Baden-Württemberg: Ganz entspannt im Hier und Jetzt * (2)

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[Fortsetzung]

Stuttgart, Stuttgart, Stuttgart. Seit nunmehr 72 Montagsdemonstrationen nerven diese blöden Schwaben die Republik. Und dann haben diese verspießerten Wutbürger die Chance, der aufrechten Linken und dem demokratischen Sozialismus zum Sieg zu verhelfen und sie wählen eine Regierung, die von Schwulen, Lesben und Katholen gelobt wird. Würg, Kotz.

So in etwas stelle ich mir die (heimlichen) Reaktionen hier vor. Aber auch bei den bürgerlichen Medien herrscht bestenfalls Verwirrung. Oder die verzweifelte Suche nach Patzern und Katastrophen. Und was war „man“ angesichts dieser desolaten Katastrophen-Mangel-Lage dankbar, als zu Beginn der Koalitionsverhandlungen kolportiert wurde, Grün-Rot beabsichtige, die durch den Schülerrückgang frei werdenden Kapazitäten langfristig dazu zu nutzen, Lehrerstellen abzubauen, wo das möglich sein sollte. Immer schwerer zu finanzierende Pensionslasten? Scheiß drauf. Da waren sich die sich sonst spinnefeinden GEW und Philologenverband ganz schnell und ganz unüberlegt einig. Und die Medien prollten fröhlich mit. Wäre ja noch mal schöner, wenn Grün-Rot solide wirtschaften würden. Die können das doch per definitionem gar nicht:

„Die Reaktionen reichen von Fassungslosigkeit bis Beunruhigung, von Empörung bis Enttäuschung. Lehrer und Elternverbände gehen mit der künftigen grün-roten Landesregierung hart ins Gericht. Die Ankündigung von Winfried Kretschmann (Grüne) und Nils Schmid (SPD), in den kommenden fünf Jahren einen Teil der durch den Rückgang der Schülerzahlen frei werdenden Lehrerstellen zu streichen, hat eingeschlagen wie ein Blitz.“ (11)

Auch Thomas Strobl, der Prince Charles der Familie Schäuble, in deren Besitz sich Baden-Württemberg aktuell noch befindet, ließ sich da nicht lumpen: „Für uns als CDU gilt der klare Grundsatz, dass bei der Bildung nicht gespart werden darf“. (12) Aber sicher. Man ist ja jetzt Opposition. In der Regierungszeit klang das noch etwas anders. Da sagte z.B. ein CDU-Abgeordneter mit dem passenden Namen Schlachter noch: „Wir müssen aber schon heute zukünftige Haushalte entlasten. Allein die Pensionslasten sind hochgerechnet auf 2030 rund 8 Mrd. Euro – und das ist völlig unfinanzierbar“ (am 13. Feb. 2009 im Landtag). (13)

Aber jetzt war natürlich ein anderes Schlachtfest angesagt. Bis die deutliche, wenngleich eigentlich überflüssige Klarstellung durch Grün-Rot erfolgt war, aus "Marbach und Bottwartal" die Botschaft kam:“Schulleiter begrüßen die Pläne von Rot-Grün“ (zur Grundschul-Empfehlung) (14) und die WELT petzte, dass auch die Union längst „den Linksruck in der Schulpolitik“ in Form einer Gemeinschaftschule plane (15). Da fiel dieses erste Panik-Soufflé in sich zusammen.

Überhaupt, diese WELT! Druckte die doch am 10.04.2011 ein Riesen-Interview mit Winfried Kretschmann, in dem der Interviewer Thomas Schmid den designierten Ministerpräsidenten duzt und, bei Maultaschen und einer doppelten Apfelsaftschorle, von einer 30jährigen Freundschaft spricht. (16) Da hätte ich gern das Gesicht von Friede Springer gesehen.....

Nachdem sich also der erste Sturm der Dämlichkeit wieder gelegt hatte, musste natürlich eine neue Sau her, die durch die badisch-schwäbische Provinz gejagt werden konnte. Und immer wieder wackelten ganze Etagen in den Medienzentralen, wenn verzweifelte Redakteure mit letzter Kraft versuchten, sich doch noch irgendeine grün-rote Katastrophenmeldung herunter zu holen.

