Lewitscharoffs Dresdner Rede 2.2

Lewitscharoff Rede Lewitscharoff hat altbacken religiös, wenig analytisch und polemisch an wunde Punkte gerührt, die eine oberflächliche Machbarkeitsgesellschaft zwanghaft verdrängt.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Hochmut kommt vor dem Fall. Und so muss ich nun selbst büßen für meine Forderung, Lewitscharoffs Dresdner Rede in Gänze zu lesen, anstatt sich über zu Kampfparolen verdichtete Zitate zu erregen. Über letzteres schrieb ich in einem ersten Blogbeitrag. In einem zweiten Teil wandte ich mich dem Inhalt der Rede zu. Dies versuche ich hier abzuschließen.

Bereits im vorausgegangenen Blogbeitrag konnte man sich über Lewitscharoffs volkstümliches Missverständnis des biblischen Onaniebegriffs wundern. Schließlich hat sie Religionswissenschaft studiert. Wundern kann man sich so auch über ihre sehr naive, altbackene Religiosität, die volkstümelnder Frömmelei näher zu stehen scheint als aufgeklärter Theologie oder auch neureligiöser Esoterik. Im Privaten geht das niemanden etwas an. In einer repräsentativen Rede wirkt es sehr unter Wert.

So fällt ihr als Kontrast zum „ Gemachtwordensein auf künstlichen Wegen“ nicht arg viel mehr ein als „das Gezeugt- und Geborensein auf die übliche Weise“. Weshalb man das eine höher einstufen sollte als das andere, erschließt sich mir auf diese Weise nicht. Dabei böte es sich, folgt man biblischer Logik, an, die Zeugung als den Moment menschlichen Lebens anzusehen, in dem dieser sich als „Gottes Ebenbild“ zeigt, Initiator neuen Lebens zwar, aber nicht dessen Schöpfer – was ihn allerdings des Nimbus' als „Krone der Schöpfung“ berauben würde, da alles Leben nach dieser Definition von Ebenbildlichkeit eine solche beanspruchen könnte.

Die Erschaffung eines neuen Menschen im Labor wäre, so gesehen, ein Schritt näher zur Anmaßung von Göttlichkeit, denn sie verkleinert den Raum, über den der Mensch nicht verfügt. Am Ende ließe sich die vollständig künstliche Erschaffung menschlichen Lebens imaginieren. Dann wäre endgültig das erreicht, wofür der Mythos bereits die Vertreibung aus dem Paradies als Strafe vorweg genommen hat.

Sehr viel wesentlicher an diesem Gedankenexperiment scheint mir aber ein anderer Aspekt, der mit einer solchen Vorstellung einhergeht: das Gefühl von Respekt gegenüber der Zeugung von Leben als einer Art „heiligem“ Akt. Dies wäre ein mächtiger religiöser Einspruch gegen das Gekreische vom „eigenen Bauch“ oder vom „Zellklumpen“ als Synonym für Gen-Müll.

Man muss das nicht überhöhen. Man muss dem blinden, „ziellosen“ Sex damit nicht den Genuss austreiben. Aber ein Hinweis auf das Wunder, das eine Zeugung auch ist könnte dem menschlichen Bewusstsein und menschlicher Zivilisation schon angemessen sein und einen Stachel gegen allzu platten, egomanischen Materialismus setzen.

Nichts davon bei Lewitscharoff. Platt auch ihr Verweis auf „psychologische“ Implikationen der (anonymen) Laborzeugung:

So simpel können nur Menschen denken, die auf die psychische Bedeutung von Ursprungskonstruktionen noch nie einen Gedanken verschwendet haben. Wie verstörend muss es für ein Kind sein, wenn es herausbekommt, welchen Machinationen es seine Existenz verdankt.“

Mal abgesehen davon, dass zumindest ein Kind, das von den eigenen Eltern abstammt, davon gar nichts zu erfahren braucht, gibt es künstliche Befruchtungen mindestens seit den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts und „Retortenbabies“ seit den 70er Jahren. Ihre Zahl scheint mittlerweile in die Millionen zu gehen. Es müsste also möglich sein, ihre Befindlichkeit empirisch zu ergründen. Frau Lewitscharoffs Imaginationen jedenfalls scheinen mir da wenig maßgeblich zu sein.

