Ja, wenn der Herr Selter erzählt....

Günther Jauch Jörges ist (fast) Gott. Augstein ist Millionär. Der Herr Selter erzählt Steuermärchen. Däubler-Gmelin und Hartmann sind auch da. Und das ganze heißt „Günther Jauch“.

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Jetzt hat er es wieder nicht geschafft. Und dabei war es diesmal soooo knapp für Hans-Ulrich Jörges. Hätte er ein bisschen früher bei seinem „Freund“ Hoeneß angerufen, um ihm zur Buße zu raten, er hätte endlich in den wohlverdienten Gottesstand erhoben werden müssen. So aber kam ihm Familie Hoeneß zuvor. So ein Pech aber auch.

Da weiß einer seit Ewigkeiten alles (besser) und lässt keine Schwatzbude aus, um das auch rüber zu bringen. Und dann kommt ihm so knapp vor der eigenen Himmelfahrt so eine blöde Familie dazwischen. Gut, dass auch Jakob Augstein bei Günther Jauch war. So konnte ihm Jörges mal kurz seine Millionen um die Ohren hauen. Das tat wenigstens ein bisschen gut.

Wem die Sternstunde bei Jauch anlässlich der Edathy-Geschichte Hoffnung gemacht hatte, dies würde keine Eintagsfliege bleiben, der hat die „Quote“ vergessen. Niemals würde die ARD es zulassen, dass durch übermäßige Sendungsqualität die Quoteruiniert würde. Und so bemühte sich die Jauch-Redaktion bei ihren Uli-Hoeneß-Passionsspielen am 16.03.2014 erkennbar um mehr Tiefe beim Niveau. Genauer gesagt: um möglichst viel Tiefe.

Dem Unternehmer Thomas Selter (Strick- und Häkelnadeln, Werbeartikel ) kam das sehr gelegen. In dem Kreuz und Quer von Behauptungen, Vermutungen und Halbgarem machte er schnell einen irgendwie linken Block aus (Augstein, Däubler-Gmelin), dem bei jeder Witterung und in jeder Lebenslage entschlossen entgegen zu treten ist.

Und da es irgendwie links um Steuern ging, griff er flugs zur Laffer-Kurve, schlug entschlossen zu – und Augstein pennte. Ja, wenn der Herr Selter erzählt....

Was waren das noch für Zeiten, als unsere Altvorderen bzw. die, die sie zu wählen oder für die sie zu arbeiten pflegten, uns die Märchen von all den Wackelsteiner Ländchen erzählten, der Blut-und-Boden-Variante der Tellerwäscher-Story:

Ja, wenn der Senator erzählt.
Das ist der, dem das ganze Wackelsteiner Ländchen gehört
und alles, was darauf steht.
Wie der angefangen hat:
Sohn eines Tischlers,
der war schon 40 Invalide,
alle Finger der rechten Hand unter der Kreissäge.
Mit fünf Jahren schon ist der Senator jeden Tag
von Wackelrode nach Hohentalholzheim gelaufe,
zwölf Kilometer hin
und zwölf
Kilometer zurück.“

Franz Josef Degenhardt

Tempi passati würde unser kapitaler Selfmade-Joschka dazu sagen, der ja nun auch nicht mehr der grünste ist. Heute erzählen die Selters uns das Märchen von der schönen Laffer-Kurve, die alle reicher macht. Und das geht ungefähr so:

Wenn der Steuersatz bei 0% liegt, haben alle alles, nur der Staat hat nix. Wenn der Steuersatz bei 100% liegt, haben alle nix und der Staat hat kurzfristig alles, langfristig aber auch nix. Also sagte sich ein amerikanischer Wirtschafts-Yuppie namens Laffer: „Je mehr wir uns dem 100%-Niveau nähern, desto geringer werden....Arbeitsanreiz und Produktion, desto mehr sinken die Steuereinnahmen, bis sie schließlich gleich null sind“ (S. 223 *).

Wo nun genau der Punkt sei, an dem die Geschichte zu Ungunsten des Staates kippt, konnte Laffer zwar nicht sagen, dafür konnte er das Ganze aber sehr schön als Kurve auf einem Cocktailuntersetzer aufmalen, was er denn auch 1974 in einem Washingtoner Restaurant für seinen Freund Wanninski tat (S. 226 *). Der war ein mittelmäßiger Journalist beim Wall Street Journal und hatte von Ökonomie keine Ahnung (S. 220 *). Ein idealer Zuhörer also, der denn auch gleich das Potential dieser Kurve erkannte: „Mir war sofort klar,....dass dies ein wunderbares Propaganda-Instrument war“, um die politisch entscheidenden Leute für Steuersenkungen zu gewinnen (S. 226 *).

