Der Wahrheit verpflichtet

Rezension Der Philosoph Alain Badiou scheut sich nicht, die kommunistische Idee erneut ins Gespräch zu bringen. Eines seiner jüngeren Werke befasst sich mit Liebe - und Politik.

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Die aktuellste Mode des radical chic kommt aus Paris. Mehr als 20 Jahre nach dem Ende des «real existierenden Sozialismus» steht der Kommunismus wieder zur Debatte – zur Verwunderung jener, die ihn definitiv auf dem Misthaufen der Geschichte entsorgt glaubten. Getragen wird er nicht mehr von einer Partei, und auch eine eigentliche Bewegung ist noch nicht zu erkennen. Es sind vielmehr Einzelne, die sich äussern und zusammentreffen, um die "kommunistische Hypothese" zu diskutieren. Was ist damit gemeint? Jede Politik, die vom Ziel der Emanzipation des Menschen bestimmt wird, trägt (so die Behauptung dieser radikalen Geister) den kommunistischen Gedanken in sich, denn dieser Befreiungsprozess hält sich nicht an die Grenzen der Geschlechter, Völker und Klassen. Die kapitalistische Demokratie hingegen kann nur bestehen, wenn diese Schranken gesichert bleiben – und dies notfalls mit Gewalt.

Alain Badiou, der 1937 in Marokko geboren wurde, nahm an der Bewegung vom Mai 1968 in Paris teil und engagierte sich für die maoistischen Marxisten-Leninisten. Nach dem Scheitern des 68er-Impulses lief er nicht, wie beispielsweise die "neuen Philosophen", zur Gegenseite über, sondern setzte sich intensiv mit den Gründen dieser Niederlage auseinander, die auch im Kontext der chinesischen Kulturrevolution und deren Umschlag in einen reaktionären Staatskapitalismus zu suchen sind. Insofern hatte Mao Zedong nicht unrecht mit seiner Warnung vor der "neuen Bourgeoisie", die ihre Macht in einem der Form nach sozialistischen Staat innerhalb der Kommunistischen Partei entfalten werde. – Jene, die sich näher für dieses Thema interessieren, kann ich auf den 2008 in französischer und 2010 in englischer Sprache erschienenen Band "L’Hypothèse communiste" bzw. "The Communist Hypothesis" (London/New York: Verso 2010, 279 Seiten) hinweisen.

Trennen, was vermischt wurde

Der These vom Kapitalismus als Endpunkt der Geschichte widerspricht Badiou dezidiert. Nach seiner Auffassung führt diese letztlich zu einer "Konfusion der Volksmassen", die sich an populistische Verführer hängen und in den Fremden ihre Feinde zu erkennen glauben, weil sie die Ursachen der kapitalistische Krise nicht begreifen und jenseits des herrschenden Systems nur noch die Barbarei vorstellbar ist. Badiou vertritt allerdings auch keinen simplen Antikapitalismus, der Ressentiments gegen die Funktionäre des Systems schürt. Im Gespräch mit dem Journalisten Nicolas Truong, das im Sommer 2008 im Rahmen des Kulturfestivals in Avignon geführt wurde und inzwischen überarbeiteter Form als Buch vorliegt, erklärt Badiou, das politische Problem bestehe darin, den Hass zu kontrollieren. Aufgabe der Organisation sei es deshalb, "den politischen Feind genauestens und so eingeschränkt wie möglich zu definieren, und nicht, wie das fast während des ganzen vorigen Jahrhunderts der Fall war, am unbestimmtesten und weitesten".

Mit anderen Worten: In der kapitalistischen Demokratie herrschen gemäss der Analyse von Badiou antagonistische Gegensätze, die möglichst präzis benannt werden müssen, um die von einem vermeintlichen Klima der "Toleranz" geförderte Verwirrung zu beenden. Deshalb bestehe ein "Großteil der gegenwärtigen Denkarbeit" darin, "zu trennen, was unrechtmässig vermischt wurde" – zum Beispiel die Liebe und die Marktwirtschaft.

Liebe - ein "hartnäckiges Abenteuer"

Die Theoretiker des Marktes gehen davon aus, dass jeder Mensch bloss seine eigenen Interessen verfolge. In den Zeiten des Neoliberalismus ist diese Vorstellung inzwischen in alle Poren der Gesellschaft gedrungen und hat auch die Liebesbeziehungen befallen. Badiou betont die Bedeutung der Liebe als Gegenbeweis zur These von der Allmacht des Eigennutzes. Die Liebe zeige darüber hinaus, "dass man der Welt anders als durch ein einsames Bewusstsein begegnen und sie anders erfahren kann".

Wer solche Erfahrungen der Andersheit vermeiden will, bleibt entweder im Sicherheitsdenken oder im Hedonismus stecken. Badiou sieht die Liebe von beiden Seiten her bedroht und versteht ihre Verteidigung oder gar Neuerfindung als "philosophische Aufgabe". Diese Liebe sei nicht einfach eine Begegnung und Beziehung zwischen zwei Individuen, "sondern eine Konstruktion, ein Leben, das nicht mehr ausgeht vom Gesichtspunkt des Einen, sondern der Zwei geführt wird. Das nenne ich die 'Bühne der Zwei'". Wie kann die Liebe sich in der Dauer verwirklichen? Dies ist nach Badiou die entscheidende Frage. Er versteht sie als "hartnäckiges Abenteuer. Die abenteuerliche Seite ist notwendig, aber die Hartnäckigkeit ist es nicht weniger".

Alain Badiou kommt in seinem Denken von Platon her. Dies bedeutet für ihn, der Wahrheit und ihrer Verwirklichung, einer "Politik der Wahrheit", verpflichtet zu sein. Postmoderne Beliebigkeit ist nicht Badious Sache. Er misstraut auch den Mechanismen des westlichen Demokratiemodells, der eine "Idee des Guten" fehle. Kritiker und Kritikerinnen werfen Badiou deshalb vor, die Demokratie zu verachten und autoritäre Lösungen zu bevorzugen. Dagegen wäre einzuwenden, dass von oben dekretierte "Wahrheiten" keine sein können – weder in der Politik noch in der Liebe.

Alain Badiou: Lob der Liebe. Ein Gespräch mit Nicolas Truong. Aus dem Französischen von Richard Steurer. Wien: Passagen Verlag 2011, 87 Seiten

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Geschrieben von

Seifert

Journalist / Publizist / interessiert an Fragen der sozialen Ökologie

Seifert

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