Zeitgenössische klassische Musik?

Vermittlung Die gesellschaftliche Rolle der zeitgenössischen klassischen Musik kann derzeit kaum unterschätzt werden. Es fehlt an einer innergesellschaftlichen Vermittlung.

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Betrachtet man die Programme von Opernhäusern, Philharmonien und Konzersälen, werden zeitgenössische klassische Werke selten aufgeführt. Der Begriff ‘zeitgenössische klassische Musik’, der auch international genutzt wird (engl. contemporay classical music), ist nicht ideologisch aufgeladen, bezeichnet lediglich das jeweils aktuelle musikalische Schaffen. Dieses Schaffen ist äußerst vielfältig, wird unter ‘Postmoderne’ zusammengefasst, einem Sammelbegriff, der freilich kaum etwas aussagt. Gesellschaftlich stehen diese musikalischen Engagments jedoch im Abseits. Der Markt ist äußerst begrenzt und längst international ausgerichtet. Fasst man alle gesellschaftlichen Aktivitäten in der ‘Klassik’ zusammen, kommt man nicht umhin, primär von einer Hitparade der Altertümer sprechen zu müssen.

Diese fast ausschließliche öffentliche Hinwendung zu klassischer Musik, die allenfalls noch die ‘Romantik’ berücksichtigt, übrigens auch historisch rückwärtig begrenzt bleibt, kaum die Renaissance erfasst, ist höchst sonderbar. Die Skandale zu Beginn des 20. Jhds. konnten sich nur ereignen, weil zeitgenössisches Schaffen noch einbezogen wurde. Die Hörgewohnheiten des Publikums waren auf ‘Barock’, ‘Wiener Klassik’ und ‘Romantik’ fixiert. Die Ausweitung des Tonraums, wie sie durch Arnold Schönberg nach spätromantischem Beginn betrieben worden war, auch die Polytonalität von Strawinskis Musik, sprengten gleichsam diese Gewohnheiten. In dieser Zeit begannen sich die Fronten zwischen zeitgenössischer klassischer Musik und dem Publikum zu verhärten, doch auch innerhalb der Musik: Paul Bekker brachte 1919 den Begriff ‘Neue Musik’ auf, fasste ihn spezifisch, bezog ihn in besonderer Weise auf Schönberg und seine Schule. Der Begriff und seine späteren, gleichlautenden Ableger, blieben eine deutsche Eigenart.

Das öffentliche Interesse an zeitgenössischer klassischer Musik nahm nach dem Nationalsozialismus zu, begleitete noch die Phase serieller Musik, die Schönberg (und Webern) eingeleitet hatte und durch Komponisten wie Karlheinz Stockhausen und Pierre Boulez weiterentwickelt wurde. Auch Hans Werner Henze, der sich gegen eine stilistische Festlegung wandte - ebenso gegen ein Elitentum innerhalb des Betriebs! -, dessen Schaffen und Kritik für die ‘nachserielle Zeit’ in Deutschland kaum hoch genug eingeschätzt werden kann, fand noch öffentliche Aufmerksamkeit. Doch danach geriet die zeitgenössische klassische Musik allmählich ins gesellschaftliche Abseits. Mit dem altersbedingten Rückzug und dem Ableben der ersten Nachkriegsgeneration war auch das gesellschaftliche Abenteuer beendet.

Henze war an innergesellschaftlicher Kommunikation und Mitwirkung interessiert, daran, dass für ein Publikum klangliche Erlebnisse möglich werden, zeitgenössische Musik nicht in Notationen stecken bleibt. Ein solches vermittelndes Engagment fehlt. Und würde es nicht fehlen, es müsste ausgeweitet werden.

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Geschrieben von

R.M.

Anmerkungen über Politik und 'Kultur'.

R.M.

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