Eskalationsspirale: Vom Guten und vom Bösen

Krieg und Frieden Helmut Schmidt, Gerhard Schröder und Helmut Kohl erscheinen mit ihren Mahnungen plötzlich als Außenseiter in einem surrealen Diskurs vom Guten und Bösen.

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Von Robert Zion

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So langsam kann einem mulmig werden, in dem Krisenverlauf, der sich um die Ukraine abspielt. Der Eindruck jedenfalls, dass Gesamteuropa hier in etwas hinein zu schlittern droht, was dieser Kontinent längst überwunden zu haben glaubte, verfestigt sich bei immer mehr Menschen: Krieg.

Da sind zunächst einmal die „Parteien“. Hier die USA, NATO, die EU und die Übergangsregierung in Kiew, dort russische Separatisten und Russland. Das Reich der Finsternis ist dabei ganz klar Moskau, wo ein Despot regiert, dem jedes schmutzige Mittel Recht ist, um Russland wieder zur Großmacht zu führen und das alte Imperium wiederherzustellen. Hier, im Reich des Lichts, geht es hingegen um Demokratie, Wohlstand und Menschenrechte, um die guten Werte an sich. Auf der anderen Seite verhält es sich, wie sollte es auch anders sein, spiegelverkehrt anders herum, nur die diskursiven Selbstverständnis- und damit Begründungsmuster variieren.

Beide zusammen verfügen übrigens über 90 Prozent aller atomaren Waffen in der Welt und bedecken den größten Teil der Nordhalbkugel des Planeten. Auf beiden Seiten werden zunächst einmal die Beweise für die Aggression der jeweils anderen Seite gesammelt. Für ein – wiewohl nur schwer vorstellbares – „Nachher“ muss gesichert sein, wer die Schuld gehabt haben wird (Futurum II: die abgeschlossene Zukunft).

Irgendwo im Abendprogramm des Kultursenders 3 Sat kommt dann auch einmal die Wirklichkeit zu Wort, in Persona des Philosophen und Ästhetikprofessors Bazon Brock: „Wirklichkeit ist nur das, worauf wir keinen Einfluss mit unserem Belieben haben.“ Die eine Seite kann die jeweils andere also nicht ändern, es liegt nicht in deren Belieben. Das ist also die Wirklichkeit. Was aus solch einer Erkenntnis folgen könnte, wäre: Politik.

Und damit wären wir auch schon beim Punkt eines stetig wachsenden Unbehagens. Plötzlich erscheinen erfahrene Politiker wie Helmut Schmidt, Gerhard Schröder oder Helmut Kohl mit ihren Mahnungen als Außenseiter in einem öffentlichen und medialen Diskurs, der sich weitestgehend der wirklichkeitsfremden Erzählung vom Guten und Bösen hingegeben hat. Sie stören nur beim Sammeln der Beweise.

Gänzlich surreal wirken die Statements von derzeit politisch Verantwortlichen oder aus Parteien, die allesamt – und mittlerweile verdächtig zu oft – betonen, dass eine militärische Lösung keine Option sei, um zugleich die nächste Eskalationsstufe einzufordern. Dass das Volk keinen Krieg will, wusste schon Hermann Göring, darum müsse man diesem erzählen, wer angegriffen habe und die Pazifisten damit natürlich für gefährlich erklären. Wenn dann Krieg herrscht – und der Krieg herrscht, er wird nicht geführt –, dann ist dieser dann auch für das Volk die Wirklichkeit, das heißt, dann hat es keinen Einfluss mehr darauf mit seinem Belieben.

Es wird dann also - rückblickend betrachtet - Kriegsursachen, Kriegsgründe, Kriegsauslöser, Kriegsvorwände gegeben haben, doch darum ging es ja immer, also nie. Entscheidend war und wird immer sein, nicht gegen den Krieg gehandelt, sich von der Wirklichkeit des Politischen entfernt zu haben: von der Erkenntnis, das Andere anders sind und andere Interessen haben und dass wir die Wahl und die Möglichkeiten haben, diese Interessenkonflikte friedlich auszugleichen oder eben nicht. „Nicht der Krieg, der Frieden ist der Vater aller Dinge“, sagte darum auch Willy Brandt, der sich mit Sicherheit heute ebenfalls in die Außenseiter-Reihe der mahnenden Ex-Kanzler einreihen würde.

Es ist dringend an der Zeit, den Regierenden wieder das Regieren beizubringen, der Opposition das Opponieren, den Medien das Informieren. Das beständige Moralisieren in Medien und „Politik“ lässt bereits wieder am Horizont die absolute A-Moralität aufscheinen. In Wirklichkeit häufen sich gerade nur hierfür die Beweise. Dies Wahrzunehmen und entsprechend dagegen zu handeln, liegt allerdings derzeit - noch - in unserem Belieben.

03. Mai 2014

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Geschrieben von

Robert Zion

Gruenen-Politiker, Publizist

Robert Zion

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