Ja, und das tat er dann auch ausgiebig im Wall Street Journal und anderswo. Uns so kam das Märchen dann bei Märchenonkel Reagan an, der denn auch gleich nach dem Herrn Laffer schickte, weil er gerade Präsidentschaftskandidatwerden wollte und dazu eine gute Story brauchte...(S. 227 *). Ja, und irgendwann wurde daraus ein Bierdeckel mit Merz-Musik und landete als solcher im Deutschen Bundestag.....

Nun ist es mit Märchen so eine Sache. Meistens sind sie älter als ihr Erzähler und auch schon mal anders als erzählt. Und sie haben irgendwie einen wahren Kern, der allerdings mehr mit „gesundem“ Menschenverstand und überlieferter Erfahrung als mit Wissenschaft zu tun hat.

Als Laffer also meinte, feststellen zu müssen, dass die Steuersätze in den USA in den 70er Jahren den optimalen Steuerpunkt überschritten hätten, ignorierte er oder wusste er nicht, dass ein Franzose namens Say eine solche Steuertheorie bereits im 19. Jahrhundert entwickelt hatte, dass dies lange Zeit herrschende Lehre wurde, dass diese Lehre in der Weltwirtschaftskrise krachend scheiterte und deshalb zumindest in Teilen vom Keynsschen Konzept abgelöst wurde (S. 224 *).

Herr Selter scheint dies auch nicht mitbekommen zu haben. Auch nicht, dass die Laffer-Kurve in der Weltfinanzkrise krachend zerborsten ist. Und da muss man nun Frau Däubler-Gmelin einen Vorwurf machen, die zwar versuchte, dies irgendwie einzubringen, aber es, wie so oft, versäumte, ihre Ausführungen in dieser Sache dem Informationsstand des Herrn Selter anzupassen. Nein, eine Pädagogin ist sie nicht. Und Jakob Augstein pennte vor sich hin, anstatt die Chance zu nutzen und mit Sachinformationen zu punkten. Ja, er hat's halt lieber mit Meinung als mit Sache.....

Und so konnte der Herr Selter seinen Blödsinn auch noch historisch falsch rüberbringen, indem er behauptete, Laffer hätte seine Kurve auf der Basis der positiven Erfahrungen mit den Reaganschen Steuersenkungen entwickelt (ab ca. Minute 44). Es war, wie schon gesagt, genau umgekehrt. Laffer bezog sich allerdings auf vermeintliche Erfahrungen mit Steuersenkungen aus der Ära Kennnedy in den 60er Jahren – und da sind seine Schlussfolgerungen umstritten. Wie im Übrigen auch die Politik Reagans. Und wie die ganze Kurve mit ihren Folgerungen S. 224 ff *).

Kurz, was sich Herr Selter da unwidersprochen zusammen häkelte, beruht auf einer Geschichte, die eher dem Bereich Fiction zuzurechnen ist als dem Bereich Fact („Die Idee tauchte bereits in Jonathan Swifts Steuereinmaleins (1728) auf.“**). Empirisch nachweisbar scheint bislang nur ein Erfolg der Laffer-Kurve zu sein, der wirtschaftliche Erfolg von Laffer & Co (S. 236 ff *).

Aber Hauptsache, unsere fürsorglichen Unternehmer konnten wieder einmal ungestört etwas in die Publikumsköpfe pflanzen, was nur schwer wieder daraus zu entfernen ist. Und je öfter der Blödsinn unwidersprochen wiederholt werden kann, desto stärker setzt er sich fest. Herr Selter selbst scheint der beste Beweis dafür.

Habe ich was vergessen? Ach ja, der Herr Hartmann war auch da.

*)

Alfred L. Malabre, Lost Prophets: An Insider's History of the Modern Economists, Kapitel 6. Die

Seitenzahlen beziehen sich auf die deutsche Ausgabe: Ungehörte Propheten, Stuttgart 1994

**)

https://de.wikipedia.org/wiki/Laffer-Kurve

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Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

seriousguy47

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