Monteverdi-Tag auf 3Sat: Barrie Koskyssimo!

TV-Kritik Circa 8 Stunden Opernwahnsinn aus der Komischen Oper in Berlin. Ein grandioser Start für Barrie Kosky als Intendant und Regisseur. Eine Sternstunde der Ensemble-Oper.

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Es waren unverkennbar und definitiv 3 Monteverdi-Opern, die am 16. September 2012, eingebettet in Interviews und Dokus, auf 3Sat innerhalb eines zusammenbindenden Rahmens zu sehen waren. Ob es Opern von Monteverdi waren, muss ich als Laie offen lassen. Macht aber nichts, denn die modernisierte, teilweise zwischen „E“ und „U“ changierende musikalische Fassung durch Elena Kats-Chernin und die kongenial moderne, aber unverkopfte Regie von Barrie Kosky machten jede einzelne Oper zu einem Highlight und alles zusammen steigerte sich im Laufe eines Nachmittags und Abends der von Amor gesteuerten Liebe bis zu meinem persönlichen Lieblingsteil, der dekadenten Krönung der Poppea http://de.wikipedia.org/wiki/L%E2%80%99incoronazione_di_Poppea .

Begonnen hatte das Opern-Marathon mit Orpheus http://de.wikipedia.org/wiki/L%E2%80%99Orfeo, dessen jungen Sänger Dominik Köninger das Publikum am Ende bejubelte, und wo mir angesichts des Regiekonzeptes so etwas wie Jenseits von Eden durch den Kopf ging, was sowohl zum opulent tropischen Bühnenbild mit triebhaft herum trollenden Wesen, wie auch zum Kontrast von junger, romantischer Liebe und dem Tod passt, von dem man in diesem Stück ganz besonders „mitten im Leben...umfangen“ ist. Ein von Tod und Schmerz vergiftetes Paradies also. Das wurde gleich zu Beginn klargestellt, als der von einem Puppenspieler bewegte Tod sich dem schlafenden Amor zugesellte.

Es folgte Die Heimkehr des Odysseus http://de.wikipedia.org/wiki/Il_ritorno_d%E2%80%99Ulisse_in_patria, in der die treue, leidgeprüfte eheliche Liebe mit Kind thematisiert wird und es bleibt im Konzept des Regisseurs interessanterweise die einzige der drei Opern, in der das Paar das Ende der Oper „überlebt“. Nicht nur das: anstelle des letzten Tons gibt es einen innigen Kuss. Womit dann auch die Botschaft des Bühnenbildes – anders als bei Beckett, an dessen Waiting for Godot es gemahnt – endlich in Erfüllung geht. Waiting for Odysseus also, und gemahnend an eine Zeit, wo man mit dem Individuum noch Hoffnung auf bessere Zeiten verbinden konnte und nicht das Symbol ihres Endes in Krieg und Lager. Hier ist auch im kargen Bühnenbild alle Romantik gewichen. Schmerz, Gefahr und Tod sind allgegenwärtig – aber haben doch – verkörpert vor allem in Penelopes unbeirrter Treue - noch den Geschmack von Utopie.

Stark sind hier die schauspielerischen Leistungen der SängerInnen. Zu Recht wurde am Ende nicht nur das zentrale Paar bejubelt.

Schließlich Die Krönung der Poppea oder: Von Phall zu Phall wovon einiges auf der Bühne baumeln durfte. Hängend, aufliegend und von unterschiedlicher Größe, Alter und Form. Und jede Menge phallscher Freunde ließ Kosky hier aufmarschieren: Poppea, ein Phall für die mörderische Erotik der Macht. Nero, der mit eigenen und fremden Phallen spielt, ohne selbst hinein zu tappen. Und womöglich noch ein Phall für das Guinness Buch der Rekorde – sofern der Sänger des Seneca tatsächlich der erste nackte Bass der Operngeschichte sein sollte, wie mir schwant. In jedem Fall ein Phall, an dem auch Psychotherapie scheitern dürfte.

Senecas Phall war dann neben seiner dunklen Stimme auch schon das einzige, womit er quälende Minuten lang „glänzen“ durfte, bevor er bereits zu Ende der ersten Halbzeit in der symbolischen Badewanne gephällt wurde . Seine Weisheit dagegen wurde nicht nur vom Regiekonzept verlacht. Als Gegenpol zur phallschen Truppe um Nero blieben nämlich weder Weisheit, noch Tugend, noch Unschuld, sondern die am Ende scheiternde Gegenintrigantin Octavia und Hochprozentiges. Die Kaiserin war kein Phall für Nero und suchte Trost im stets gut gefüllten Glas. Hochprozentiger Schlussapplaus für Helene Schneidermann.

Mit seinem Konzept für diese Oper verließ der Regisseur endgültig den zwischendurch eingeschlagenenTugendpfad der Oper als Religionsersatz und ordnete sie der Schrillheit der geilen Spaßgesellschaft ein – was die verbliebenen tugendhaften Bildungsbürger wiederum durchaus als Gesellschaftskritik durch bloße Abbildung verstehen durften. Und wer mehr zur Erkenntnis brauchte, für den gab es, neben anderen Perversitäten, noch eine Vergewaltigung auf offener Bühne. Diesmal eher keine zu viel – es ging ja um Nero. Oder unser Bild von Nero. Oder um das Zelebrieren spät-römischer Dekadenz, die in dem überschaubaren Milieu auf der Bühne so ziemlich alles vergiftete oder ermordete, was noch Reste an Tugend und Unschuld besaß – bis hin zur Musik, die sich – nach meiner Wahrnehmung - nur mehr an einer Stelle berückende Schönheit erlaubte und selbst das mitten im Korruptionssumpf: in Arnaltas Schlaflied für Poppea. Und die so nur noch in diesem kleinen Moment des Innehaltens die Utopie eines ganz Anderen im schrill-perversen Ego-Treiben aufscheinen lassen konnte – wofür ja „schöne“ Musik seit Orpheus stehen sollte. So wahrer und mehr als die z.B. die Dauerdröhnung an Quasi-Religion des Wagnerschen Opium fürs national gestimmte Staatsopern-Bürgertum.

