Massenmedien in Deutschland

Erfahrungsbericht - Von der Vielfalt zur Einfalt - Von politischen Kontrolleuren zu politischen Akteuren - Aufstieg und Fall von Martin Schulz

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Die deutsche Medienlandschaft ist einheitlich ausgerichtet: stimmt das?

Immer, wenn ich in den letzten Jahren im Ausland unterwegs war, ist mir nach meiner Rückkehr eine große Diskrepanz zwischen der dortigen Medienberichterstattung im Vergleich zu der in Deutschland aufgefallen. Das lag einerseits an der Auswahl der Themen, andererseits an der unterschiedlichen Breite und Vielfalt der Berichterstattung der einzelnen Medien in den verschiedenen Ländern. Bei meiner Rückkehr hatte ich stets den Eindruck, dass in Deutschland viel selektiver, aber auch viel einheitlicher berichtet wird. Ich wollte diesem „Gefühl“ auf den Grund gehen und habe daher in den letzten 5 Jahren die Berichterstattung über zwei jeweils komplexe Themen in einer Vielzahl von deutschen Medienerzeugnissen genauer unter die Lupe genommen. Dabei hatte ich auch die Behauptung mancher konservativer Politiker im Kopf, die Medien seien mehrheitlich von linken Journalisten unterwandert – zuletzt von Alexander Dobrindt, CSU, im Zusammenhang mit seiner Ausrufung einer konservativen Revolution –, bzw. die Medien seien „linksversifft“, wie es AfD-Kreise gerne formulieren,

Das erste Thema betraf den durch Edward Snowden im Juni 2013 ausgelösten Abhörskandal, auch als NSA/BND-Skandal bekannt, der u.a. in Deutschland seinen Niederschlag in einem eigenen Bundestags-Untersuchungsausschuss und schlussendlich auch in einer Neufassung des sog. BND-Gesetzes gefunden hatte.

Das zweite Thema umfasste die Bundestagswahl 2017:

beginnend mit Angela Merkels Erklärung, noch einmal als Kanzlerkandidatin der Union antreten zu wollen, gefolgt vom Verzicht des damaligen SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel auf die Kanzlerkandidatur der SPD und seinem Vorschlag, hierfür Martin Schulz zu nominieren,

über die Nominierung von Merkel und Schulz durch ihre jeweiligen Parteien,

bis zum Abschluss der Verhandlungen über eine Neuauflage der großen Koalition (GroKo) nach der Bundestagswahl.

Aus der deutschen (Print-)Medienlandschaft (Tages- und Wochenzeitungen) habe ich über 50 Erzeugnisse, quer über die Republik verteilt, ausgewählt. Zur Vereinfachung habe ich mich nur auf die zugehörigen Online-Ausgaben fokussiert, sofern sie auch eine Community-Plattform zum Absetzen von persönlichen Kommentaren angeboten hatten. Darunter waren alle sogenannten Leitmedien – anstelle der Wirtschaftswoche hatte ich jedoch das Handelsblatt ausgewählt. Von den auflagenstärksten Medien waren - bis auf Wirtschaftswoche und Stern – alle vertreten. Die Ergebnisse meiner Analysen haben mich überrascht und meine schlimmsten Befürchtungen weit übertroffen. Sie geben Anlass zu großer Besorgnis in Bezug auf das Gebaren unserer – eigentlich freien – Presse.

Die Bundestagswahl 2017 im Spiegel der deutschen Medienlandschaft

In dem vorliegenden Artikel beschränke ich mich auf die Ergebnisse zum zweiten Thema, da hier die aufgefallene einheitliche Ausrichtung der Presse besonders augenscheinlich zu Tage tritt. Zur Vereinfachung habe ich folgende Gruppierungen gebildet: von der Mehrheit der Medien spreche ich bei mindestens 50%, von der großen Mehrheit bei mindestens 75% und von (fast) allen Medien bei 90-100% Anteil. Aus Platzgründen zitiere ich nur einige wenige, aber besonders augenfällige Beispiele zur Untermauerung meiner Thesen.

Exkurs: Einige Erfahrungen im Umgang mit den Community-Plattformen

Wenige Wochen nach Start meiner Analyse hatte ich Tichys Einblick und die Junge Freiheit wieder aus meinem Untersuchungs-Portfolio gestrichen, da diese mich von ihrer Community-Plattform ausgesperrt hatten: offensichtlich waren meine Kommentare zum dort präferierten Mainstream zu konträr.

