Hartz-freie Zone

RR. Die Stadt Münster geht neue Wege in der Wohnungspolitik. - Eine Glosse

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Hartz-freie Zone

Wie aus Kreisen der Verwaltungsspitze verlautet, plant der Rat der Stadt die Einführung einer Hartz-freien Zone für den gesamten innerstädtischen Bereich. Sie soll sich vom Zentrum aus bis an die Stadtränder erstrecken und auch gut integrierte Stadtteile wie Gievenbeck, Mecklenbeck, Hiltrup und Gremmendorf umfassen. Es könne nicht länger hingenommen werden, wird Sozialdezernent Thomas Paal zitiert, dass Studierende, die täglich zur Uni fahren, zum Teil enorme Wegstrecken zurücklegen müssten, während Hartz IV-Empfänger die Zeit überwiegend zu Hause verbringen.

Hintergrund des Vorhabens ist die extreme Wohnungsnot in der Stadt, die vor allem Studierende derzeit besonders hart trifft. Von den ca. 9.000 Langzeitleistungsbeziehern leben etwa drei Viertel in diesem städtischen Kerngebiet. Sie sollen veranlasst werden, aus ihren Wohnungen auszuziehen, um den Immobilienmarkt zu entlasten, so die Pläne der Stadt. Als Ersatz-Quartiere wird auf Außenbezirke wie Handorf, Wolbeck und Ortschaften im Umland Münsters verwiesen, wo Wohnraum teils erheblich leichter und billiger zu haben sei.

Möglich wird der Plan durch verschärfte Vorgaben bei der Anerkennung der Kosten der Unterkunft. Laut kommunaler Satzung darf die Stadt dafür Grenzwerte festlegen, wobei sie einem vorgeschriebenen Verfahren zu folgen hat. Werte des örtlichen Mietspiegels, eigene Erhebungen zu Bestandsmieten sowie Informationen aus Annoncen und Wohnungsbörsen werden zusammengeführt und daraus ein zulässiger Höchstbetrag ermittelt. Doch auch unterhalb dieses Höchstbetrages, der nicht überschritten werden darf, sollen künftig verstärkt Lage, Größe und Quadratmeterpreis genauer geprüft werden. Vor allem der Quadratmeterpreis ist die Schraube, an der die Stadt drehen will. Während die maximal zulässige Wohnungsgröße weitgehend durch Gesetzgeber und Rechtssprechung festgelegt ist, richtet sich der Quadratmeterpreis ausschließlich nach regionalen Gegebenheiten.

Viele Leistungsempfänger lebten in Unterkünften, deren Quadratmeterpreis zu hoch sei, war auf Nachfrage vom Jobcenter zu hören. Genaue Zahlen nannte die Stadt nicht. „Die extreme Wohnungsverknappung erzwingt eine Neubewertung der Lage. Wir bedauern dies sehr,“ betont Amtsleiter Ralf Bierstedt. Etwa die Hälfte der Betroffenen werde in Kürze die Aufforderung erhalten, sich nach einer Wohnung mit einem niedrigeren Quadratmeterpreis umzusehen, der Rest werde noch geprüft. Wer sich weigert umzuziehen, muss mit Kürzung der Leistung rechnen. Möglichen Klagen gegen die Bescheide sehe seine Behörde gelassen entgegen, so Bierstedt weiter. Auch Stadtkämmerer Hartwig Schultheiß (CDU) hat vor allem die Vorteile für den kommunalen Haushalt im Blick. „Seit Jahren verzeichnen wir einen Anstieg bei den Kosten der Unterkunft, der durch Mietsteigerungen und höhere Nebenkosten verursacht wird. Entlastung tut Not.“ Seit Münster ab Januar 2012 außerdem Optionskommune ist, also in eigener Regie die Langzeitarbeitslosen betreut, steht der Wunsch nach Senkung dieser Kosten auf dem Wunschzettel der Stadt ganz oben. Schon eine Halbierung würde jährlich etwa 2 Millionen Euro sparen.

Die Münsteraner Sozialverbände wandten sich entschieden gegen das Vorhaben und kündigten Protest an. Hier werde leichtfertig mit den existentiellen Nöten der Ärmsten gespielt, hieß es dazu beim Paritätischen Wohlfahrtsverband. Kenner der Szene vermuten, dass der Quadratmeterpreis künstlich niedrig gerechnet werden soll, um die Hartz IV-Empfänger aus der Stadt zu verdrängen. Zu dem von der Stadt veranschlagten Preis gebe es in Münster keinen Wohnraum außer Bruchbuden,“ ließ sich ein Kenner der Immobilienbranche vernehmen. Die Arbeitslosen-Beratungsstelle im CUBA rechnet mit einer Klagewelle der Betroffenen. Auch Vertreter von SPD, Grünen und Die Linke im Rat der Stadt empörten sich über die Pläne. „Unsozial, menschenverachtend“, schimpfte Ratsfrau Petra Seyfferth von der SPD, eine „moralische Bankrotterklärung“, fügte Heribert Klas, Fraktionssprecher der Grünen, hinzu. Die Ratsspitzen der Gemeinden Havixbeck, Telgte und Greven machten bereits deutlich, dass sie nicht gewillt sind, einen „Strom von Hartz IV-Emigranten“ aus der Stadt Münster aufzunehmen, wie es in einer gemeinsamen Erklärung hieß. Das Jobcenter hielt dagegen: Es sei einfach ein Gebot der Vernunft, in Zeiten knapper Haushaltsmittel die Leistungsberechtigten dort unterzubringen, wo es am billigsten sei.

Sozialdezernent Thomas Paal rechnet fest damit, dass innerhalb eines Jahres der größte Teil der fraglichen Wohnungen geräumt sein wird und für andere Mieter zur Verfügung steht. „Münster wird in spätestens zwei, drei Jahren eine No-go-Area für Hartz IV-Empfänger sein“, freut sich der Beamte bereits. Dies werde die Atmosphäre in der Stadt spürbar beleben. Münster, das bereits viele Auszeichnungen hat, z.B. als „lebenswerteste Stadt“, als „Fahrradhauptstadt“, als „Europas schönster Park“ etc., strebe jetzt danach, die erste Hartz-IV-freie Kommune des Landes zu werden. Aus der CDU-Ratsfraktion war zu hören, man erwäge dies bei der Kommunalwahl im nächsten Jahr zum zentralen Wahlkampfthema zu machen.

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Geschrieben von

Ribanna Rubens

oder Tote dürfen länger schlafen.

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