Die Suche nach Lustgewinn hatte ja eigentlich bereits kurz nach dem Wahlabend sooo vielversprechend begonnen, als die Stuttgarter Nachrichten erregt vermeldeten: „Aktionsbündnis gegen S21 vor dem Ende“ (17). Allerdings währte auch diese Lust nur kurz, denn man musste schnell bedröppelt nachschieben: „Aktionsbündnis: "Wir machen weiter". (18) Sch... aber auch. Nicht mal auf die Chaoten ist bei den blöden Schwaben Verlass.

Aber so schnell gibt eine Hofberichterstattung natürlich nicht auf, der gerade die Geschäftsgrundlage entzogen worden ist. Dankbar vergriff man sich deshalb an dem Kretschmann-Satz, weniger Automobile seien allemal besser als mehr, der so allerwelts und sinnfrei (und - oh Schreck! - auch noch wahr) ist, dass er zum Hineininterpretieren geradezu einlädt. Die SÜDDEUTSCHE vermeldete prompt: „Hessen buhlt um Baden-Württembergs Autobauer“ (19). Die FAZ – in diesem Falle eine besonders angemessene Adresse – retourierte mit der Antwort der baden-württembergischen Autoindustrie: „Herrscher kommen und gehen“ (Ergänze: Bestehen bleibt das Kapital.) Eben. Und im neuen SPIEGEL (18/2011 vom 02.05.2011 ) rudert Herr Bouffier auch schon wieder vorsichtig zurück. Schließlich will auch er ein kluger Kopf sein. Und ein solcher steckt ja bekanntlich hinter jeder FAZ.

Und die FAZ fährt schließlich nicht nur die grüne Jutta Benz, eine Urenkelin von Carl Benz und Markenbotschafterin von Mercedes-Benz, als Kronzeugin auf, die schon bei der Gründung der Grünen in Karlsruhe mit von der Partie war. Auch ein Herr Hundt, der meint, er „gehöre nicht zu jenen, die glauben, angesichts einer neuen politischen Farbenlehre in Baden-Württemberg in Panik und Hysterie verfallen zu müssen“, klingt nicht unbedingt nach Auswanderung. „Er findet sich dabei in bester Gesellschaft. Reinhold Würth, der Selfmade-Milliardär, der für seine markigen Sprüche berüchtigt ist, prognostiziert: „Der Wirtschaftsstandort wird nicht leiden.“ (20)

Das wär's dann wohl mit den hessisch-bayrischen Schmarotzerträumen gewesen, hätte Nils Schmid nicht angekündigt, zusätzliche Steuerfahnder einstellen zu wollen. Das könnte zumindest zu einer Absenkung des Altersdurchschnitts bei den baden-württembergischen Millionären führen.

Ach, es gäbe noch so viele schöne Gruselgeschichten zu erzählen von grün-roter Planwirtschaft, dem Untergang des dreigliedrigen Abendlandes, von der „heimliche[n] Verzweiflung der Unternehmer“. (21) Davon, wie „Bosch, Daimler & Co.... nach der historischen Wahl bereits vor der neuen Regierung in Baden-Württemberg“ . Und darüber, „was Kretschmann und die Grünen dem Ländle zumuten wollen“ (22) , worüber sich zumindest Zetkin- und Kautsky-Freund Robert Bosch tot lachen würde, wäre er es nicht schon. (23)

Aber das ist ja nur reaktionäres Begleit- und Hintergrundrauschen und lässt sich als Belegmaterial für jene Forschungsergebnisse betrachten, die ergaben, dass „Konservative“ ein „größeres Angstzentrum im Hirn“ haben. (24) Bemerkenswert ist eher Solches – das erstaunlicherweise wieder in der WELT zu lesen war:

Es ist wohl nicht nur Rhetorik, dass mit Grün-Rot ein neuer Stil in Baden-Württemberg einziehen soll. Dieses Interview mit SPD-Landeschef Nils Schmid jedenfalls entstand auf eine sehr angenehme Weise. Nachdem der designierte Finanz- und Wirtschaftsminister, 37, am Donnerstag unprätentiös und sachorientiert auf jede Frage eingegangen war, wurde das Gespräch anschließend von uns verschriftlicht und an Schmids Pressestelle zur Autorisierung gemailt, wie es üblich ist. Normalerweise schicken Pressesprecher dann einen ziemlich stark veränderten Text zurück. Ganz anders hier: Schmid selbst rief am Freitag an und bat höflich um Verständnis, dass er drei minimale Änderungen vornehmen wolle. Auch wenn Schmid als "Superminister" im Kabinett des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann hierfür wohl künftig keine Zeit mehr haben dürfte - das Signal war bemerkenswert.“ (25)