Längere Zeit hatte ich auf den Community-Plattformen von 19 Medienerzeugnissen, darunter die Passauer Neue Presse, die Stuttgarter Zeitung, die Westdeutsche Zeitung, die WAZ, die Mitteldeutsche Zeitung, das Hamburger Abendblatt, der Tagesspiegel, die Rheinische Post, der Münchner Merkur, der Kölner Stadt-Anzeiger, die FAZ, die WELT, die Süddeutsche Zeitung (SZ), die ZEIT und t-online, verbracht, bis auch diese aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen eines Tages meinen Account gesperrt hatten. Diese Sperren hatte ich jedoch jeweils mehrfach durch Anlegen neuer Accounts umgangen. Besonders aufgefallen sind mir die Passauer Neue Presse und die Mitteldeutsche Zeitung, bei denen meine Sperrungen i.d.R. nach meinen Kommentaren zur sozialen Ungleichheit sowie zur menschlichen Perspektive der Flüchtlingspolitik bzw. nach meinen Hinweisen auf Fehler, Falschmeldungen sowie rassistischen oder beleidigenden Inhalten im jeweiligen Artikel bzw. zugehörigen Kommentaren erfolgten. Mein Account wurde gesperrt, während andere Community-Teilnehmer sich weiter ungehindert mit ihren teils rassistischen, teils beleidigenden, teils offenkundig falschen Kommentaren austoben konnten.

Andere Medien behielten sich vor, selektiv einzelne meiner Kommentare bzw. Kommentarteile ohne weitere Begründung zu zensieren. Besonders kurios ging hier der FOCUS vor, der gerne – nach meiner Einschätzung missliebige – Kommentare unterdrückte, jedoch häufig dieselben, einige Stunden später nochmals abgeschickten, Kommentare, vermutlich durch einen anderen Redakteur, doch noch freigab. Nicht ganz so extrem, aber ähnlich unrühmlich, hat sich auch die Rheinische Post gebärdet.

Auf umfassende und ausgewogene Kommentarlandschaften, die auch Pros und Cons haben zu Wort kommen lassen, traf ich beim SPIEGEL, der SZ, der Welt, der Frankfurter Rundschau und der ZEIT, mit Einschränkung beim Handelsblatt, bei Fuldainfo, bei der Augsburger Allgemeinen und beim Donaukurier.

Soweit mein kurzer Exkurs über die unterschiedliche Handhabung von Community-Plattformen durch die einzelnen Medien. Jedoch nicht ohne den Hinweis, dass Medien, die besonders häufig Kommentare blockierten, das neue Netzdurchleitungsgesetz der Bundesregierung als überzogene bzw. untaugliche Zensurmaßnahme kritisierten.

Ab Februar 2017 haben alle Medien unisono Angela Merkel hoch- und Martin Schulz runtergeschrieben

In dem ausgewählten Analysezeitraum sind mir zwei medienübergreifende Phänomene besonders aufgefallen:

  1. Das Hoch- bzw. Runterschreiben von politischen Akteuren, insbesondere von Angela Merkel (durchgängig hoch) und Martin Schulz (durchgängig runter).
  2. Der Aufstieg und Niedergang von politischen Themen, insbesondere aus dem Bereich der sozialen Gerechtigkeit.

