Wider den Konstruktivismus

Rezension Nach philosophischen Schriftstellern wie Sloterdijk und Precht treten jetzt Jüngere auf die öffentliche Bühne, die nicht nur Beifall, sondern die Debatte suchen

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Wider den Konstruktivismus

Screenshot: YouTube

Der Autor gilt als jugendlicher Star der deutschsprachigen Philosophie: Erst 29 Jahr alt, erhielt Markus Gabriel den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie der Universität Bonn. Und mit 33 Jahren hat er sein erstes populäres Werk mit dem leicht verwirrenden Titel «Warum es die Welt nicht gibt» veröffentlicht. Hier tritt, so bleibt zu hoffen, eine neue Generation von Philosophen an – denen es nicht nur darum geht, mit den Strömungen des Zeitgeistes zu spielen, sondern diesen auch herauszufordern.

Der schon etwas in die Jahre gekommene Geist trägt den Namen «Postmoderne» und huldigt dem Konstruktivismus. Diese Lehre beruht auf der Annahme, dass es keine Tatsachen an sich gibt. Sie seien bloss Gegenstände unserer Diskurse oder wissenschaftlichen Untersuchungen. Der Konstruktivismus bezieht sich auf Immanuel Kant, der bekanntlich behauptete, dass wir die Welt, wie sie «an sich» ist, nicht erkennen könnten. Markus Gabriel vertritt gegen Kant und die heutigen Konstruktivisten die These eines «Neuen Realismus». Er geht davon aus, «dass wir die Welt so erkennen, wie sie an sich ist. Natürlich können wir uns täuschen, dann befinden wir uns unter Umständen in einer Illusion. Aber es stimmt einfach nicht, dass wir uns immer oder auch nur fast immer täuschen», schreibt Gabriel in seinem Buch.

Die Sache mit dem Vulkan

Wenn wir sie erkennen können, muss «die Welt» doch existieren! Was soll dann der Buchtitel, der uns nahelegt, «die Welt» gebe es gar nicht? Die Sache ist verzwickt – und doch zugleich einfach: Wir können uns gar kein Bild von «der Welt» machen, weil wir nicht in der Lage sind, von aussen auf die Welt zu blicken. Wir sind aber durchaus in der Lage, die Dinge an sich, wie sie in der Welt vorkommen, zu erkennen – und nicht bloss die Produktionen unserer Wahrnehmungsapparate. Noch einmal die Kritik des Autors am Konstruktivismus: «Wenn alle Elemente, die auf unserem Bewusstseinsschirm auftauchen, Illusionen sind, dann ist auch das Gehirn und mit ihm das Bewusstsein nur eine Illusion.» Es gebe dann gar keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Halluzinationen und normalen Wahrnehmungen mehr.

Die Konstruktivisten würden hier wohl einwenden, dass es sehr wohl einen Unterschied mache, ob eine Konstruktion als individueller Wahn erscheine oder als Ergebnis eines kollektiven Prozesses. Doch auf diesen Disput geht Gabriel nicht ein. Er will beweisen, dass die Dinge an sich auf verschiedene Weisen erscheinen – und dass diese Erscheinungen selbst «Dinge an sich» sind. Eine komplizierte Geschichte, die der Philosoph mit einem Bild erläutert: Drei Personen – Astrid (wer auch immer das sein mag), Sie und ich – betrachten den Vesuv aus verschiedenen Perspektiven. Die Metaphysik behauptet, dass es nur einen wirklichen Gegenstand gibt: den Vesuv. Den Vulkan geht im übrigen nicht an, wer ihn betrachtet. Der Konstruktivismus hingegen postuliert, dass es in diesem Fall drei Gegenstände gibt: den Vesuv für Astrid, Ihren Vesuv und meinen Vesuv. Der Neue Realismus setzt noch eins obendrauf und behauptet, es gebe mindestens vier Gegenstände: den Vesuv an sich, den Vesuv, wie ihn Astrid sieht, jenen Vesuv, den Sie betrachten, und schliesslich noch meinen. Alles klar?

Die Frage nach dem Sinn

Der Autor eröffnet mit seinem Buch das Kampffeld gegen einen Spezialfall des Konstruktivismus: das naturwissenschaftliche Weltbild, dessen Fundament im materialistischen Monismus zu finden ist. Dieser behauptet, die Welt, wie sie uns erscheint, lasse sich alleine mittels der Naturgesetze erklären. Auf solche Weise verschwindet der Geist – und damit auch aller menschliche Sinn. Der «moderne Nihilismus» beruht, so Gabriel, auf dem Fehler, «die Dinge an sich mit den Dingen im Universum zu verwechseln». Der materialistische Monismus gehe fälschlicherweise davon aus, dass alle Tatsachen einem einzigen Gegenstandsbereich angehören, für den in letzter Instanz die Naturwissenschaften zuständig seien.

Die Philosophie kümmert sich, wie die Religion, um Sinn-Fragen. Unter der Herrschaft des wissenschaftlichen Weltbildes bleiben für diese scheinbar nur noch Rückzugspositionen übrig. Gegen eine solche Sicht wehrt sich Markus Gabriel vehement. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass der Autor gute Worte für die Idee «Gott» findet: Er spricht von der Vorstellung «einer unbegreiflichen Unendlichkeit, in der wir dennoch nicht verloren gehen». Religion dürfe nicht auf Formen des Fetischismus reduziert werden, mit denen sich Menschen Gegenstände der Verehrung schaffen. Religion in einem «nichtfetischistischen Sinn sucht Spuren von Sinn im Unendlichen».

Der traditionelle Sozialismus hat sich seiner «Wissenschaftlichkeit» gerühmt und ist dabei einem Rationalismus verfallen, der die Wirklichkeit reduzierte. Wenn Markus Gabriel den Materialismus kritisiert, geht es – unausgesprochen – auch um Kritik an dieser Tradition. Dabei fällt allerdings auf, dass Gabriel ein sehr verengtes Verständnis von Materialismus hat, den er offenbar mit dem Vulgärmaterialismus des 19. Jahrhunderts gleichsetzt. Ein marxistischer Denker wie Ernst Bloch hätte ihm da einiges zu erwidern gehabt. Diese Debatte steht allerdings noch aus.

Markus Gabriel: Warum es die Welt nicht gibt. Berlin: Ullstein Verlag 2013, 272 S., € 18.00

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Seifert

Journalist / Publizist / interessiert an Fragen der sozialen Ökologie

Seifert

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