Etwas soll bleiben

Essay Nach Abschluss des 30. Jahrgangs hat die "Kommune" ihr Erscheinen eingestellt. Der Autor verbindet den Abschied von der Zeitschrift mit persönlichen Reflexionen.

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I

Mit der Einstellung der Kommune geht ein wichtiges Projekt einer politischen Generation geht zu Ende – genauer gesagt: eines bestimmten Teils dieser Achtundsechziger-Kohorte, die sich einst den Experimenten eines westlichen Maoismus gewidmet hatte und später nicht einfach allen früheren Überzeugungen abschwören wollte. Einer von ihnen, nennen wir ihn Henner, war in einer kleinen Kreisstadt im Südwesten Deutschlands aufgewachsen. Seine Eltern, die aus Arbeiter- und Kleinbauernmilieus stammten, taten alles dafür, dass es ihr Sohn einmal besser haben sollte. So kam er im Zug der damaligen Öffnung des Bildungswesens aufs Gymnasium. Dort wurde er allmählich hellhörig für das, worüber man im CDU-Staat gerne schwieg. Da hatte ihn auch sein Vater geprägt, der freimütig bekannte, dass ihm Hitler die Jugend gestohlen habe.

Henner war mit dabei, als der örtliche Republikanische Club – ein Zentrum der Linken jeglicher Couleur – gegründet wurde. Er beteiligte sich an Protestaktionen gegen die Notstandsgesetze und gegen den sowjetischen Einmarsch in der Tschechoslowakei. So entwickelte sich Henner zu einem der rebellischen Schüler und Studenten jener Jahre. Als er zum Studium nach Tübingen kam, hatte sich der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) gerade aufgelöst. Wer vom Umbruch, vielleicht gar von Revolution träumte, dem oder der standen damals viele Möglichkeiten offen: Spontis, Trotzkisten, Leute von der DKP, Jusos und schließlich die verschiedenen marxistisch-leninistischen Zirkel warben für ihre Sache. Am meisten fühlte er sich von maoistischen Gruppen angezogen, die seinen Blick über die Universität hinaus öffneten. Henner wollte gerne ein Pädagoge »im Dienste des Volkes« werden und schloss sich einer kommunistischen Studentengruppe an. Nein: Einer Kaderorganisation tritt man nicht einfach bei. Man durchläuft eine Phase der Prüfung als Kandidat und wird bei Erfolg aufgenommen. Wie in einem Orden erhält der Neue auch einen neuen Namen, der hier aber konspirativen Zwecken dient.

II

Die Verwirklichung der Parole »dem Volke dienen« erwies sich als schwierig. Die empirisch vorfindlichen Arbeiter und Arbeiterinnen wollten von den jungen Kommunisten wenig wissen, wie morgendliche Flugblattaktionen vor Stuttgarter Grossbetrieben zur Genüge zeigten. Einige Hoffnungen setzten die Genossen auf ausländische Kollegen und Kolleginnen, die mehr Kampfgeist zeigten als das deutsche Proletariat. Henner erinnert sich an Kontakte mit griechischen Arbeitern, die der sozialistischen PASOK nahestanden und sich in einer Waschmaschinenfabrik gegen Angriffe auf ihre Löhne und Arbeitsbedingungen wehrten. Sie hatten kein Vertrauen mehr in ihren Betriebsrat und suchten Bündnispartner außerhalb des Betriebs. Henner schrieb einen Artikel darüber in der Parteizeitung, doch dann musste er sich seiner Diplomarbeit zuwenden und verlor die Griechen aus den Augen.

Später, in Westberlin, arbeitete Henner als Erzieher in einem Jugendfreizeitheim und merkte, dass es ihm nicht gelang, den dort verkehrenden Kindern und Jugendlichen, die hauptsächlich aus Arbeiterfamilien kamen, so etwas wie »Klassenbewusstsein« zu vermitteln. So suchte er eben draußen, was ihm zuhause fehlte. Wie stand es denn mit dem Aufbau des Sozialismus in China? Im Frühjahr 1978 besuchte Henner als Mitglied der Gesellschaft für deutsch-chinesische Freundschaft das Land. Er erfuhr, dass die Kulturrevolution manches Trauma hinterlassen haben musste, doch Nachfragen ergaben nicht mehr Klarheit. Die Gesprächspartner schoben alles Übel auf das Unwesen der »Viererbande«. In einem Artikel schrieb Henner nichts davon, sondern von seinem Gewinn eines »realistischeren Bildes«. Es war ein Versuch, sich selbst davon zu überzeugen, dass die Volksrepublik trotz aller Fehler auf dem richtigen Weg sei.

