Deutschlands erstes Shitstorm TV

Fernsehen RTL nutzt mit der Sendung „Team Wallraff deckt auf“ das Empörungs-Potential des Internets

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Deutschlands erstes Shitstorm TV

Bild: RTL

Die Welt da draußen ist verdammt schlecht. Wir leben in Zeiten des globalen Raubtier-Kapitalismus, in denen ruchlose Unternehmen auf den Rücken schlecht bezahlter Mini-Jobber und Dienstleistungs-Sklaven unser Leben schöner machen. Die Bösen Goliaths heißen Amazon, Zalando, Burger King oder Hermes und kennen nur ein Ziel: Profit, egal wie es den Davids, ihren hart arbeitenden Angestellten oder zahlenden Kunden dabei geht.

So jedenfalls müssen sich das die Redakteure der Sendung „Team Wallraff deckt auf“ bei RTL gedacht haben. Die einfache Formel: Böser Großkonzern + guter Kleinbürger + gutes Gewissen Günter Wallraff + Empörungskultur des Internets = Erstes Deutsches Shitstorm TV. Die Sendung schafft es vielleicht als erste, das Wut-Potential des digitalen Menschen zu kanalisieren und zu fokussieren. In jeder Folge wird ein gerechtes Opfer präsentiert und dem passionierten Shitstormer von heute zum Fraß vorgeworfen.

Das funktioniert auch deswegen hervorragend, weil die mit versteckter Kamera beobachteten Unternehmen eben so gut zum Bashen taugen. Sie zahlen schlecht, beuten Arbeitnehmer aus, geben ihnen keine Rechte und nehmen es mit diversen Arbeitsschutzvorschriften nicht so genau. RTL drückt die richtigen Knöpfe in diesem Konzept, um die Emprörungswelle des Netzes loszutreten. Bei Zalando und jetzt Burger King hat das sehr gut geklappt, und bei den nächsten Firmen wird es sehr wahrscheinlich auch so gut funktionieren. Team Wallraff ist Schwarz-Weiß-Fernsehen, obwohl es in Farbe ausgestrahlt wird: hier die Guten, da die Bösen. Im Grunde Rosamunde-Pilcher-Fernsehen mit klar verteilten Rollen für den 14-49-jährigen Zuschauer von heute. Das Problem: er hält sich für schlau und ist es nicht.

Denn obwohl jedem klar sein dürfte, dass die gezeigten Arbeitsbedingungen – z.B. bei Burger King – wahrscheinlich genau so bei Subway, McDonalds oder anderen Fast Food Ketten vorzufinden sind, fallen alle über den Whopper-König her. Er steht dann stellvertretend für alle am Internet-Pranger. Dabei zeigt das Team Wallraff eben die Auswüchse einer modernen Dienstleistungs-Industrie, an denen am Ende wir alle schuld sind.

Als Kunden wollen wir möglichst wenig zahlen, viel Leistung bekommen und das am liebsten sofort. Entsprechend hoch ist der Druck in den Unternehmen. Dieser wird wie überall an die schwächsten Glieder der Kette weitergeben: an die meist ungelernten Service-Kräften hinter der Burger-Theke, in die Lager der Versandhändler oder hinter das Steuer eines Paket-Autos. Es ist aber immer einfacher, einen anderen Schuldigen zu finden: die Unternehmen. Wir regen uns – selbstgerecht – über die Zustände in den Firmen auf, weil das leichter ist, als darüber nachzudenken, ob wir vielleicht am Ende selbst die Schuld tragen.

Und so wird in jeder Folge das Strohfeuer eines Shitstorms entfacht, bei dem alle auf der richtigen Seite sitzen. Denn heute macht es fast mehr Spaß etwas gemeinsam richtig schlimm als gemeinsam etwas gut zu finden. Letztendlich fallen wir alle nur auf eine Propaganda-Maschine Namens RTL herein, die für uns Feindbilder kreiert, die wir dann gemeinsam hassen können. Hört sich billig an. Ist es auch. Allerdings nur billig und nicht recht und billig.

Erzählt uns Team Wallraff etwa etwas Neues? Natürlich nicht. Millionen Menschen in unserem Land müssen unter schlechten Arbeitsbedingungen ihr Auskommen finden. Dieser Umstand wird gerne verdrängt, dürfte aber für jeden von uns keine Neuigkeit mehr sein.

Schließlich ist klar, wem das Shitstorm TV wirklich nützt: RTL – und eben gerade nicht den ausgebeuteten Angestellten. Der Privat-Sender verkauft die Werbe-Spots dank steigenden Quoten entsprechend teurer. Vielleicht sogar einen Zalando- oder Amazon-Spot, eine Win-Win-Situation für RTL.

Interessant wäre auch eine Folge „Team Wallraff deckt auf“, die sich mit den Zuständen in den TV-Produktionsfirmen beschäftigt. Umsonst arbeitende Dauer-Praktikanten, unbezahlte Überstunden und Mini-Löhne sind auch hier eher Regel denn Ausnahme. Solange wir das jedoch ausblenden, können wir uns auf das nächste Unternehmen freuen, das zum Shitstorm freigegeben wird. Wie erfolgreich solche Shitstorms sind, zeigt das Beispiel Amazon: die machten nach ihrem eigenen Shitstorm das beste Geschäftsjahr aller Zeiten in Deutschland. Das ist komisch, denn in meiner Twitter-Timeline wollte da keiner mehr einkaufen. Eigentlich.

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Geschrieben von

siegstyle

Framstags kommt das Frams.

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