Sie sind sogar irreführend, da sie von realen Problemen eher ablenken:

Ein österreichischer Wissenschaftler hat möglicherweise 600 Kinder gezeugt – per Samenspende. Sollte sich bewahrheiten, was zwei seiner Söhne herausgefunden haben, dann hätte er einen Weltrekord aufgestellt. Bertold Wiesner betrieb mit seiner Frau Mary Barton in den 1940er-Jahre eine Fruchtbarkeitsklinik in London, die auf künstliche Befruchtung spezialisiert war.....Bisher hält ein anonymer Arzt aus den USA den Fruchtbarkeitsrekord. Er hat 150 Kinder gezeugt.“

Das kommt Horrorvorstellungen schon näher. Man muss – abgesehen von manch anderem – nur mal an die möglichen sogenannten “Inzucht“-Implikationen denken, wenn 600 Halbgeschwister irgendwo in der Welt leben, die von ihrem Status gar nichts wissen.

Realer Horror wird aus dem theoretischen Horror bei einer anderen Geschichte:

Die Teilzeitkraft einer Samenbank vertauschte jahrelang Patienten-Sperma gegen eigenes. Die Familien sind entsetzt: Thomas Ray Lippert war ein Kidnapper – und ist vielleicht Vater Dutzender Kinder..... Der Alkoholiker und verurteilte Gewaltverbrecher, der mit 49 Jahren an seiner Sucht starb, war in keiner guten körperlichen Verfassung. Und vermutlich war er auch niemand, den sich eine Frau in einer Samenbank als möglichen Spender ihres künftigen Babys ausgesucht hätte....

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Paar das Foto sieht und sagt: Ja, das ist der geeignete Spender, den will ich", sagt Pamela Branum ….. Dennoch hat die Frau, die mit Hilfe einer künstlichen Befruchtung …. 1991 ein Baby bekam …. ganz offensichtlich ein Kind von Lippert. Und ihr Mann, der zumindest bisher angenommene Samenspender, ist nicht der biologische Vater ihrer heute erwachsenen Tochter Ashley (Name geändert)....“

Zwei Varianten einer Vergewaltigung 2.0 könnte man darin sehen, besonders perfide die zweite. Dazu kommen die Geschichten von anonym gezeugten Menschen, die ihre Väter suchen oder die Geschichte einer Frau, die ich neulich im Radio hörte. Sie verstand, als sie von ihrer Zeugung hörte, weshalb sie ihren sozialen Vater nie „riechen“ konnte.

Ich möchte das gar nicht weiter ausführen. Es soll nur ein Hinweis darauf sein, was bei wissenschaftlichen Fortschritten so alles nicht mitbedacht werden kann. Es wäre sinnvoller gewesen, Frau Lewitscharoff hätte sichan solche Realitäten gehalten als an ihre privaten Obsessionen.

Verquer scheint mir auch solches:

Absolut grauenerregend ist auch die Praxis, ein Kind durch eine Leihmutter austragen zu lassen. Sie kommt zwar selten vor, treibt die Widerwärtigkeit aber auf die Spitze. Nicht nur, dass dafür meistens Frauen aus armen Ländern als Gebärmaschinen herhalten müssen. Diese wahrhaft vom Teufel ersonnene Art, an ein Kind zu gelangen, verkennt völlig, welche Bedeutung das Erleben eines Embryos im Mutterleib hat. Man weiß inzwischen viel mehr, wie sensibel diese kleinen, noch im Bauch geborgenen Geschöpfe auf alles reagieren, was der Mutter widerfährt. Man weiß, wie der innere Resonanzraum beschaffen ist, in welchem der Embryo heranwächst und was davon in sein sich entwickelndes Gehör dringt, was ihn erschreckt, was ihn beruhigt, was ihn erfreut. ….Von Bedeutung ist dabei nicht nur, was die Mutter an Nahrung und Flüssigkeit zu sich nimmt, ob sie raucht oder nicht, von Bedeutung sind auch die Geräusche, ist die Musik, die in der Leibhöhle vernommen werden, und – wie könnte es anders sein – maßgeblich ist die mütterliche Stimme. Natürlich wird der Embryo auch davon beeinflusst, wie die Gefühle geartet sind, welche die Mutter ihm gegenüber hegt, ob sie das heranwachsende Kind behütet, ob sie sich darauf freut, es bald in die Arme zu nehmen oder eben nicht. Eine Leihmutter, die sich ausökonomischen Verzweiflungsgründen zu so etwas hergibt, wird sich ganz gewiss nicht erlauben können, mütterliche Gefühle zu hegen, zumal sie ja weiß, dass ihr das Kind sofort nach der Geburt genommen werden wird.“

