Medien schonen Merkel

Merkels Freiheit Wie kommt es, dass die Kanzlerin in den Medien fast vollkommen unkritisch beschrieben wird.“?

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Alfons Pieper

Man muss den SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück gewiss nicht schonen. Und dass er, seine Berater und die SPD-Spitze so gut wie kein Fettnäpfchen auslassen, zwingt Journalisten dazu, genüsslich darüber zu schreiben. Wann hat man schon mal binnen weniger Wochen so viele Gelegenheiten, über einen Spitzenpolitiker, der Kanzler werden will, zu lästern. Das ist Realsatire, die da geboten wird, die Sache mit dem 5-Euro-Wein, dem angeblich zu niedrigen Gehalt der Kanzlerin oder jetzt die verbale Ausleihe bei einem Leiharbeit-Arbeitgeber, mit dessen Slogan „Das Wir entscheidet“ die SPD in den Wahlkampf ziehen will. Dabei wollen die Genossen Gabriel und Co. doch die Leiharbeit abschaffen. Alles gut, alles nachvollziehbar. Aber darf das dazu führen, dass die Kanzlerin Angela Merkel nahezu von allen wichtigen Medien geschont wird? Dass die Bild-Zeitung auf Merkel-Kurs ist, geschenkt. Dass die „FAZ“ eher konservativ ausgerichtet ist, weiß man. Aber dass ein Blatt, das man bisher eher auf der kritischen, linksliberalen Seite verordnet hatte wie die „Süddeutsche Zeitung“, ebenfalls in den Merkel-freundlichen -oder soll man sagen Merkel-bewundernden- Chor einstimmt, irritiert.

„Frau Alpha-Eins“ überschrieb SZ-Autorin Evelyn Roll ihre Seite-3-Geschichte in der Oster-Ausgabe. Man muss nur noch die Unterzeile lesen, dann weiß man, was jetzt auf einer ganzen SZ-Seite folgt: Eloge, Bewunderung, keine Distanz. „Nächte ohne Schlaf“, steht da, dann folgt „Krisen ohne Zahl“. Mein Gott, die arme Kanzlerin, möchte man meinen. Hat sie den Job nicht freiwillig gewählt? Aber es geht noch weiter. „Mal ehrlich, möchte einer mit der Kanzlerin tauschen?“ Soll man jetzt Peer Steinbrück rufen? Aber bleiben wir noch bei Evelyn Roll und der Unterzeile. „Für Angela Merkel ist das- ja was- ein Traumberuf. Auf Reisen mit einer Unzerstörbaren“.

Der SZ-Leser reibt sich die Augen. Hat mir der Zeitungsbote etwa eine andere Zeitung in den Briefkasten gesteckt, die „Welt“ vielleicht? Auf der Leserbriefseite der SZ, eine Woche später, finden sich entsprechende Reaktionen. „Ich werde unser SZ-Abo kündigen. Ich möchte mit unserem Geld nicht den Wahlkampf der CDU finanzieren“. Erregt sich der Leser Matthias Schnitzler aus Köln. Erbost fragt er: „Ist das noch Auftragsjournalismus? Oder schon Hagiographie“. Letzteres erklärt der Duden mit „Erforschung und Beschreibung von Heiligenleben“.

Mir geht es ähnlich. Ich habe diesen Merkel-Artikel erst nach Rückkehr aus dem Ägypten-Urlaub gelesen und mich gewundert. Also auch die SZ auf Merkel-Kurs. Bei vielen anderen Medien fiel mir das schon vor Jahr und Tag auf. Die Kanzlerin konnte machen, was sie wollte. Alles nur dazu da, die Welt zu retten, Europa, Deutschland, den Euro. Bewunderung überall, wie sie diese Arbeit, diese Last durchhält, lange Flüge, mal eben nach Chile in 33 Stunden. Aber haben das die anderen Kanzler nicht auch gemacht, ertragen?
Kein Wort zu Pleiten, Pech und Pannen in der Merkel-Ära. Wie war das eigentlich mit Christian Wulff? Wer hat denn den Mann aus Niedersachsen zum Bundespräsidenten durchgedrückt, gegen Widerstände? Erst im dritten Wahlgang wurde er gewählt. Ein Mann wurde Staatoberhaupt, von dem die CDU-Chefin wusste, dass er ein eher weicher Politiker ist. Oder soll man sagen ein schwacher? Wer hat denn vor ein paar Jahren noch den Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg gestützt und ihn gegen Vorwürfe des Plagiats in Schutz genommen? Er war Merkels Mann, der dann gehen musste, des wissenschaftlichen Betrugs überführt. Und war nicht Norbert Röttgen mal Merkels Mann? Erst als er in NRW sang- und klanglos scheiterte, sägte sie ihn als Bundesumweltminister ab. Gnadenlos. Und wie sieht Merkels Leistung beim Thema Energiewende aus? Beginnen wir mit dem Ausstieg aus dem rot-grünen Atom-Ausstiegs-Gesetz und der Verlängerung der Laufzeiten der Reaktoren, dann der Ausstieg nach Fukushima. Und wie geht es weiter? Ein Konzept, das trägt, liegt nicht vor.

