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Krimfrage Nicht „eindeutig völkerrechtswidrige Annexion“ sondern Äquivalenz zweier konkurrierender Rechtsprinzipien

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In seiner Erwiderung auf Helmut Schmidts abwiegelnde Äußerungen in der jüngsten Ausgabe der „Zeit“ zur Krim-Krise ist Christian Bommarius von der „Berliner Zeitung“ unerschütterlich: Bei der Rückgliederung der Krim an Rußland handele es sich „um die eindeutig völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Rußland“. Bommarius dixit. („Auf Helmut Schmidt mit einer Zigarette“, Berliner Zeitung v. 28. 03. 2014). Da Helmut Schmidt an dieser Gewißheit seine Zweifel hegt, ist sich Bommarius nicht „mehr sicher, ob wirklich der ehemalige Bundeskanzler plappert oder seine unvermeidliche Zigarette, wenn unter dem Namen Schmidt öffentlich Qualm zum Himmel steigt.“

Die hier ex cathedra mit der Verve des päpstlichen Unfehlbarkeitsdogmas, überdies mit unnachahmlicher rhetorischer Raffinesse und Freude an schiefen Metaphern vorgetragene Widerrechtlichkeitsthese in der Krimfrage ist allerdings - auch unter Völkerrechtlern - zumindest umstritten. Auf diese Tatsache hätte der Verfasser seinem journalistischen Ethos gemäß fairerweise hinweisen können. So beruht sein persönliches Urteil auf einer als unanfechtbar wie ein Naturgesetz hingestellten Prämisse. Statt die ihr widersprechenden Auffassungen wenigstens objektiv zu referieren, ergeht er sich in Mutmaßungen über den Einfluß von Zigarettenqualm auf die Hirnleistung betagter Altkanzler. So hätte er z. B. darauf verweisen können, daß das Völkerrecht keineswegs immer so „eindeutig“ ist wie das Verkehrs- oder Zivilrecht, sondern oft unvollständig und widersprüchlich. Das ist auch nicht verwunderlich, denn es speist sich aus völlig anderen Rechtsquellen und ist zumeist von solchen Faktoren wie jeweiligen Interessenlagen, militärischen Kräfteverhältnissen usw. geprägt und u. U. viel größeren Wandlungen unterworfen als andere Rechtsgebiete.

So war es bis Anfang des 20. Jahrhunderts dem Sieger einer militärischen Auseinandersetzung erlaubt, die Gebiete seines Gegners ganz oder teilweise zu okkupieren und zu annektieren (uti possidetis). Erst 1919 verbot der Völkerbund in Artikel 10 seiner Satzung seinen Mitgliedsstaaten Annexionen gegenüber den anderen Mitgliedern. Dabei ist völkerrechtlich offen geblieben, wie zu verfahren ist, wenn infolge des Referendums einer Volksgruppe Gebiete oder Gebietsteile eines Staates für autonom oder der Beitritt zu einem anderen Staat erklärt werden. Hier drängen sich in Bezug auf die Krim-Frage zwei Überlegungen auf:

1. Bis zu ihrer Annexion durch das Zarenreich am 8. April 1783 Teil des Osmanischen Reiches, war die Krim mit unterschiedlichem autonomem Status seither legitimer integraler Bestandteil des Russischen Reiches und später seiner Rechtsnachfolger RSFSR und UdSSR, aber niemals gesonderter territorialer Bestandteil der Ukraine. Erst auf Geheiß des späteren Mauer-Bauherrn Chruschtschew, eines Ukrainers, wurde die Oblast Krim und die regierungsunmittelbare Stadt Sewastopol 1954 bekanntlich der Sozialistischen Sowjetrepublik der Ukraine angegliedert. Dabei handelte es sich wohl eher um einen reinen autokratischen innerstaatlichen Verwaltungs- und weniger um einen förmlichen Völkerrechtsakt: Die Ukraine war zu diesem Zeitpunkt kein selbständiger Staat, demnach kein Völkerrechtssubjekt. (Ihre Mitgliedschaft in der UNO ändert daran nichts.) Daß die betroffene Bevölkerung damals nach ihrer Meinung gar nicht erst gefragt wurde, entspricht wohl dem damaligen Demokratieverständnis in der Sowjetunion. Nach dieser Betrachtungsweise hätte es also eines rechtsförmlichen Beitritts der Autonomen Republik Krim zu Rußland nach deren Sezession von der Ukraine gar nicht erst bedurft, um den Staus quo ante wiederherzustellen, denn sie wäre danach ohnehin zu keinem Zeitpunkt Teil der Ukraine im Sinne des Völkerrechts gewesen.