Lewitscharoff kritisiert zu Recht die Degradierung von Frauen zu Gebärmaschinen, nur erschließt sich mir nicht, weshalb sie dies einerseits noch mit einer extensiven Beschreibung der intimen Kommunikation zwischen Mutter und Kind während der Schwangerschaft aufbläst, andererseits aber die Adoption von Kindern als Alternative anpreist, die genau dieselbe Erfahrung von intimer Bindung und brutalen Verlustes durchmachen.

Und es ist dies nicht der einzige Widerspruch in der Rede. Denn genau die Frau, die so sehr gegen die vermeintliche oder tatsächliche „Selbstermächtigung“ der Frauen wütet und mehr Schicksal einfordert, ermächtigt sich bei Bedarf auch durchaus selbst:

...gottlob auch keine Abtreibung vornehmen musste. Auf eine schwäbische Zwangsneurotikerin ist in puncto Vorbedachtsamkeit in Bezug auf entsprechende Maßnahmen, die da getroffen werden müssen, Verlass.“

Nun möchte ich nicht meinerseits den schwäbischen Erbsenzähler geben, umso weniger als ich gar kein genetischer Schwabe bin. Aber ich hoffe, wenigstens ansatzweise potentielle Stärken und offenkundige Schwächen in Lewitscharoffs Rede aufgezeigt zu haben, die allerdings durchaus nicht den öffentlichen Furor rechtfertigen, den sie ausgelöst hat. Auch könnte ich auf Machbarkeitsfragen hinweisen, die sie selbst übersieht. Weil sie dabei selbst betroffen wäre?

Ich würde nicht mehr leben, wenn es die Medizin nicht gäbe.“ (SPIEGEL 11/2014, S. 114)

Dazu fielen mir eine Menge Fragen ein – und der Sozialdarwinismus würde gefährlich nahe rücken. Aber lassen wir das. Eine „große“ Rede ist es für mich jedenfalls nicht. Aber auch kein Skandal.

And where's the beef? Wo bleibt denn nun endlich DIE Stelle? Bitte sehr:

Ich übertreibe, das ist klar, übertreibe, weil mir das gegenwärtige Fortpflanzungsgemurkse derart widerwärtig erscheint, dass ich sogar geneigt bin, Kinder, die auf solch abartigen Wegen entstanden sind, als Halbwesen anzusehen. Nicht ganz echt sind sie in meinen Augen, sondern zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas. Das ist gewiss ungerecht, weil es den Kindern etwas anlastet, wofür sie rein gar nichts können. Aber meine Abscheu ist in solchen Fällen stärker als die Vernunft.

Die Hypothek, die auf Mutter und Kind bei solchen Manövern lastet, ist enorm. Besonders in den Fällen, in denen der Samenspender nicht der Mann ist, mit dem die Mutter zusammen das Kind aufzieht. Wer sich sein Wunschkind anhand gewisser Merkmale aussucht, hat präzise Vorstellungen, wie so ein Kind werden soll. Überspitzt gesagt, eine Mutter, die sich einen gut aussehenden Nobelpreisträger mit hohem iq-Wert als Samenspender aussucht, geht zwanghaft davon aus, ihr Kind müsse ebenfalls zu einem gut aussehenden Nobelpreisträger heranwachsen....“

Und nun mag ich nicht mehr. Denkt selber weiter, wenn ihr wollt......

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

seriousguy47

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden