Auf der Suche nach Alternativen

Rezension Der Maoismus westlichen Zuschnitts scheint einer längst vergangenen Epoche anzugehören. Trotzdem bleibt ein Erbe, mit dem die Auseinandersetzung lohnt.

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Von proletarischen Parteien erwartet heute kaum noch jemand sein politisches Heil. Gehen wir eine Generation zurück, so war das ganz anders: In der Bundesrepublik gab es zum Beispiel zahlreiche maoistische Orgabisationen, die im linken Spektrum der Politik einen gewissen Einfluss ausübten – bis sie sich dann in die ökologische Bewegung hinein auflösten, weil ihre Versuche des Wiederaufbaus einer Partei der Arbeiterklasse als gescheitert angesehen werden mussten.

Einer der führenden deutschen Maoisten war Christian Semler. Er wurde 1938 in Berlin geboren, studierte Rechtswissenschaften, später Soziologie, Politologie sowie Geschichte, gehörte dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) an und gründete 1970 die Kommunistische Partei Deutschlands / Aufbauorganisation, die kurze Zeit danach als KPD firmierte. Nach der Auflösung der Partei 1980 arbeitete Semler als freier Journalist und engagierte sich vor allem für die demokratischen Bewegungen in Mittel- und Osteuropa. 1989 kam er als Redaktor zur tageszeitung, deren Autor er bis zu seinem Tod 2013 blieb.

Fundierte Selbstkritik

Zur Erinnerung an einen ihrer wichtigsten Mitarbeiter veröffentlichte die taz eine Sammlung von Texten und Essays aus den Jahren 1980 bis 2013 – beginnend mit einem in der Roten Fahne, der Zeitung der KPD, veröffentlichten Nachruf auf Rudi Dutschke, der an die «Veränderbarkeit der Menschen wie der scheinbar so fest gegründeten Verhältnisse» glaubte. Den chronologischen Abschluss bildet ein Beitrag zur «Kartografie der Surrealisten», der in der deutschsprachigen Ausgabe von Le monde diplomatique erschienen ist. Ausgangspunkt stellt eine Karte aus dem Jahr 1929 dar, welche die Welt aus surrealistischem Blickwinkel präsentiert. Auch hier ist Semler seiner grundsätzlichen Haltung treu geblieben, indem er auf die Absichten der Surrealisten hinweist: «Kritik der Vernunft … als Kritik an den konzeptionellen Kategorien, die stets zum Vorteil der herrschenden Klasse funktionieren. Denn für die Bourgeoisie ist es überlebenswichtig, gesellschaftliche Verhältnisse als quasi unumstössliche Naturgegebenheiten darzustellen».

Sein Festhalten an zentralen Begriffen marxistischen Denkens war allerdings mit fundierter Selbstkritik zur eigenen Rolle in der Geschichte der deutschen Linken verbunden, wie sie von anderen vormaligen Protagonisten des Maoismus kaum vorgelegt worden ist. Viele wandten sich von den Träumen ihrer Jugend ab, weil die sozialistische Wirklichkeit sich allzu oft als Alptraum erwies, und wollten dann gar nichts mehr von Alternativen zur kapitalistischen Produktionsweise wissen.

Ein unangepasster Geist

In der Rede zur Beerdigung von Christian Semler am 5. März 2013 in Berlin hat sein Freund und Genosse Peter Neitzke daran erinnert, dass Semler geschätzt wurde als einer, «der drängenden Fragen nicht ausweicht». Das macht die Sammlung der Beiträge sehr deutlich: in der Auseinandersetzung mit politischen Bewegungen, die nicht so recht ins linke Schema passten, wie dies beispielsweise bei Solidarnosc der Fall war, oder bei Fragen der deutschen Geschichte, die allzu lange vom Blockdenken überlagert wurden. Seine Texte bringen zugleich die weitgespannten Interessen des Autors zum Ausdruck. Neben der Politik kam auch die Kultur nicht zu kurz. Ein Beitrag befasst sich überraschenderweise mit linkem Religionsverständnis und zeugt von Semlers theologischen Kenntnissen. So paraphrasiert er zustimmend Karl Barth: «Wir dürfen uns Gott nicht als verhimmelten Menschen vorstellen. Die Beziehung läuft von oben nach unten, eine Klammer bietet nur die Gnade. Und die ist unerforschlich.»

Als Kommentator des Zeitgeschehens erreichte Christian Semler längst nicht die öffentliche Aufmerksamkeit des kürzlich verstorbenen Frank Schirrmacher. Er blieb ein Aussenseiter, ein unangepasster kritischer Geist, der im Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte sehen wollte.

Wenig Fassbares

Auch noch erwähnt werden soll der biografische «Bericht» des Germanisten Helmut Lethen, der ebenfalls KPD-Kader war, aber bereits vor dem Ende der Partei aus dem maoistischen Dunstkreis entschwand. Nach den intellektuellen und politischen Aufbrüchen in den Sechzigern kam für ihn in den Siebzigern eine «bleierne Zeit» – geprägt vom vergeblichen Versuch, Gegenapparate zum bürgerlichen Staat aufzubauen. Diese seien doch bloss Spiegelbilder des Staatsapparats geblieben – eine wenig einsichtige These. Eine Professur in den Niederlanden befreite Lethen 1977 aus linken Grabenkämpfen. Heute schreibt er über «Verhaltenslehren der Kälte» sowie über «Bilder und ihre Wirklichkeit». Das Ganze liest sich nicht uninteressant, doch bleibt wenig an fassbaren Einsichten zurück.

Helmut Lethen: Suche nach dem Handorakel. Ein Bericht.Göttingen: Wallstein Verlag 2012, 128 S., 9.90 EUR.

Christian Semler: Kein Kommunismus ist auch keine Lösung.Herausgegeben von Stefan Reinecke und Mathias Bröckers. Berlin: taz. die tageszeitung 2013, 200 S., 12.00 EUR.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Seifert

Journalist / Publizist / interessiert an Fragen der sozialen Ökologie

Seifert

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