Kommt Wahlkampfversprechen-bekämpfungsgesetz

RR. Als Trostpflaster einer Großen Koalition streben CDU und SPD eine neue Kultur der Selbstbeschränkung bei Wahlkämpfen an. - Eine Glosse

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Berlin. Im Falle einer Großen Koalition planen CDU und SPD die Einführung eines Wahlkampfversprechenbekämpfungsgesetzes. Ein entsprechender Passus soll in das Parteiengesetz aufgenommen werden. Ziel sei es, die „Entfachung von Überbietungswettbewerben künftig wirksam zu verhindern“, zitiert Handelsblatt online heute aus einem internen Strategiepapier, das den Gremien in Kürze zur Abstimmung zugehen soll. Damit sollen die Parteien nicht nur besser „vor dem Opportunismus der Wählerinnen und Wähler sondern auch vor Einflüsterern in den eigenen Reihen sowie dem Einfluss von Lobbyisten geschützt werden“, heißt es weiter in dem Papier.

Mit der gemeinsamen Reforminitiative wollen die beiden großen Volksparteien auch die künftige Gestaltung von Wahlkämpfen auf eine gesetzliche Grundlage stellen. Diese sollen in ihrem Umfang deutlich verkleinert und versachlicht werden. „Hier ist ein Wildwuchs entstanden, der dringend einer Regulierung bedarf“, kommentierte Thomas Oppermann, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Bundestag, das Vorhaben. Schon lange gebe es Unmut in der Bevölkerung über gleichförmige und ermüdende Wahlkampfdebatten. Öffentliche Großveranstaltungen benötigten eine aufwändige Logistik und seien kostenintensiv. Tonnenweise werde Papier im Wahlkampf verteilt, das später ungelesen in die Papierkörbe wandere. Darauf müsse die Politik reagieren. Die SDP setze sich an die Spitze einer Bewegung, so Oppermann, der in Peer Steinbrücks Kompetenzteam für die Innen- und Rechtspolitik zuständig ist.

Dagegen sieht CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe den Vorstoß von Seiten der Christdemokraten „auf einen guten Weg gebracht“. Auf Anregung der CDU sei eine Arbeitsgruppe unter gemeinsamer Leitung von Finanzminister Wolfgang Schäuble und Oppermann eingerichtet worden und habe erste Eckpunkte erarbeitet. Es gehe um weniger Rituale und mehr Inhalte. Mit Angela Merkel sei auch eine neue Ära der Wahlkämpfe angebrochen. „Die Zeit der alten Hahnenkämpfe ist vorbei,“ sagte Gröhe bei einem Verbandstreffen der Frauen-Union. Nach Europapolitik und Atomausstieg sehe die Bundeskanzlerin das Wahlkampfversprechenbekämpfungsgesetz als herausragendes Reformvorhaben ihrer dritten Amtszeit.

Das Kanzleramt reagierte zurückhaltend auf die Äußerungen. Wie allgemein bekannt, strebe die Bundeskanzlerin keine Große Koalition an, deshalb gebe es auch keine Pläne für gemeinsame Vorhaben, betonte Regierungssprecher Steffen Seibert. Kenner gehen davon aus, dass Merkel mit den Plänen für das Wahlkampfversprechenbekämpfungsgesetz den derzeitigen Koalitionspartner FDP nicht vorzeitig verprellen will.

Wie die geplante Neuregelung im Detail aussehen soll, ist zur Zeit noch völlig offen. Die Bildung einer Expertenkommission ist im Gespräch und auch die Bürgerinnen und Bürger sollen an dem Prozess beteiligt werden, berichtet Handelsblatt online weiter. Einig sei man sich darüber, dass kostenintensive Projekte, deren Finanzierung über den Zeitraum einer Legislaturperiode hinausgeht, nicht mehr Gegenstand von Wahlkämpfen sein dürfen. Dieser solle wieder verstärkt vor Ort stattfinden, sich auf die Vermittlung allgemeiner Leitlinien und Zielsetzungen der Politik beschränken und Beteiligungsmöglichkeiten aufzeigen. Außerdem sei geplant, komplexe und langfristig orientierte Politikfelder wie die Renten- und Steuerpolitik künftig ganz aus dem Wahlkampf herauszunehmen, mehr Wahltermine zusammenzulegen und die Anzahl öffentlicher Auftritte von Spitzenpolitikern zu begrenzen. Bilder von gestressten, durch die Provinz tourenden Polit-Prominenten werden also womöglich bald der Vergangenheit angehören.

Uneinig sei man sich noch darüber, wie die Bildschirmpräsenz von Spitzenkandidaten effektiver gestaltet werden kann. Auch Online-Instrumente wie der Wahlomat, der Unentschlossenen hilft, die eigenen Präferenzen im Parteiengefüge einzuordnen, sollen weiter ausgebaut werden. Denkbar wären etwa Modelle, bei denen die Wählerinnen und Wähler nur noch ihre Wahlerwartungen eingeben müssten und mittels Software würde dann automatisch die Stimmabgabe generiert, heißt es in dem Arbeitspapier.

