauspersonal in der umstrittenen Kommunikationstechnik NLP (Neurolinguistisches Programmieren) geschult haben. NLP wird in anderen Zusammenhängen eingesetzt, um Verkäufe zu fördern und den Gesprächspartner zu manipulieren. Die DSO soll damit versucht haben, Angehörige zu überzeugen, einer Organspende zuzustimmen.

„Wir wollen niemanden überreden“, sagt die blonde Frau, lächelt und lässt ein lang ausgeführtes „Aber“ folgen. Dazu gibt es einen Spenderausweis. Darauf kann man sich für alles entscheiden. Auch nicht zu spenden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Rasmus Cloes - Gesunde Skepsis

Jeden Tag erwacht ein neuer Prophet und erzählt, was gesunden lässt: Morgensex, Kaffee oder Prozac. Ich prüfe ihre Steintafeln.

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