Hilft ja nichts

Afrika-Reportage Die Journalistin Charlotte Wiedemann hat das Bürgerkriegsland Mali bereist. An dessen Demokratie hat der Westen keinen Anteil
Ausgabe 45/2014
Schulen in Mali wurden meist von den Bürgern selbst geschaffen - nicht vom Staat
Schulen in Mali wurden meist von den Bürgern selbst geschaffen - nicht vom Staat

Foto: Fred Dufour / AFP / Getty Images

Vom Versuch, „nicht weiß zu schreiben“, einem Grundsatz, den sich die nichtkoloniale Ethnologie (im Unterschied zum gängigen Journalismus) schon längst zu eigen gemacht hat, handelte das letzte Buch der Reporterin Charlotte Wiedemann. Sie ist dieser Maxime auch in ihrer neuesten Publikation über das Ringen um Würde der Menschen in Mali gefolgt, einem Land, das sie besonders gut kennt. Vor zwei Jahren wurde es nach dem Zusammenbruch von Gaddafis Regime in Libyen selbst zum Bürgerkriegsgebiet. Als von dort mit schweren Waffen ausgerüstete Tuaregsöldner zurückkehrten und sich mit islamistischen Kräften verbündeten, die schon lange in Malis Norden aktiv waren, wurde die malische Armee blitzartig aus ihren Kasernen vertrieben. Wenig später geriet das gesamte Staatsgebilde ins Wanken.

Eine französische Militäroperation stellte 2013 den vorherigen Zustand wieder her, allerdings nur scheinbar. Wiedemanns Recherchen in verschiedenen Regionen des Landes, die sie mit den maroden öffentlichen Verkehrsmitteln besuchte, zeigen, dass die vorbildliche Demokratie, als die Mali bis dahin in Europa galt, nur eine Fassade war. Diese existierte vor allem aufgrund westlicher Entwicklungshilfe, nährte aber nur ein Häuflein von Staatsbeamten. Paradoxerweise war Mali, wie Wiedemann nachweist, nie so arm und sozial heruntergekommen wie in der demokratischen Periode, die die 1991 gestürzte Militärdiktatur ablöste, der 1960 bis 1968 eine sozialistisch inspirierte Phase vorausging.

Wiedemann hat minutiös erforscht, dass der heutige Zentralstaat bis ins kleinste Dorf hinein Steuern erhebt, aber fast nirgends auch nur geringste soziale Leistungen für Bildung, Gesundheit, Infrastruktur erbringt. Wo es Schulen oder Krankenstationen gibt, wurden sie meist von den Bürgern selbst geschaffen, oft mit Hilfe von Verwandten, denen es glückte, nach Europa zu gelangen, dort Arbeit zu finden und sich Geld vom Mund abzusparen.

Dass dies nicht nur zum materiellen Überleben vieler Dorfgemeinschaften beiträgt, sondern ein wesentlicher Faktor dafür ist, wie geachtet eine zurückgebliebene Ehefrau, die Kinder, ein Vater oder ein ganzer Familienclan ist, machen berührende Gespräche deutlich.

Wiedemann hat sie mit Menschen aus der Region geführt, aus der seit Jahrzehnten die meisten Migranten kommen, aber auch mit Flüchtlingen selbst, die sie in Massenquartieren in Paris aufgesucht hat. Immerhin haben viele in den vergangenen Jahren durch die Aktionen der Sans Papiers für die Legalisierung illegal eingewanderter Arbeitskräfte erreicht, dass sie nach Tarif bezahlt werden. Für die Heimatregion bringt das aber keine nachhaltige Perspektive, denn Arbeitsmigranten sind in Europa immer weniger willkommen. Beeindruckend belegt Charlotte Wiedemann, dass die enormen Selbstorganisationsleistungen vieler Dörfer und Regionen Malis eigentlich eine „Demokratie von unten“ ermöglichen. In den Bürgerkriegsgebieten des Nordens gelang es sogar, sowohl während der Besetzung durch Tuareg als auch der durch Islamisten Strukturen zu entwickeln, die das Überleben ermöglichten. Und in Faléa, einem fruchtbaren Sumpfgebiet des Südens, wo man bislang keinen Hunger litt, organisierte die Bevölkerung dauerhaften Widerstand, um gegen die Verhökerung der Schürfrechte an Uranvorkommen zu protestieren, die die Regierung an französische Konzerne vergeben hatte, ohne sie davon auch nur in Kenntnis zu setzen.

Einer Demokratie von unten stehen im Sahel auch keinesfalls ausschließlich autoritäre Traditionen entgegen. Wiedemanns tief in die Geschichte reichender Rückblick zeigt, dass sich ein über die heutigen Landesgrenzen hinausreichendes Völkerbündnis nahe der am Handelsknotenpunkt des Nigerdeltas liegenden Stadt Djenné schon im 13. Jahrhundert eine Verfassung gegeben hatte, die durchaus heutigen Menschen- und Völkerrechtsstandards entsprach.

Das Buch ist ein am Konkreten abgehandeltes Plädoyer für einen überfälligen politischen Paradigmenwechsel in Afrika. Wie westliche Hilfe gegenwärtig konzipiert ist, schadet sie mehr, als sie nützt.

Mali oder das Ringen um Würde Charlotte Wiedemann Pantheon 2014, 304 S., 14,99 €

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