Erdoğans Touristen

Türken in Bosnien Jahr für Jahr kommen in Bosnien zunehmend mehr türkischen Touristen an, die sich anhand ihrer Kleidung leicht als Erdoğans Anhänger identifizieren lasen.

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Bosnien-Herzegowina spielt in der Vorstellung konservativer Türken eine besondere Rolle. Zum einen ist es das osmanische Erbe, welches sich in vielen Städten in Form von Baudenkmälern besichtigen lässt. Die Altstadt von Sarajevo beispielsweise hat das türkisch-osmanische Erbe besser bewahrt, als jede andere Stadt in der heutigen Türkei. Hier lässt sich das traditionelle https://lh5.googleusercontent.com/-EPGFr_-0xFQ/UdsW7swct3I/AAAAAAAAAs4/cHHMFmSvxRY/w231-h347-no/Bilder+033.jpgHändlerviertel „Bašćaršija“ mit mehreren osmanischen Moscheen und dem alten „Moriča Han“ besichtigen. Türken dürften ahnen, das Ihre Basare und Händlerviertel, wie beispielsweise Kemeraltı in Izmir auch einmal so ausgesehen haben wie „Bašćaršija“. In der Türkei sind sie aber längst dem Bauwahn und der dortigen Liebe für Beton zum Opfer gefallen Denn Denkmalschutz gibt es dort zwar formal, praktisch herrschte aber der bekannte Nepotismus. Wer in der Türkei den berühmten „Onkel“ in der Bauverwaltung hatte oder etwas Bakschisch locker machte, baute in der Vergangenheit meist was und wo er wollte. Erst engagierte Bürger und eine neu aufkeimende Umweltbewegung haben in den vergangenen Jahren die schlimmsten Bausünden verhindern können.

Hier in Bosnien gibt es sie noch, ursprüngliche Bauensemble aus der osmanischen Zeit. Vor allem auch Moscheen und Brücken. Die bekanntesten sind die Brücke in Višegrad, die Ivo Andrić in seinem mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Roman „Die Brücke über die Drina“, beschrieben hat und die Brücke von Mostar, die 1993 durch den gezielten Schuss eines bosnischen Kroaten zerstört wurde. Die alte Brücke von Mostar ist inzwischen mit Unterstützung aus der Türkei wieder originalgetreu aufgebaut worden. Kaum bekannt ist bei uns die ausufernde Berichterstattung, mit der die Rekonstruktion durch türkische Medien begleitet wurde. Bosnien spielt eine besondere Rolle im türkischen Selbstverständnis. Der endgültige Verlust der europäischen Gebiete von Bosnien-Herzegowina, der erst durch die Annektion Österreich-Ungarns 1908 geschah, ist für konservative Türken, die sich nach der alten Größe des osmanischen Reichs zurücksehen, ein Stachel im historischen Bewusstsein.

Und schließlich ist da der Bosnienkrieg. Vor allem das Massaker von Srebrenica und der Genozid an der muslimischen Bevölkerung von Bosnien sind ein wichtiges Thema für jenen Teil der Türken, die türkische Genozide wie etwa das an den Armeniern, gerne leugnen und sogar deren Erwähnung unter Strafe stellen. Von den Massakern und Pogromen etwa gegen Kurden, Aleviten und Griechen schweigt auch diese Schicht gerne. Das Genozid gegen die Bosnischen Muslime bietet hingegen die ideale Projektionsfläche für Erdoğans Anhänger, die sich selbst gerne als Verfolge generieren. Der Kampf um das Kopftuch, dessen Tragen in öffentlichen Einrichtungen in der Türkei verboten war, ist dafür ein Beispiel.

So finden Erdoğans Anhänger in Bosnien genau das, was sie Suchen: Bestätigung für ihre eigene Ideologie. Und so wundert es nicht, dass Jahr für Jahr die Zahl der Reisebusse zunimmt, die genau diese Spezies nach Bosnien transportiert.

Dem aufmerksamen Beobachter kann dabei nicht entgehen, dass es sich um den wohlhabenden und gebildeten Teil von Erdoğans Anhängern handelt. Es ist jener Teil der konservativ-islamischen Schicht, die im letzten Jahrzehnt in der Türkei ökonomisch durchaus erfolgreich war und die vom dortigen Aufschwung maßgeblich profitiert hat. Es ist eine Mittelschicht, auf die Erdoğan ökonomisch und ideologisch bauen kann. Denn wie in Deutschland, gewinnt man Wahlen in der Türkei auch in der Mitte. Diese Mittelschicht ist in der Türkei jedoch gespalten. Zum einen in jene alte Istanbuler Schicht, die Orhan Pamuk so vorzüglich beschreibt und eben in die anatolischen Newcomer, die in den vergangenen Jahren mit Koran und Scheckheft gleichermaßen an Einfluss gewinnen konnten. Diese Leute haben inzwischen genügend Kapital und Reichtum angehäuft, um auch auf Reisen zu gehen - am liebsten, wie es scheint - nach Bosnien-Herzegowina.

Wer sind die Leute, die Erdoğan wählen und unterstützen? Wer es wissen will, sollte nach Bosnien kommen. Hier kommen Jahr für Jahr in den Sommermonaten zunehmend mehr Reisebusse mit türkischen Touristen an, die schon alleine durch ihre Kleidung auffallen und die sich leicht als „Erdoğans Touristen“ identifizieren lasen

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Geschrieben von

Saltadoros

Olaf Schäfer: Pädagoge, Musiker...

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