Oder Europa. Merkel, die Frau, „die Europa zusammenhält“. Die Kanzlerin gehört inzwischen den unbeliebtesten Persönlichkeiten in Europa. Das allein muss nicht viel bedeuten, aber wenn man ausländische Journalisten mal befragt und erhält dann zur Antwort, dass die deutsche Vorherrschaft und wie sie von Merkel dargestellt wird, nicht jedem in Europa gefällt, um es moderat zu formulieren, sieht die Lage schon anders aus. Und überhaupt: Hat sie die Finanzkrise gesteuert? wie SZ-Leser Ferdinand Maier aus Passau in einem Leserbrief zu Recht fragt. Dann fällt die Antwort eindeutig negativ aus. Den Banken wurde gegeben und gegeben und ihre Zockerei mit unserem Geld wurde noch belohnt.

Oder nehmen wir ihre damalige Haltung zum Irak-Krieg, den der Kanzler Gerhard Schröder mit Blick auf eine mögliche deutsche Beteiligung abgelehnt hatte. Unvergessen Merkels Gastbeitrag in der „Washington Post“ am 20. Februar 2003. Die Überschrift besagt fast alles und ist peinlich für eine deutsche Politikerin, die im Ausland die eigene Regierung heftig kritisiert. „Gerhard Schröder spricht nicht für alle Deutschen“. Das war die Diktion der CDU-Chefin und Oppositionspolitikerin Angela Merkel. „Die wichtigste Lektion der deutschen Politik –nie wieder deutsche Alleingänge- wird mit scheinbarer Leichtigkeit von einer Bundesregierung beiseite gewischt, die genau das aus wahltaktischen Gründen getan hat“, kritisierte Merkel Schröders ablehnte Haltung und stellte sich an die Seite des US-Präsidenten George W. Bush. Und weiter heißt es in dem Gastbeitrag der Washington Post: „Jeder, der militärisches Handeln auch als letztes Mittel ausschließt, schwächt den Druck, der auf Diktatoren ausgeübt werden muss und macht den Krieg nicht unwahrscheinlicher, sondern wahrscheinlicher.“ Vergessen?

Ein anderes Beispiel, vor ein paar Tagen passiert. Es stand im Berliner „Tagesspiegel“. Peer Steinbrück hatte gerade für getrenntes Turnen plädiert, auch mit Blick auf Mädchen aus Familien islamischen Glaubens. Er tat das aus gutem Grund. Von seiner Frau, die Lehrerin in Bonn ist, weiß er, dass sich türkische Mädchen vor dem Schwimmunterricht gern krankmelden. So etwas geschieht beinahe täglich in vielen Schulen in Deutschland. Steinbrück sagte, weil das so sei, sei es sinnvoll, andere Lösungen zu suchen. Merkel ließ durch ihren Regierungssprecher äußern, das sei ein integrationspolitisch falsches Signal. Bayerns Innenminister Hermann(CSU) warf Steinbrück vor, von Integrationspolitik keine Ahnung zu haben. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Hermann weiß offensichtlich nicht, wie es selbst in Bayerns Schulen guter Brauch ist. Dort schreibt das Land den Schulen vor, Sport grundsätzlich in zwischen Mädchen und Jungen getrennten Schulklassen zu unterrichten. Auch in anderen Bundesländern wird zumindest nach der Grundschulzeit teilweise getrennt. Ferner gibt es ein Urteil des Bundesverwaltungsgericht aus 1993: Danach ist die staatliche Schulverwaltung verpflichtet, alle ihr zu Gebote stehenden zumutbaren organisatorischen Möglichkeiten auszuschöpfen, jedenfalls Mädchen ab dem Alter von 12 Jahren einen nach Geschlechtern getrennten Sportunterricht einzurichten und anzubieten. Ansonsten bestehe aus religiösen Gründen Anspruch auf Befreiung vom Unterricht.

Hofberichterstattung, empört sich SZ-Leser Prof. Heilmann aus Berlin über den Bericht von Evelyn Roll. Und Zeitgenossen aus NRW fühlen sich ein wenig an die Rüttgers-Zeit 2008/2009 erinnert, als viele Medien in NRW die Rüttgers-Regierung über den grünen Klee lobten und lobten und teilweise die Opposition ausblendeten. Und der Blog Wir-In-NRW dann eine gewisse Öffentlichkeit herstellte, indem er über Pleiten, Pech und Pannen der Rüttgers-Truppe berichtete. Und dann war es um die vorher so hoch gehandelte Glaubwürdigkeit des Herrn in der Düsseldorfer Staatskanzlei geschehen.
Prof. Heilmann zitiert am Ende seines SZ-Leserbriefes den früheren stellvertretenden Regierungssprecher Dr.Thomas Steg, der den Kanzlern Schröder und Merkel gedient hat, ein kluger Mann, der heute VW in der Hauptstadt repräsentiert. „Aber das Erstaunliche ist doch, dass ihre stille Art der Steuerung dazu geführt hat, dass die Kanzlerin in den Medien fast vollkommen unkritisch beschrieben wird.“ Da hat er Recht, nicht nur wegen des Artikels in der Süddeutschen Zeitung.

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Geschrieben von

SiebzehnterJuni

MenschenSchutz statt HeimatSchutzChemiker und Organist

SiebzehnterJuni

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