Aber bleiben wir bescheiden und schließen wir mit Edzard Reuter, der in der taz diagnostiziert: "Ein sehr solider Neubeginn". (26) Dem kann man auch als S21-Gegner zustimmen. Und wer zum Schluss doch lieber einen Paukenschlag möchte, kann bei mcmac das Neueste vom Stuttgarter Ehren-Widerstandssprecher Georg Schramm erfahren:

www.freitag.de/community/blogs/mcmac/georg-schramm-against-the-machine

(11) www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.streichung-von-lehrerstellen-schon-ist-von-wortbruch-die-rede.8bc83a84-4184-4cf4-95db-21bc50a30ba5.html?

(12) www.cdu-bw.de/aktuelles/presse/presse-detail/artikel/thomas-strobl-bei-der-bildung-darf-nicht-gespart-werden.html

www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.cdu-landesvorsitz-schaeubles-schwiegersohn-will-hausmacht-ausbauen.396825b2-461a-4cca-a132-38a5980a14b9.html

(13 )www.eugen-schlachter.de/landtag/090213_Rede_Haushalt.pdf

www.spiegel.de/spiegel/print/d-8931343.html

(14) www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.schulleiter-begruessen-die-plaene-von-rot-gruen.98f850f2-159d-45ab-abca-7d034b586ba5.html

(15) www.welt.de/politik/deutschland/article13282067/Die-Union-plant-den-Linksruck-in-der-Schulpolitik.html

(16) www.welt.de/politik/deutschland/article13128664/Der-Einspruch-der-Buerger-ist-eine-Errungenschaft.html

(17) www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.stuttgart-21-aktionsbuendnis-gegen-s21-vor-dem-ende.2f825237-cc82-4519-89ce-2cea173335e6.html

(18) www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.stuttgart-21-aktionsbuendnis:-wir-machen-weiter.2669b7df-72aa-493e-8e96-f825f14af1c3.html

(19) www.sueddeutsche.de/wirtschaft/gruene-gegen-kfz-industrie-kretschmann-fordert-weniger-autos-1.1088889

(20) http://www.faz.net/-01tcgt

(21) www.zeit.de/wirtschaft/2011-03/wirtschaft-kretschmann-unternehmen?page=all

(22) www.handelsblatt.com/politik/deutschland/kretschmanns-schwaebischer-new-deal/4003850.html

(23) In Stuttgart wohnte Clara Zetkin mit ihren beiden Söhnen zunächst in der Rotebühlstraße 147. Hausnachbar war Robert Bosch, mit dem bald ein reger Gedankenaustausch stattfand. Während eines Streiks lernte sie den 18 Jahre jüngeren Maler Friedrich Zundel kennen, der sich ebenfalls für den Sozialismus engagierte.

www.spd-sillenbuch.de/index.php?mod=content&;;;;page_id=5237&menu=5

Karl Kautsky war nach seiner Rückkehr aus dem Londoner Exil Mitbewohner in dem Haus der Familie Bosch. Ein freundschaftliches Verhältnis verband Robert Bosch auch mit seiner Nachbarin Clara Josefine Eißner und später auch mit deren Ehemann Georg Friedrich Zundel, der nach seiner Scheidung 1927 Paula Bosch heiratete. Der Physiker und Friedensforscher Georg Zundel ist ein Enkel von Robert Bosch.

de.wikipedia.org/wiki/Robert_Bosch

(24) www.welt.de/wissenschaft/article13137138/Konservative-haben-groesseres-Angstzentrum-im-Hirn.html

(25) www.welt.de/print/wams/politik/article13313620/Wir-foerdern-die-Autoindustrie.html

(26) www.taz.de/1/politik/schwerpunkt-wahl-in-baden-wuerttemberg/artikel/1/ein-sehr-solider-neubeginn/

[Überarbeitet am 03.05.2011, 13:18]

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Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

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