2. Bleibt bei einer Zurückweisung dieser Rechtssicht die Frage des Referendums der Bevölkerungsgruppe auf der Krim vom 16. März über die Sezession und den späteren Beitritt zur Russischen Föderation. Schon dieses Referendum wird einhellig als „völkerrechtswidrig“ bezeichnet, nicht erst die darauf fußende Unabhängigkeitserklärung. Nun kennt das Völkerrecht sowenig das Verbot von Referenden zu welcher Frage und in welchem Landesteil auch immer, wie das Verbot von einseitigen Unabhängigkeitserklärungen. Darauf verwies der Internationale Gerichtshof in Den Haag in seinem Urteil vom 17. Februar 2008 zur Kosovo-Sezession. Folgerichtig erkannte es die unilaterale Abspaltung des Kosovo von Serbien allein aus Gründen des Völkerrechts als rechtens, unabhängig von anderen Erwägungen wie politischer Zweckmäßigkeit oder des Mehrheitswillens der betroffenen Bevölkerung. Die USA unterstützten damals die IGH-Entscheidung ausdrücklich mit dem Argument, sie seien selbst ein Land, das vor zwei Jahrhunderten aus einer Unabhängigkeitserklärung heraus geboren wurde, wie der US-Vertreter vor dem Gerichtshof Harold Koh ausdrücklich betont hatte.

Dabei galt schon damals die Frage, ob die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo im Einklang mit dem Völkerrecht steht, durchaus als heikel. Die Richter mussten abwägen, wie das Recht der Staaten auf territoriale Integrität und das Recht der Menschen auf Selbstbestimmung zueinander stünden, wie damals die Völkerrechtsexpertin Bibi van Ginkel vom Niederländischen Institut für internationale Beziehungen - Clingendael in Den Haag erklärte. „Beide sind fundamentale internationale Rechte."

Wir haben es hier also zumindest mit einer Äquivalenz zweier konkurrierender Rechtsprinzipien zu tun. Von einer völkerrechtlichen Eindeutigkeit, wie sie Bommarius in seiner Kolumne wie selbstverständlich voraussetzt, kann demnach keine Rede sein.

Wenn nun aber eine einseitige, also nichtkonsensuelle Unabhängigkeitserklärung wie im Falle Kosovo nicht prinzipiell und eindeutig gegen das Völkerrecht verstößt, dann tut es das der Sezession vorausgehende Referendum auf der Krim um so weniger. Was dem Kosovo recht war, darf der Krim billig sein.

Nun sind die Erwägungen von Altkanzler Helmut Schmidt weniger rechtlicher als politisch-pragmatischer Natur. Sie zeugen von einem ausgeprägten Krisenbewußtsein und gesammelter Erfahrung in jahrzehntelanger politischer Verantwortung. Aus ihr spricht die Sorge vor einer nuklearen Katastrophe, eine Sorge, die auch von anderen politischen Persönlichkeiten geteilt wird, wie etwa den Altbundeskanzlern Helmut Kohl und Gerhard Schröder und den früheren Staatssekretären im Bundesministerium für Verteidigung Willy Wimmer (CDU), Walther Stützle und Andreas von Bülow (beide SPD), alles nicht gerade sicherheitspolitische Dilettanten.

Man muß die Auffassungen von Helmut Schmidt nicht teilen, sie aber mit „Geplapper“ abzuqualifizieren, ist - höflich gesagt - eine dreiste und arrogante Hochnäsigkeit, die man von der Boulevard-Presse gewohnt, einer seriösen Zeitung wie der „Berliner“ aber unwürdig ist.


„Wie wird die Welt regiert und in den Krieg geführt? Diplomaten belügen Journalisten und glauben es, wenn sie‘s lesen. (Karl Krauss)

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