Wohin mit den Grünen?

Bündnisfragen Schwarz-Grün oder Rot-Rot-Grün? Hinter dieser Frage verbirgt sich noch eine ganz andere Frage über das Schicksal der Grünen.

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Wohin mit den Grünen?

Foto: Philipp Guelland/AFP/Getty Images

Von Robert Zion

Es ist schon eigenartig, wenn in einer Partei, deren Mitglieder und Wähler so eindeutig aus der Mittelschicht, zu einem großen Teil gar aus der gehobenen Mittelschicht kommen, jetzt Stimmen laut werden, man müsse sich mehr in der Mitte positionieren. Angela Merkel, deren ausgeklügelte Machttaktik gesellschaftspolitisch im Wesentlichen auf zwei Säulen basiert – auf einer Entpolitisierungsstratgie („gefühlte Präsidialdemokratie“) und einer heimlichen Übereinkunft über eine 2/3-Gesellschaft in der Republik -, hört diese Stimmen sicherlich nicht allzu ungern.

Das Schicksal einer solchen Funktionspartei kann man am Werdegang der FDP geradezu exemplarisch ablesen. Als Anfang der 70er Jahre die FDP mit Willy Brandt in die sozial-liberale Koalition ging war dies keineswegs eine Entscheidung, nun zum Mehrheitsbeschaffer oder Scharnier im deutschen Parteiensystem zu werden. Es war eine sehr bewusste gesellschaftspolitische Richtungsentscheidung. Während Walter Scheel diesen Schritt in erster Linie mit der Notwendigkeit der Entspannungspolitik begründete, sah der Generalsekretär Karl-Hermann Flach sehr genau „Noch eine Cance für die Liberalen“ (so der Titel seiner programmatischen Streitschrift von 1971) in einer gesellschaftlich notwendig gewordenen Hinwendung zum Sozialliberalismus: "Liberalismus bedeutet demgemäß nicht Freiheit und Würde einer Schicht, sondern persönliche Freiheit und Menschenwürde der größmöglichen Zahl."

Unter der Ägide von Lambsdorff, Genscher und Westerwelle erfolgte später mit dem Lagerwechsel und der Hinwendung zum Neoliberalismus der Niedergang der FDP als Funktionspartei an der Seite der Konservativen. Der Sozial- und Bürgerrechtsliberalismus der Freiburger Thesen von 1972, so die mittlerweile aus der FDP ausgetretene „Grande Dame“ Hildegard Hamm-Brücher, sei nun bei den Grünen verortet.

Nun, die Grünen im Jahr 2013 sind mit Sicherheit nicht die FDP – und wir sollten es auch nicht werden. Aber wir stehen vor ähnlichen Herausforderungen wie die Liberalen zu Anfang der 70er Jahre. Hinsichtlich der eklatanten sozialen Undurchlässigkeit des Bildungssystems, des Versagens der Konservativen angesichts der NSA-Affäre, der ernsten Gefahr der Rechten in den Parlamenten (heute der AfD, seinerzeit der NPD) von europäischen Renationalisierungen und der großen ökologischen Frage (die Freiburger Thesen waren immerhin auch das erste Umweltprogramm einer deutschen Partei) sogar vor thematisch nahezu identischen Herausforderungen.

Als Partei der Mittelschicht haben wir Grünen daher nur eine Frage wirklich zu beantworten: Gehen wir nun ein Mitte-Oben-Bündnis mit den Konservativen ein - und zementieren damit die 2/3-Gesellschaft -, oder aber verstehen wir, dass die ökologische Transformation der Industriegesellschaft macht- und gesellschaftspolitisch nur mit einem sozial-ökologischen Interessenausgleich, d.h. im Wesentlichen mit einem Mitte-Unten-Bündnis umgesetzt werden kann? Alle anderen Diskussionen bei den Grünen wirken vor dieser Frage wie Stellvertreter- und Scheindiskussionen, die von diversen Flügelvertretern derzeit nach vorne geschoben werden.

In den kommenden vier Jahren haben wir Grünen daher für unsere Zukunft sehr weitreichende Entscheidungen zu treffen. Schaffen wir es, die Rolle als Funktionspartei abzuwehren und eines ernsthafte Programmpartei zu bleiben? Entwickeln wir innerparteilich eine neue inhaltliche Diskursfähigkeit jenseits der reinen Flügelarithmetik? Lernen wir ehrlich und selbstkritisch aus dieser Wahl und können wir unsere Kommunikation und unser Image dahingehend abwandeln, dass wieder „Mündigkeit statt Bevormundung“ (Karl-Hermann Flach) in den Mittelpunkt gestellt wird? Und zu guter letzt und am zentralsten: handeln wir auch machtpolitisch aus der Einsicht, dass eine ökologische Transformation der Gesellschaft nur eine sozial-ökologische sein kann? Derzeit scheint es gerade noch so, als ob Angela Merkel in den nächsten Jahren alle Trümpfe für die Zukunft dieser Republik in ihrer Hand halten würde – aber es scheint eben nur so.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Robert Zion

Gruenen-Politiker, Publizist

Robert Zion

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