III

Die Erschütterung liebgewonnener Weltbilder ließ sich jedoch nicht aufhalten. Ende der 1970er Jahre wurde die »Krise des Marxismus« offenkundig und von der Linken bislang wenig beachtete gesellschaftliche Konfliktlinien wie die »ökologische Frage« bestimmten die Debatte. So wurde aus dem Maoisten ziemlich bald ein Grüner – oder besser gesagt: ein Rot-Grüner. Rudolf Bahros Rede beim grünen Gründungsparteitag im Januar 1980 in Karlsruhe, die im Aufruf mündete, Rot und Grün sollten zusammengehen, war ganz in Henners Sinn. Damit stand er nicht alleine, denn mit dem Aufstieg der grünen Partei zu einer politischen Kraft, die ganz grundsätzliche Fragen an die spätkapitalistische Gesellschaft stellte, schien die Existenzberechtigung der maoistischen und sonstigen marxistischen Zirkel endgültig erschöpft zu sein.

Die Mehrzahl dieser Gruppierungen löste sich mehr oder weniger geordnet auf, doch einzig aus der Erbmasse des Kommunistischen Bundes Westdeutschlands (KBW) entstand auch etwas eigenständig Neues: die Gründung der Zeitschrift Kommune. Die Redaktion bemühte sich um eine Öffnung und erreichte tatsächlich eine Spannbreite, die sowohl Rudolf Bahro wie Winfried Kretschmann umfasste. Das machte die Zeitschrift spannend, wie Joscha Schmierer später bestätigte, wenn auch in Bezug auf die grüne Partei: »Zwischen 1983 und 1985 gab es eine Situation, in der mir schien, man könne radikale Kritik und Reformpolitik miteinander verknüpfen. Ein Teil dieser Verknüpfung bestand in der Vorstellung, dass bestimmte Personen und Positionen beieinander bleiben können. Das war später vorbei. Danach ist die Fundamentalkritik marginal geworden.«[1]

Zu jener Zeit konnte der heutige baden-württembergische Ministerpräsident in der Kommune schreiben: Die Grünen »und besonders ihr realpolitischer Flügel« hätten »radikale Fundamentalisten wie Rudolf Bahro bitter nötig, auch wenn wir weder seine radikale Abkehr vom Industriesystem teilen und vor der grünen Volkserhebung uns Gott/Göttin bewahren möge«.[2] Übrigens: Bahro ließ ihn auch dann noch nicht kalt, nachdem dieser die Partei bereits verlassen hatte. Kretschmann schrieb nämlich einen harschen Verriss von Bahros Buch Logik der Rettung, einen Versuch über die Grundlagen ökologischer Politik, wie es im Untertitel heißt.[3]

IV

Ihre politische Herkunft machte die Zeitschrifthöchst selten zum Thema, und so entwickelte sich auch kaum eine Debatte über die Bewertung des chinesischen wie des westlichen Maoismus. Neben Gerd Koenen[4] unternahm vor allem Joscha Schmierer gelegentlich den Versuch, Erfahrungen im Kontext der radikalen Bewegungen der 1960er und 1970er Jahre zu reflektieren. Dazu gehört ein Aufsatz im Vorfeld des letzten Achtundsechziger-Jubiläums, in dem er sich mit der Bedeutung der chinesischen Kulturrevolution für den damaligen weltweiten Aufbruch auseinandergesetzt hat. Die Kulturrevolution wirkte elektrisierend: »als Beispiel für die Selbstermächtigung der Gesellschaft gegenüber zementierten Herrschaftsverhältnissen«. Dieses Verständnis habe es großen Teilen der antiautoritären Bewegung ermöglicht, »sich in die Traditionslinie der kommunistischen Bewegung zu stellen«. Das sei dann zwar »ein Weg in die Sackgasse« gewesen – doch wenn ich Joscha Schmierer richtig verstehe, bedauert er diese Erfahrung nicht.[5]