Vertreter der restlichen Oppositionsparteien kritisierten das Vorhaben als „zu schwammig“ und zeigten sich verärgert darüber, dass sie in die Gespräche nicht eingebunden waren. Es sei absolut unklar, wie Wahlprogramm und Wahlkampfversprechen sich sinnvoll voneinander abgrenzen ließen, sagte Claudia Roth, Vorsitzende von B'90/Die Grünen anlässlich des Besuches einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Hellersdorf. „Es handelt sich mal wieder um eine politische Nacht- und Nebelaktion und dass die SPD in dieser Sache mit der CDU an einem Tisch sitzt, zeigt einmal mehr, wie positionslos sie ist“, rügt sie den potentiellen Koalitionspartner. Zwar strebten auch die Grünen eine Veränderung des Wahlkampfes hin zu mehr Standardisierung und Ressourcenschonung an, gleichzeitig müsse der Aspekt der Bürgerbeteiligung stärker berücksichtigt werden. Die Piratenpartei kündigte eigene Vorschläge an, um vor allem die Stimmenabgabe per Internet auszubauen. Hier liege das eigentliche Veränderungspotential, ließ Bundesvorsitzender Bernd Schlömer in einer Mitteilung via Facebook verbreiten. Dagegen sprach Sahra Wagenknecht, Galionsfigur der Linkspartei, auf n-tv von einem „entfesselten Wahlkampfgetöse“, das von den wirklichen Problemen ablenken solle. In Wahrheit gehe es CDU und SPD nicht darum, den Bürgern entgegenzukommen sondern mit Hilfe des Wahlkampfversprechenbekämpfungsgesetzes die Lenkung des Wahlverhaltens zu erleichtern. Offenbar sei eine zweite Große Koalition unter Merkels Führung bereits beschlossene Sache. „Wenn dieses Gesetz verabschiedet wird, dann ist Frau Merkel eine vierte, vielleicht sogar eine fünfte Amtszeit sicher“, so Wagenknecht wörtlich.

Reiner Holznagel vom Bund der Steuerzahler begrüßte das Vorhaben als längst überfällige Entscheidung und rief Politikerinnen und Politiker aller Parteien zu mehr finanzieller Mäßigung im Wahlkampf auf. Holznagel kritisierte noch einmal die in den Wahlprogrammen enthaltenen milliardenschweren Pläne als „Wundertüten voller ungedeckter Versprechen.“ Der Jargon des „Wünsch-Dir-Was“, der regelmäßig vor Wahlen angeschlagen werde, müsse beendet werden. Ein Wahlkampfversprechenbekämpfungsgesetz könne für mehr Disziplin sorgen. Die Süddeutsche Zeitung hatte bereits vergangene Woche gemeldet, dass nach Berechnungen aus dem Wirtschaftsministerium allein die Wahlversprechen der schwarz-gelben Koalition rechnerisch zu einer Verdoppelung der Neuverschuldung führen würden. Der renommierte Göttinger Parteienforscher Franz Walter sagte im Interview mit Spiegel online, er sei skeptisch, ob das Wahlkampfversprechenbekämpfungsgesetz die Probleme schwindender Akzeptanz der Parteien lösen könne. Selbst diejenigen, die regelmäßig zur Wahl gingen, interessierten sich immer weniger für die teils beliebig wirkenden Wahlprogramme sondern nur noch für einzelne Themen. „Viele Menschen leiden zunehmend darunter, sich für eine Partei entscheiden zu müssen“, sagte der Parteienforscher. Es gebe alarmierende Zahlen. Bei einer von seinem Institut durchgeführten Befragung gab fast die Hälfte der Befragten an, vor Wahlentscheidungen regelmäßig an starken Unlustgefühlen bis hin zu Stresssymptomen zu leiden. Mehr als ein Drittel bekannte sich dazu, im Nachhinein schon einmal die eigene Entscheidung bereut zu haben. Auf Gefälligkeit getrimmte Wahlprogramme minderten die Wertschätzung des Stimmrechts.

Ob das Gesetz auch ohne Große Koalition zustande kommt, ließen die Parteien zunächst offen. Sowohl CDU als auch SPD bekräftigten, die Reform auch in einer anderen Konstellation verfolgen zu wollen, sollte es nach der Wahl am 22. September nicht zu einer gemeinsamen Regierungsbildung kommen. Das Gesetz bedürfe auf jeden Fall einer breiten parlamentarischen Zustimmung, hieß es übereinstimmend aus den Parteizentralen. Peer Steinbrück, Kanzler-Kandidat der SPD, äußerte sich zuversichtlich: „Wir sind sicher, dass es eine Mehrheit geben wird. Es geht um nicht weniger als um die Weiterentwicklung des demokratischen Rechtsstaates.“ FDP-Chef Philipp Rösler machte bereits deutlich, seine Partei werde in einer künftigen schwarz-gelben Regierungskoalition dem Reformwerk die Zustimmung versagen. Man unterstütze zwar Pläne für den Urnengang per Internet, lehne aber eine weitere Bevormundung der Bürgerinnen und Bürger ab, so die Begründung. Auch Rösler zeigte sich verschnupft, dass der Koalitionspartner ganz offen mit der SPD flirtet, während Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) bei den Sitzungen der Arbeitsgruppe außen vor blieb. Wolfgang Schäuble, der gemeinsam mit Thomas Oppermann von der SPD die vorläufige Arbeitsgruppe leitet, sagte am Rande eines Finanzministertreffens in Brüssel, seine Partei plane dem Gesetz Verfassungsrang zu geben und als „Wahlkampfversprechensbremse“ ins Grundgesetz aufzunehmen. Dazu sei eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig. Man werde deshalb zu gegebener Zeit mit allen politischen Parteien reden. Schäuble ließ durchblicken, er könne sich sogar eine Ausweitung des Gesetzes auf europäischer Ebene vorstellen. „Wenn es uns gelingt, unsere europäischen Freunde und Partner davon zu überzeugen, das Gesetz als Wahlkampfversprechensbremse in ihren jeweiligen Verfassungen zu verankern, dann sind wir in Europa ein gutes Stück weiter. Nur das Zusammenspiel beider Instrumente, also Schuldenbremse und Wahlkampfversprechensbremse wird Europa aus der Krise herausführen.“

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Geschrieben von

Ribanna Rubens

oder Tote dürfen länger schlafen.

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