Thema hier war der verwahrloste, ausschweifende, pervertierte, als „Liebe“ verkleidete, berechnende, betrügende, unterwerfende Sex, der, offenbar längst nicht mehr polymorph befriedigend, kreischend auch über – gerne vorher gefolterte oder missbrauchte - Leichen geht. Kosky treibt dabei die Handlung weit über das Libretto hinaus in einen Exzess, der mir – anders als in dem verkopften Regietheater, das mir bislang unterkam – die Oper tatsächlich stimmig in die Moderne transportiert und so kritisch und wahr gleichermaßen macht.

Und den Zuschauer betroffen. Interessant hier: Kosky lässt die übliche Betörung durch das wunderbare, aber umstrittene "Pur ti miro, Pur ti godo" http://www.youtube.com/watch?v=_isL0E-4TsQ nicht zu, sondern sorgt für kalte kalte, geschäftliche Distanz. Ob das wohl zum etwas gedämpften Jubel für diese beiden Sänger beigetragen hat? Am Ende lässt Kosky das perverse Paare absaufen - eine Erinnerung daran, dass auch diese beiden sterblich sind? Jedenfalls ein Schließen des Kreises im Spiel von Eros und Thanatos.

Nicht nur ein Tag für Monteverdi war es also, sondern auch ein Tag der Betrachtung von Liebe und Tod. Ausgehend vom post-paradiesisch Animalischen, aus dem das Romantische erwächst und tragisch an der darwinistischen Realität scheitert. Über die an der Realität reifende und diese gemeinsam meisternde treue, familiär eingebettete, in den Kindern sich verewigende Liebe. Bis hin zum übersättigten, durch Wohlstand und Machbarkeit degenerierten, nur mehr taktisch und technisch eingesetzten Wegwerf-Sex, der ohne brutale Gewalt nicht mehr auskommt, weil er immer stärkerer Reize bedarf . Das interpretiere ich mal einfach in die Regie hinein. Ob Kosky das auch so sieht, spielt hier keine Rolle. Mir geht es darum, was bei mir wie ankam.

Immer persönlich präsent ist dabei Amor, der schon vorher war und nachher sein wird. Der alles steuert – durchaus auch launisch und, wenn ihm der Schluss nicht passt, wie bei Orpheus, diesen einfach ersäuft. Mit Amor-Pfeil natürlich.

Eine Welt- und Entwicklungsgeschichte der Liebe wäre also, was Kosky mit den Montiverdi-Opern im Dreierpack versucht. Dabei verkehrt er allerdings in der Poppea die Gewichtungen von Liebe und Grausamkeit so vollständig, dass das „Pur ti miro“ am Ende nicht mehr stimmt. Es wäre konsequent gewesen, dieses Liebesduett Otho und Drusilla zuzuweisen. Hier würde ich den einzigen Fehler in Koskys Regie sehen wollen.

Für mich war all das, das mit wechselnden Besetzungen arbeitende Orchester, der das Marathon-Unternehmen souverän durchhaltende Dirigent André de Ridder http://www.komische-oper-berlin.de/ueber-uns/ensemble/andre-de-ridder/, das singende, tanzende, strippende und kreischende Personal und besonders natürlich der in allen drei Opern herum amorende Tenor Peter Renz: grandios.

...und mein putatives "Buuuuh" gegen Katrin Bauerfeind nehme ich hiermit offiziell zurück. Schwobamädla sind halt doch gscheit....

https://www.freitag.de/autoren/seriousguy47/klassik-tipp-monteverdi-tag-bei-3sat

Für Substanzielleres ist bekanntlich die seriöse Presse zuständig, z.B.:

http://www.zeit.de/2012/39/Oper-Monteverdi-Orpheus-Odysseus-Poppea/komplettansicht

http://www.berliner-zeitung.de/theater/komische-oper-berlin-eins--zwei--drei--satyr,10809198,17273644.html

http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/regioline_nt/berlinbrandenburg_nt/article109190372/Zwoelf-Stunden-Monteverdi-Barrie-Kosky-startet-in-Berlin.html

http://www.nmz.de/kiz/nachrichten/rasanter-auftakt-fuer-berliner-monteverdi-marathon

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kulturheute/1869147/

http://www.theaustralian.com.au/arts/music/koskys-spectacle-wows-berlin/story-fn9d2mxu-1226475996877

http://www.concerti.de/de/1125/barrie-kosky-das-mischpoche-gefuehl-oder-a-love-letter-to-monteverdi.html

Mehr Ungelesenes vom Autor zu TV-Opern:

http://www.freitag.de/autoren/seriousguy47/klassik-tipp-carmen-reloaded

http://www.freitag.de/autoren/seriousguy47/giulio-cesare-oder-das-wunder-von-salzburg-arte-27-05-2012

[Überarbeitete Fassung eines ersten Beitrags in der FC vom 17.09.2012, 00:23 .]



Monteverdissimo. 3Sat-Übertragung des Monteverdi-Tages der Komischen Oper Berlin am 16.09.2012.

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Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

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