Die Ewigmorgigen

re:publica Der erste Tag zeigt, was der Internet-Generation fehlt: ein Rudi Dutschke2.0

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Einfach um das hier gleich am Anfang festzustellen: die re:publica ist eine hervorragende Veranstaltung. Wahrscheinlich die beste, wenn es darum geht, das Internet nicht nur technologisch, sondern auch gesellschaftlich-politisch in den Gegenwartskontext einzuordnen. Schon der 1. Tag machte dies wieder einmal deutlich – positiv, wie negativ. Denn die Blogger-Konferenz ist eine Leistungsschau – eben nicht im technischen Sinne, sondern durchaus, was innovatives Denken im virtuellen Raum angeht.

Hier treffen sich – wie es Peter Glaser gestern auf Twitter so schön formulierte – die „Ewigmorgigen“. Die Menschen, die als realistische Idealisten die Zukunft des World Wide Webs bewerten sollen und beeinflussen wollen. Dieser Anspruch machte die re:publica groß und wird sie wohl noch größer werden lassen. Der Begiff der Netz-Avantgarde wird dabei natürlich immer dehnbarer. Daneben vereint die Konferenz auch den Nerd-Humor des Netzes und schafft Momente der Heiterkeit, die auch nur dort funktionieren können.

So stand gestern David Hasselhoff (Höhö) auf der Haupt-Bühne der Veranstaltung in der Station am Gleisdreieck. Er hatte seinen Hemdkragen weiter geöffnet als der durchschnittliche Facebook-Nutzer seine Privatsphäre-Einstellungen. Sein Auftritt ließ dementsprechend in vielerlei Hinsicht tief blicken: Der ehemalige Baywatch-Star und das heimliche Wiedervereinigungs-Maskottchen der Deutschen sollte gleichsam als Freiheitsstatue für den "Digital Freedom" stehen. Bei dem PR-Gag fragte man sich, ob sich die Veranstalter wirklich einen Gefallen getan haben. Schließlich nimmt man #TheHoff in Sachen Internet-Rechte so ernst wie Loddar Matthäus in Sachen Fußball. Das Ganze geriet schlussendlich auch eher zu einer Farce. David Hasselhoff sprach ein paar auswendig gelernte Allgemeinplätze und machte dann das, was er –eigentlich – nicht wollte: er trällerte seinen Hit „I’ve been looking for freedom“. Der Saal tobte, als der Unsinn über den Sinn triumphierte: „Digital Freedom“ als Lachnummer. Auch so kann man einer an sich guten Sache einen Bärendienst erweisen.

Die zweite Leuchtturm-Session des ersten Tages war wie immer die „Rede zur Lage der Nation“ von Sascha Lobo. Er gab sich alle Mühe, wütend zu wirken. So begann seine Rede mit einem komischen Vogel – nein, kein Nerd – sondern der Bekassine. Anhand dieses gefiederten Freundes verdeutlichte der Bundes-Internet-Erklärer, dass den Menschen in Deutschland ein einzelner Vogel wichtiger ist als das gesamte Internet. Denn beim bayrischen Vogelschutzbund ist mehr Geld vorhanden als bei allen Lobby-Verbänden, die sich mit einem freien Internet beschäftigen. Bei den Digital Natives würde auch nur ein festangestellter Lobbyist arbeiten, während dies selbst bei den Vogelschützern weitaus mehr tun würden. Er nannte dies Hobby-Lobby und erklärte den Umstand zum Problem: so lange kein Geld für profesionelle Lobby-Arbeit vorhanden wäre, würden auch die berechtigten Forderungen der Netz-Elite nicht in die Politik vordringen.

Sascha Lobo hat Recht und auch wieder nicht. Wahrscheinlich arbeiten in Deutschland hunderte Lobbyisten daran, ein Internet zu schaffen, das ihren Vorstellungen entspricht. Diese Menschen arbeiten aber nicht für Non-Profit-Organisation wie die „Digitale Gesellschaft“, sondern für Konzerne wie Google, Facebook oder Amazon. Und da liegt wahrscheinlich neben dem Vogel der Hund begraben. Es gibt das Internet, von dem Lobo redet, einen freien Raum, der von Nutzern basisdemokratisch geformt wird und es gibt das Internet des Web-Oligopols, das das Internet als Geld- und Datensammelstelle versteht (wie auch die Geheimdienste). Das eine hat zwar mit dem anderen zu tun, aber wer ein freies Netz will, muss eben auch darüber reden, dass die meisten Ottonormalnutzer unter Internet etwas anderes verstehen als die Vordenker des virtuellen Raums.

Lobo forderte uns, die Nutzer, auf, mehr zu tun. Gleichzeitig skizzierte er im thematisch zweiten Teil seiner Rede noch einmal die Überwachung des Internets durch Geheimdienste. Der Kampf dagegen sei mehr als ein ironischer Tweet (wobei er selbst ein Großmeister darin ist). Jeder könne mehr gegen die Überwachung tun, die seiner Meinung nach der Krebs ist, der die Demokratie zerstört.

Natürlich hat Sascha Lobo damit Recht. Andererseits kann man die Frage stellen, warum Lobo nicht selbst der Rudi Dutschke einer digitalen Generation wird. Weg vom wütenden Redenschwinger und Talkshow-Salonlöwen und hin zum Vorbild, das für die Rechte des freien Internets auf die Straße geht. Das Zeug dazu hätte er. Er könnte Gesicht und Stimme der Bewegungen werden – und zwar nicht nur einmal im Jahr im Wohlfühlbecken re:publica. Wenn er den Zuhörern Vorwürfe macht, zu wenig zu tun, müsste er sich auch an seine eigene Nase fassen. Revolutionen brauchen Themen. Und einen Kopf. Vermutlich ist das auch einer der Kardinalfehler der Piratenpartei, die einmal als Sprachrohr der Internet-Menschen fungierte. Sie glaubten an die Macht der Themen und mussten erkennen, dass am Ende nicht Themen die Welt verändern, sondern Köpfe.

Und genau das ist die re:publica: ein Köpfe-Treffen. Sie sollten sich nur nicht immer hinter ihren Themen – warum auch immer – verstecken.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

siegstyle

Framstags kommt das Frams.

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