O du nervige...

Weihnachtswahnsinn Weihnachten ist für manche Menschen die schönste Zeit des Jahres. Andere sind froh, wenn der Santa-Boom wieder der Vergangenheit angehört.

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Für die Süßwarenindustrie beginnt Weihnachten immer schon im Herbst – pünktlich in der letzten Septemberwoche, spätestens aber Anfang Oktober findet man im Supermarkt bereits Lebkuchen, Spekulatius und Zimtsterne. Schlechtes Timing? Nein, eiskalt berechnetes Marketing. Denn ein Großteil dessen, was Menschen ursprünglich „auf Vorrat“ für die Weihnachten einkaufen, „solange es günstig ist“, wird in der Regel bereits vorher verzehrt und ist dem Profit hinzuzuaddieren, der in der Adventszeit von einschlägigen Firmen erwirtschaftet wird. Überhaupt sind Feiertage ein beträchtlicher Wirtschaftsfaktor. Die Verkaufszahlen des Einzelhandels explodieren zum Jahresende hin geradezu und jeder einigermaßen situierte Weihnachtsmarkt treibt mit Glühweinpreisen zwischen 2,50 und 4,00 € plus Tassenpfand pro 0,2 Liter Glühwein, Eierlikör oder Lumumba die allweihnachtlichen Einnahmen erneut in die Höhe. Gut für die Volkswirtschaft – allemal. Aber auch gut für den einzelnen Bürger?

Die Kehrseite des alljährlichen Weihnachts-Booms pünktlich zum ersten Advent kann nämlich zu einer allgemeinen Übersättigung in Bezug auf das Fest der Liebe führen. Übersättigung im eigentlichen, wörtlichen Sinn, weil allzu häufige Einladungen zum Adventskaffee, zu betrieblichen Weihnachtsfeiern und zu üppig gedeckten Tischen während der eigentlichen Feiertage oft eher zu geistigem Lebkuchenkoma, Völlegefühl und im schlimmsten Fall zu ernsthaften Magen-Darm-Beschwerden führen kann. Deswegen sind viele froh, wenn sie nach der Völlerei über Weihnachten endlich wieder kulinarisch kürzer treten können. Man kann aber nicht nur Weihnachtsmarktbuden und opulente Familienessen gehörig satt haben. Auch der holden Verwandtschaft selbst kann man besonders an besonderen Festtagen gewaltig überdrüssig werden. So gemein das klingen mag: Im Grunde hat kaum jemand wirklich Lust, mit dem Terminplan eines Managers alle verschiedenen Familienzweige innerhalb von drei Tagen auf möglichst effektive Weise mit der eigenen freien Zeit zu „bedienen“ – Staus, Verkehrschaos und andere unliebsame Nebeneffekte des winterlichen Reisepeaks noch nicht eingerechnet. Es ist nur so, dass die wenigsten Menschen ihren Unmut über den alljährlichen Besuchsmarathon gerne offen äußern, eben um die eigene Familie oder die des Lebenspartners nicht zu verärgern.

Wenn man dann in der Advents- und Weihnachtszeit wirklich einmal im Stau steht, trägt noch ein weiterer Faktor zur Übersättigung bei. Mit dem ersten Advent scheint sich bei vielen Radiostationen ein Schalter umzulegen, der die „Evergreens“ des medialen Weihnachtswahnsinns, angeführt von Chris Rea, Wham, Melanie Thornton und anderen Säuselstimmen, zu den meistgespielten Hits macht. Außerdem wird man sowieso jede Stunde erneut via Hörfunk an die nahenden (oder drohenden) Festtage erinnert, als ob das nicht sowieso unüberhörbar wäre und unübersehbar sowieso. Szenenwechsel von Deutschlands Straßen zurück in die durchschnittliche Fußgängerzone und in den Supermarkt. Dort herrscht eine Konsumaktivität, als würde in Kürze der Dritte Weltkrieg ausbrechen, als gäbe es kein Morgen und erst recht kein nächstes Weihnachten. Den Kontrast zu aufwändig dekorierten Schaufenstern bieten Obdachlose auf der Straße und finanziell arme Menschen in Fernsehreportagen, die am Geschenke-Kaufrausch weder wirklich teilhaben können, noch wollen. Sie haben eben andere, wichtigere Sorgen als das perfekte Geschenk für jeden aus dem Familien- und Freundeskreis, wer sollte es ihnen verdenken?

Die schönste Zeit des Jahres – durchweg stressig, nervenzehrend und hochgradig unsozial? Nicht zwingend, wenn jeder Einzelne auch zu Weihnachten nicht sein Recht auf Selbstbestimmung am ersten Advent in eine Schublade steckt und erst im neuen Jahr wieder mühsam hervorkramt. Es existiert eine Fülle an Möglichkeiten, sich selbst und anderen die Advents- und Weihnachtszeit so stressfrei, angenehm und fair zu gestalten. Wer selten daheim oder kein großer Weihnachtsliebhaber ist, kann getrost auf das Dekorieren der eigenen vier Wände verzichten. Es ist auch keine Pflicht, sich ständiges Weihnachtsgedudel im Radio anzuhören und für jeden gleich das teuerste, begehrteste Geschenk zu ergattern. Kein Gesetz der Welt schreibt vor, man könne nicht auch einen Teil des Geldes, das man sonst für geschenkte teure Statussymbole ausgegeben hätte, für einen sinnvollen Zweck spenden. Zuletzt ist niemand gezwungen, wirklich jede Einladung zum Adventskaffee oder zur Vereinsweihnachtsfeier anzunehmen. Denn auch zu Weihnachten gilt die Maxime: Sapere aude – Wage es, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.

Anna Katherina Ibeling

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Geschrieben von

rebelcat86

- Master of Desaster ...äh Arts in Komparatistik - Kind der "Generation Praktikum" - Ironie on!

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