Elie Wiesel: Propaganda für ein Groß-Jerusalem

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"Elie Wiesel ist einfach ein furchtbarer Hochstapler". So urteilt Noam Chomsky über den wahrscheinlich prominentesten aller Holocaust-Überlebenden. Der amerikanische Historiker Howard Zinn nannte es "zutiefst beschämend", wie Elie Wiesel in seiner früheren Eigenschaft als Präsident des amerikanischen Holocaust Memorial Councils durchsetzte, dass im amerikanischen Holocaust Museum nur der jüdischen Opfer des Holocaust gedacht werden dürfe. Alles andere ist Wiesel zufolge eine Verzerrung der Geschichte und kommt dem Versuch gleich, den Juden "den Holocaust zu stehlen".

Wiesel hat vor wenigen Tagen mit ganzseitigen Anzeigen in der New York Times, der Washington Post, der International Herald Tribune, dem Wall Street Journal und weiteren großen Zeitungen für Jerusalem als der Stadt geworben, die alleine den Juden zustehen dürfe.

Das begründet der Professor für jüdische Studien an der University of Boston mit Argumenten, die in einer bisweilen peinlichen Mischung aus hochtrabendem Pathos und propagandistischer Geschichtsklitterung daherkommen. Die Anzeige beginnt damit, dass Jerusalem einmal mehr im Zentrum politischer Auseinandersetzungen steht. So weit, so unbestreitbar. Dann kommt bereits der erste von mehreren Fehltritten:

Für mich, der ich ein Jude bin, steht Jerusalem über der Politik.

Das ist ein Ausdruck von Sehnsucht. Als private Äußerung ist das hinnehmbar. Als Anzeige in großen Tageszeitungen ist aber die Forderung nach einem a-politischen Jerusalem eine hochgradig politische Äußerung. Zu fordern, Jerusalem müsse außerhalb der Politik stehen (weil es nur die Stadt der Juden sein dürfe) ignoriert die Realität am Boden, mißachtet die nicht minder legitimen Wünsche von Christen, Muslimen und Nicht-Gläubigen und setzt sich über juristische Fragestellungen hinweg. Kurz: Es ist eine ideologische Phrase.

Jerusalem steht im Mittelpunkt politischer Auseinandersetzungen, beklagt Wiesel, dürfte es aber gar nicht, wenn es nach ihm ginge. Es steht über den Dingen. Warum? Darum:

Es ist in den Heiligen Schriften mehr als 600 mal erwähnt, aber im Koran nur einmal.

Man muss den Satz wohl zweimal lesen, weil man nicht glauben will, dass ein Professor der Judaistik so etwas als Argument ausgeben will.

Mekka ist im Koran namentlich nur ein einziges mal erwähnt. Der Logik Wiesels zufolge kann Mekka unmöglich eine wichtige Rolle im Islam spielen. Weiter:

Es gehört dem jüdischen Volk und ist viel mehr als nur eine Stadt. Es ist das, was den einen Juden mit dem anderen verbindet und es bleibt schwer, das zu erklären.

Diese pathetisch-romantische Auffassung von Jerusalem mag sehr wohl von bestimmten Gruppen strenggläubiger Juden geteilt werden. Diese Meinung ist andererseits natürlich ein rücksichtsloser Schlag ins Gesicht von Millionen moderner, weltlich orientierter Juden in Israel, die mit einer solchen mythisch-überhöhten Anschauung wenig bis nichts gemeinsam haben, sondern ihr Leben in einem modernen, aufgeklärten und doch jüdischen Staat leben wollen.

Vollends zum Propagandisten wird Wiesel mit einer Behauptung, die die Wirklichkeit vor Ort schlicht verdreht:

Entgegen den Berichten bestimmter Medien IST es Juden, Christen und Moslems erlaubt, in der ganzen Stadt ihre Wohnungen zu bauen.

Wie der Autor zu dieser kühnen Behauptung kommt, muss wohl ihm überlassen bleiben. In Westjerusalem wird man keine Handvoll Häuser im Besitz von Muslimen finden. Aber das war schon immer der Kern von Propaganda: Es kommt auf die Standfestigkeit der Behauptung an, nicht auf ihren Wahrheitsgehalt.

Rückendeckung für Netanjahu?

Welches Interesse steckt nun hinter dieser massiven Polit-Marketingkampagne?

Die Beziehungen zwischen Jerusalem und Washington sind seit der Israel-Visite von US Vizepräsident Joe Biden auf einem Tiefpunkt, nachdem just während dessen Besuch bekannt gegeben wurde, dass man im arabischen Ost-Jerusalem weitere 1600 Häuser bauen werden. Israels Premier Netanjahu hat das anschliessend zum Verdruß von US Präsident Obama mehrfach bekräftigt.

Als Netanjahu dann in den USA war, erhielt er für seine Rede vor der israelischen Lobby AIPAC donnernden Applaus für sein Beharren auf den Siedlungsplänen. Von Obama wurde er anschließend frostig empfangen und ohne die übliche gemeinsame Pressekonferenz entlassen, was einer diplomatischen Ohrfeige gleichkommt.

"Bibi" Netanjahu ist keiner, der klein beigibt. Er ist auch keiner, der die elegante diplomatische Lösung sucht. Er hat seinerzeit schon Bill Clinton in die Knie gezwungen und will das auch mit Obama versuchen.

Der in den USA berühmte Wiesel dürfte dazu ein gleichermaßen geeignetes wie willfähriges Instrument sein, um die öffentliche Meinung - allem voran die für die demokratische Partei wichtige jüdische Meinung - zugunsten Jerusalems zu mobilisieren. Ein bisschen Pathos kommt dabei immer gut an.

Eigentlich kann sich Wiesel derart kostspielige Anzeigen nicht leisten. Denn seine Stiftung ist dadurch so gut wie bankrott gegangen, dass der Großteil des Stiftungsvermögens dem Fond des Investmentbetrügers Bernie Madoff anvertraut wurde.

Doch hat die Stiftung schon vor Monaten eine kleine Finanzspritze in Höhe einer halben Million Dollar erhalten. Der Spender ist kurioserweise der für seine antisemitischen Ausfälle bekannte christlich-fundamentale Prediger John Haguee, der aber seinerseits ein glühender christlicher Zionist ist und das Heilige Land von den Muslimen zurück haben will. Hier trifft sich das Interesse der Zionisten beider Läger.

Sidra DeKoven Ezrahi, Professorin an der Hebrew University in Jerusalem, hat die angemessene Wertung zu Wiesels Propaganda abgegeben:

Es seien nicht nur die Siedler, sondern auch Leute wie Wiesel, die mit ihrem Hang zu Mythos und religiösen Erlösungsphantasien dafür sorgen, dass früher oder später auch diejenigen Israelis in tödliche Gefahr geraten, die mit dieser Weltanschauung nichts gemein haben.

Es war Elie Wiesel, der anlässlich der Entgegennahme des Friedensnobelpreises mit Blick auf den Holocaust sagte:

The world did know and remained silent.

And that is why I swore never to be silent whenever and wherever human beings endure suffering and humiliation.

We must always take sides.

Wiesel hat eine Seite gewählt. Die Menschen auf der palästinensischen Seite, die Leiden und Demütigungen ertragen müssen, interessieren ihn nicht. Es sind ja Muslime.

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Photo: en.wikipedia cc Lizenz

Eine offenen Protestbrief Jerusalemer Bürger an Elie Wiesel finden Sie auf Coteret.

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Geschrieben von

schlesinger

"Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt" Jorge Louis Borges

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