Zur Ermordung der drei israelischen Schüler

Mein ist die Rache Israel will die Verantwortlichen für die Morde zur Rechenschaft ziehen. Wirklich?

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Die drei entführten israelischen Schüler sind tot. Sie wurden in der Nähe von Hebron ermordet.

Dieses schlimme Ende war absehbar, da sich weder Hamas noch eine andere offizielle Gruppierung wie der Islamische Jihad zur Entführung bekannten.

Wäre Hamas verantwortlich für die Entführung gewesen, hätte sie sich früh bekannt. Immerhin hatte sie mit dem Deal nach der Entführung und späten Freilassung des Soldaten Gilad Schalit beste Erfahrungen gemacht. So aber hatte Hamas nur vage Sympathie für die Entführung bekundet, aber eine Verantwortung abgestritten.

Nach dem Mord sind in Israel sind Wut und Trauer groß. Verständlich.

Die Politik in Jerusalem reagiert wie immer. Großsprecher wie Netanjahu oder Wirtschaftsminister Naftali Bennett scheren sich nicht um Gerechtigkeit, sondern interessieren sich nur für Effekthascherei. Sie poltern und drohen. Schon hat Israel zahlreiche Angriffe gegen Gaza geflogen. Das Ziel sind Einrichtungen von Hamas. Getroffen werden wie immer auch Alte, Frauen und Kinder. Bedauerlicherweise. Und mit Hamas trifft es in diesem Fall den Falschen.

Ein Täter – viele Bestrafte

Drahtzieher des Menschenraubs und des Mordes ist der berüchtigte Großclan der Qawasmehs der in der Region um Hebron rund 10.000 Angehörige hat. Der mächtige Clan pflegt zwar lose Beziehungen zu Hamas, handelt aber seit langem in eigener Regie.

Mitglieder der Familie Qawasmeh haben während der Zweiten Intifada mindestens 15 Anschläge gegen Israel verübt, davon 9 Selbstmordattentate. Im Gegenzug hat Israel viele führende Köpfe mit sogenannten gezielten Hinrichtungen beseitigt. Nachwuchssorgen hatte der Clan dadurch nie. Wie bei einer Hydra wird jeder abgeschlagene Kopf sofort durch einen neuen ersetzt. Jeder Märtyrer beflügelt die radikalen Anhänger zu weiteren Taten. Politisch brisant: Durch ihre eigenen Anschläge hat der Clan mehrere Waffenstillstände zwischen Israel und Hamas durchbrochen.

Israel machte jedesmal Hamas verantwortlich. Dass deren Arm nicht soweit reicht, den drittgrößten Clan der Region zu bändigen, kümmert Israel nicht. Die Bevölkerung will nach einem Anschlag Rache, und die Regierung liefert Rache. Fernsehbilder von Bombenexplosionen über Gaza wirken wesentlich besser als ein paar Soldaten, die in irgendwelche Häuser eindringen und Festnahmen vornehmen.

Nebenbei zieht Israel Leute aus dem Verkehr, die gefährlich moderat sind. Als im August 2003 ein frischer Waffenstillstand von den Qawasmehs weggebombt wurde, wollte Jerusalem Härte zeigen. Man suchte und fand auch Abu Shanab. Shanab galt als gemäßigter Führer der Hamas. Er nahm wohl an, seine moderate Haltung würde ihn schützen. Das war ein Fehler. Ein israelischer Kampfhubschrauber traf Shanabs Wagen mit einer Rakete.

Israel scheint es einmal mehr nicht darum zu gehen, den “Richtigen” zu treffen, sondern möglichst die, die ihr politisch gefährlich sind: Hamas, die palästinensische Autonomiebehörde unter Mahmoud Abbas (den Netanjahu gerade einen Terroristenführer nannte) und nicht zuletzt die arabische Zivilbevölkerung der Westbank, die zahllose nächtliche Hausdurchsuchungen, Mißhandlungen und Hunderte von Verhaftungen über sich ergehen lassen mußte. Die Qawasmehs kann man, muß man aber aus Sicht Jerusalems nicht schlagen. Sie sind in ihrer Radikalität eine bisweilen nützliche Karte im Spiel: Sollten sich die Westbank-Führung unter Abbas oder die Hamas-Führung allzu konziliant zeigen und damit die israelische Position vis-a-vis den Amerikanern oder Euopäern schwächen, kann eine Aktion wie die aktuelle hilfreich sein.

Und so ist vor dem Hintergrund der lästigen jüngsten Friedensversuche von US Außenminister John Kerry dieser tragische Entführungsfall für Netanjahu & Co. nicht im menschlichen, aber im politischen Sinn durchaus willkommen. Man kann der Welt zeigen, wie alle Palästinenser immer noch im gleichen Terroristenboot sitzen.

PS.: Unsere bedauerliche Qualitätspresse spielt schön mit. Peter Münch von der Süddeutschen singt heute brav das Anti-Hamas-Lied, das ihm vom Pressesprecher der israelischen Armee vorgeträllert worden sein könnte. Vielleicht kommt der Ärmste auch nicht zu sorgfältiger Recherche: Er berichtete zuletzt farbenfroh über die frivole Partyszene Tel Avivs.

Der Beitrag stützt sich wesentlich auf die detaillierte Recherche des preisgekrönten israelischen Journalisten Shlomi Eldar

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

schlesinger

"Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt" Jorge Louis Borges

schlesinger

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