Zwar hatten die meisten Medien bereits das Ernennungsprozedere von Martin Schulz als zunächst „zu spät“, nach Vollzug aber als „Sturzgeburt“ kritisiert. Dabei war seinerzeit Sigmar Gabriel und seiner SPD ein besonderer Coup gelungen: 5 Führungspositionen – einschließlich der des Bundespräsidenten - in einem Zug neu besetzt. Und das - SPD-intern - fast so geräuschlos wie bei einer Papstwahl. Die große Mehrheit der Medien hatte das offensichtlich nicht zu würdigen gewusst. Ein ähnlicher Vorgang in der CDU war die Ernennung einer neuen Generalsekretärin und der 6 neuen CDU-Minister nach Abschluss der Verhandlungen über eine erneute GroKo. Dies wurde im Gegensatz zur SPD von den Medien überschwänglich gewürdigt: „Merkels Gipfel der Harmonie“ titelte das Handelsblatt, „Merkel überraschte mit Ministerliste“ die SZ, „Merkels mysteriöses Lächeln“ die WELT, „Merkels taktischer Wechsel“ RP-online, „Zeichen der Erneuerung“ der SPIEGEL und Plasberg hatte in seiner Sendung „Hart, aber fair“ hymnisch von „Leuchtturmprojekten“ gesprochen (jeweils am 26.2.2018). Gerade Plasberg hatte in seinen Sendungen während des Wahlkampfs ggü. Martin Schulz und seiner SPD in seiner unausgewogenen Art ganz andere Vokabeln eingesetzt. Etwas differenzierter ging es bei der Berichterstattung über den Kanzlerkandidaten-Ernennungsprozess der Union zu: Angela Merkel wurde nach langem Procedere zur gemeinsamen Kanzlerkandidatin ausgerufen, jedoch die strittige Frage der von der CSU kompromisslos geforderten Obergrenze für den Flüchtlingszuzug vertagt. Gewissermaßen wurde Angela Merkel also zur Kanzlerkandidatin auf Obergrenzen-Abruf nominiert, was zwar von der Presse intensiv begleitet, aber keiner besonderen Kritik für wert befunden wurde. Der Höhepunkt dieses Procederes auf der gemeinsamen CDU- und CSU-Präsidiumssitzung in München am 6.2.2017 – ursprünglich als „Versöhnungstreffen“ angekündigt, später in „Zukunftstreffen“ umfirmiert – wurde, bis auf wenige Ausnahmen, von den Medien diesmal als wenig glaubwürdig bewertet (SZ vom 6.2.2017: „Heuchelei, brüchiger Frieden“, ZEIT vom 4.3.2017: „missglückte Trauerfeier“). Nur zur Erinnerung: Auch die Prozesse der CSU-Spitzenkandidaten-Findung für die Bundestagswahl sowie der Nachfolgeregelung von Seehofer in der CSU – wer Nachfolger für den CSU-Parteivorsitz wird, ist nach wie vor offen – wurden von den Medien weitgehend hingenommen.

Die meisten Medien hatten zunächst fehlende Inhalte der SPD für ein Wahlprogramm bemängelt, aber die vielen Versuche der Union sich auf Wahlkampf-Themen festzulegen, eher verständnisvoll begleitet („anders als Schulz kennt man ja Merkel“). Ich erinnere an die später wieder zurückgezogene Ausrufung einer CDU-Agenda 2025, die inhaltsleeren Überschriften von Taubers #fedidwgugl-Plakat-Kampagne – die FAZ schrieb von „Merkel-Bonbons ohne Füllung“ -, die immerhin in einigen Medien mit Spott kommentiert wurden, und die Obergrenzen-Diskussion innerhalb der Union, die offensichtlich erst nach der Wahl, unmittelbar vor Aufnahme der sog. JAMAIKA-Sondierungen, zu einem vorläufigen Ergebnis kam. Selbst führende Protagonisten der Union hatten die „inhaltliche Entleerung“ der Union beklagt, wie z.B. Norbert Röttgen, CDU, aber erst nach der Wahl im Tagesspiegel am 15.2.2018.

Die Themen, die Martin Schulz – im Gegensatz zu Angela Merkel – bereits sehr früh im März 2017 auf den Tisch gelegt hatte – Bausteine aus der Reihe „mehr soziale Gerechtigkeit“ wie z.B. Einführung eines an Qualifizierungsmaßnahmen geknüpften, verlängerten Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitslose (ALQ) – wurden alsbald heftig von den Wirtschaftsverbänden und dem Wirtschaftsflügel der Union und deren „Auftragsforscher“ Prof. Hüther vom arbeitgeber-nahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) kritisiert. Dies hatte einen entsprechenden Widerhall in allen Medien gefunden, auch wenn Quelle sowie Art und Weise dieses Widerhalls eher Schulz genützt hatten. Überhaupt wurde Prof. Hüther gerne in fast allen Medien zitiert, insbesondere um wirtschaftspolitische Gegenpositionen zu Martin Schulz zu begründen.