Im deutschsprachigen Raum haben frühere Maoisten und Maoistinnen bislang höchst selten das Bedürfnis verspürt, ihre Geschichte zu erzählen. So bringen sie sich meines Erachtens auch um die Chance, die Bedeutung ihres damaligen Denkens und dessen Scheitern für die heutigen Versuche einer Neuformulierung von emanzipatorischer Politik zu reflektieren. In Frankreich stellt sich die Situation ganz anders dar: Da hatten die maoistischen Wortführer von einst wie André Glucksmann und Co. sehr schnell die Fronten gewechselt und im Namen des »Antitotalitarismus« jegliche revolutionären Befreiungsversuche verurteilt, um schließlich bei der Verteidigung der herrschenden Verhältnisse zu landen. Eine Minderheit früherer französischer Maoisten wie Jacques Rancière oder Alain Badiou versucht hingegen seit den späten 1970er Jahren eine konsequente Aufarbeitung der eigenen Geschichte sowie eine Entwicklung neuer Philosophien des Politischen, die den Gedanken der Emanzipation des Menschengeschlechts nicht aufgeben.[6] Im Gegensatz zu den Glucksmännern (deren große Zeit allerdings schon lange vorbei ist) haben radikale Denker wie Badiou in der deutschsprachigen Debatte bislang kaum Wirkung gezeigt.

V

Diskussionen über Badious »kommunistische Hypothese«[7] und andere kontroverse Fragen unserer Zeit können künftig in der Kommune nicht mehr geführt werden – und das ist ein großer Verlust! Gerade angesichts der wieder mit aller Deutlichkeit zutage tretenden Krisenhaftigkeit des Kapitalismus ist die theoretische wie praktische Auseinandersetzung mit möglichen Alternativen eine dringliche Aufgabe. Einiges davon hat sich in den letzten Jahrgängen der Zeitschrift widergespiegelt: Die Kommune ist wieder spannender geworden – ein wenig mit jener Rolle vergleichbar, die sie in ihren frühen Jahren spielte. Dazwischen gab es eine (zumindest in meinen Augen) allzu große Bereitschaft einiger Autoren und Autorinnen, ihren Frieden mit dem Kapitalismus zu machen. Das war vor allem nach dem 11. September 2001 deutlich spürbar, als wieder einmal der Kampf der westlichen »Zivilisation« gegen die östliche »Barbarei« auf der Tagesordnung stand. Für einen »dritten Weg«, der sowohl Kritik des Kapitalismus als auch des terroristischen Fundamentalismus beinhaltet, schien zu jener Zeit wenig Platz zu sein. Doch die Zeiten haben sich glücklicherweise geändert…

Was bleibt? Trauer um die Ideale von einst? Ein alter Freund fragt Henner, wo denn sein Entsetzen über die Opfer bleibe, die im Namen der von ihm einst geteilten Utopien leiden mussten. Er kann nur im Sinne des bereits zitierten Aufsatzes von Joscha Schmierer antworten, dass ihn die Kulturrevolution in China nicht als krimineller Akt fasziniert habe, sondern als ein gesellschaftlicher Aufbruch. Was von diesem ein bis zwei Generationen später geblieben ist – außer einem rasanten Aufstieg zum Staatskapitalismus, weiß er nicht zu sagen. Henner tröstet sich damit, dass alle großen Ideen der Menschheit blamiert worden sind. Er denkt an die Devise von Samuel Beckett, die einer seiner aktuellen Lieblingsphilosophen so gerne zitiert: »Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.« Besser scheitern können wir nur zusammen. Deshalb hofft Henner, dass es nach dem Ende der Kommune doch noch irgendwie weitergehen wird. Er wäre auf jeden Fall dabei!

[1] Zitiert nach Guntolf Herzberg, Kurt Seifert: Rudolf Bahro – Glaube an das Veränderbare. Eine Biographie, Berlin (Ch. Links Verlag) 2002, S. 408.

[2] Winfried Kretschmann: Grüne Volkserhebung oder Realpolitik in fundamentaler Absicht?, in: Kommune 1/1985, S. 63.

[3] Winfried Kretschmann: Gescheiterter Versuch, in: Kommune 12/1987, S. 69 – 73.

[4] Gerd Koenen: Ach, Achtundsechzig. Fischer, das »Rote Jahrzehnt« und wir, in: Kommune 2/2001, S. 6 – 11. Im gleichen Jahr erschien sein Buch Das rote Jahrzehnt. Unsere kleine deutsche Kulturrevolution 1967 – 1977 (Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln).

[5] Joscha Schmierer: Wider die Provinzialisierung und Verdeutschung von 68, in: Kommune 4/2007, S. 6 – 13; Zitate S. 8.

[6] Siehe dazu Uwe Hebekus, Jan Völker: Neue Philosophien des Politischen zur Einführung, Hamburg (Junius Verlag) 2012.

[7] Alain Badiou: Die kommunistische Hypothese. Aus dem Französischen von Frank Ruda, Berlin (Merve Verlag) 2011.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Seifert

Journalist / Publizist / interessiert an Fragen der sozialen Ökologie

Seifert

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