Als dann später die Wahlprogramme vorlagen – eher Mittelmaß und leere Schubladen bei der Union, höhere Ansprüche und gefüllte Bonbons bei der SPD – wurden diese von den Medien zwar pflichtschuldig einander gegenüber gestellt, aber im Quervergleich kaum wertend analysiert und schon gar nicht breit diskutiert. Stattdessen haben manche Medien der SPD jetzt bescheinigt, dass deren Inhalte mittlerweile quasi überflüssig seien, da deren Mitglieder diese mangels Überzeugung und Kampfbereitschaft gar nicht mehr ernst nehmen würden. Wer hat denn eine breite, objektive Diskussion von Politikinhalten verweigert? War es nicht die Kanzlerin, der Martin Schulz zu diesem Zeitpunkt - offensichtlich zu Recht - vorgeworfen hatte, den politischen Wettbewerb zu verweigern? Der diese „Strategie“ der Kanzlerin mit einem „Anschlag auf die Demokratie“ verglichen hatte? Die SZ hatte diesen Vorwurf als „ein wenig läppisch“ kritisiert. Andere Medien hatten heftiger auf Schulz „eingehauen“. Warum hatten die Medien nicht viel mehr den verweigerten politischen Diskurs eingefordert?

Randbedingungen eines schmutzigen Wahlkampfs

Als im Verlauf der Debatte die Umfragewerte von Martin Schulz und seiner SPD bis Mitte März 2017 von Woche zu Woche nach oben kletterten und schließlich sogar die Werte von Angela Merkel und der Union einholten, schien klar, dass die ersten Schulz-Themen bei den Wählern verfangen hatten. Entsprechend größer wurde die Panik bei der Union und ihren Unterstützern. So war nachvollziehbar, dass diese sich bald von einer inhaltlichen Auseinandersetzung verabschiedeten und sich stattdessen auf die Person Martin Schulz einschossen. Die ersten Medien, die diese neue Marschrichtung aufgegriffen hatten, waren der SPIEGEL mit seinem Leitartikel „Sankt Martin - machthungriger Politiker“ und die FAZ, die Martin Schulz in einem Artikel vom 30.1.2017 Populismus („eine noch nicht gesehene Lehrstunde in Populismus“) und AfD-Jargon vorgeworfen hatte. Das war insofern erstaunlich, als insbesondere die Protagonisten der CSU schon seit Monaten in einen wenig medial beachteten populistischen Wettbewerb mit der AfD um die ekligsten Hetzparolen gegen Flüchtlinge eingetreten waren. Ziel des FAZ-Artikels war offensichtlich, den - unerwartet (?) - guten Aufschlag von Martin Schulz in der Sendung „Anne Will“ vom 29.1.2017 runterzuschreiben. Der FOCUS war am 3.2.2017 mit der Thematisierung des - angeblich – (zu) hohen EU- Einkommens sowie mit einer angeblichen „Tagesgeldaffäre“ von Martin Schulz gefolgt. Der Bayerische Rundfunk (BR) ließ in seinen Sonntagsstammtischen am 25.1. und 5.2.2017 den Ex-FOCUS-Chefredakteur und -Herausgeber Helmut Markwort wieder seine altbackenen, als Anti-Schulz-Parolen gedachten, „EURO-Bonds“ erschallen. Dagegen war der Tagesthemen-Kommentar am 6.2.2017 von Sigmund Gottlieb, damals noch BR, ja „Kinderkram“: Er redete die Kandidaten-Kür von Martin Schulz klein und stilisierte die CSU-Kür von Angela Merkel zur Kanzlerkandidatin (auf Obergrenzen-Abruf) als strategische Großtat hoch, deren großartige strategische Ausrichtung offensichtlich nur ihm selbst offenbar wurde.

Am 6.2.2017 polemisierte – unter großem Medien-Echo - der damals weitgehend unbekannte Chef der deutschen EVP-Abgeordneten im EU-Parlament und Mitglied des CDU- Bundesvorstandes Herbert Reul in der Rheinischen Post unwidersprochen gegen Schulz´ Verzicht auf das ihm zustehende Übergangsgeld als EU-Parlamentspräsident als „Hütchen-Trick“. Als dann auch noch bekannt wurde, dass aus seiner Feder und der Feder seiner EU-Parlamentskollegin Ingeborg Grässle, CDU, stammende Schmutz-Dossiers über Martin Schulz kursierten, gab es für den nun beginnenden Schmutz-Wahlkampf kein Halten mehr. Es lohnt sich, hier kurz innezuhalten und die heute erkennbare Strategie der nun folgenden Aktivitäten kurz zu beleuchten.

Alle Medien folgten einer konzertierten Kampagne

Was nun folgte ließ eine konzertierte Kampagne erkennen, die sich auf sechs Punkte konzentrierte:

  1. Abwertung der politischen Akteure der SPD, insbesondere von Martin Schulz, und Aufwertung von Angela Merkel
  2. Abwertung der politischen Themen der SPD, insbesondere für mehr soziale Gerechtigkeit (wer hier die Unionsthemen vermisst, sei daran erinnert, dass in dieser Phase die Union vorwiegend nur mit Überschriften sowie der Ablehnung der diversen SPD-Vorschläge beschäftigt war)
  3. Kampagne gegen Martin Schulz: von den Schmutz-Dossiers der CDU-Europa-Abgeordneten Reul und Grässle bis zur Bild-Auswahl der Medien
  4. Kampagne gegen soziale Gerechtigkeit: vom Märchen der sich öffnenden Schere zwischen Arm und Reich bis zu „Ungleichheit ist gar nicht ungerecht“
  5. Entpolitisierung: vom „Schizo-Schulz“ bis zu „Schulz kann gar nicht Kanzler“
  6. Entthematisierung: „uns ging es noch sie so gut“

Abwertung von Schulz und Aufwertung von Merkel

Obwohl die Kanzlerin nach außen einen fairen Wahlkampf propagierte, ließ sie zu, dass zahlreiche Protagonisten von CDU und CSU unfair und teils unter der Gürtellinie gegen den SPD-Herausforderer polemisierten:

Nachfolgend finden Sie eine - unvollständige - Liste persönlich diffamierender, ehrabschneidender, hämischer, verunglimpfender, verlogener, falscher, charakterloser, verächtlichmachender Charakterisierungen des Kanzlerkandidaten der SPD. Diese wurden beinahe täglich von fast allen, die in der Union Rang und Namen haben, schwerpunktmäßig von Februar bis April 2017, den ersten 3 Monaten des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz, über die – willfährigen(?) Medien - verbreitet. Das war aber bei weitem nicht das Ende der Fahnenstange. Ein besonders krasses Beispiel: die verleumderischen Fake News der Jungen Union Bayern vom Juli 2017, die ja mittlerweile gerichtlich verboten sind.

"Schulz ist/hat/will/bedient sich/macht ...

infam, unredlich, gefährlich, Quacksalber, Show, Sprüche (Hasselfeld) #SchulzFakes, Schizo-Schulz, Party-Schulz, Schulden-Schulz (Scheuer)

fast alle Aussagen falsch (Boffier)

keine Ahnung, Faktenschwäche (Gröhe)

führt Deutschland in europäisches Mittelmaß, Steigbügelhalter der Kommunisten (Dobrindt)

Gurkenvermesser aus Brüssel (Caffier)

Trump-Methoden (Schäuble)

AfD-Sprech (Klöckner)

Amtsmissbrauch, Günstlingswirtschaft, raffgierig, Ehrenmann?, selbstverliebter Egomane (Reul)

unglaubwürdig (Laschet)

Fake News, unredlich, Sozialromatiker, kommunistische Freunde in Athen, grenzt an Hybris (Spahn)

Martin der Schummler, macht das Land schlecht (Seehofer)

Vergemeinschaftung der Schulden auf Kosten des deutschen Steuerzahlers, drückt sich, unseriös (Söder)

holt Türken in die EU, begeht Verrat an der Jugend Europas (Weber)

verachtet die Demokratie (Strobl)

vertritt nicht Interessen Deutschlands, Miesmacher, Verhalten grenzt an Arbeitsverweigerung (Kauder)

Fake-Lösungen (Aigner)

Schulz muß weg (Grässle)

..."

Gerne ließen sich die Medien von der Union instrumentalisieren: alle griffen diese Zuschreibungen unkritisch auf und ergänzten diese eifrig noch durch Begriffe wie Heilsbringer, Heiliger, Heiland, Gott-Vater, Schein-Heiliger, St. Martin, Erlöser, Licht-Gestalt, Top-Verdiener, Populist etc. Besonders kreativ taten sich hier der FOCUS und die FAZ hervor. Das wurde auch nicht besser, indem man so viele wie nur selten "sollte, müsste, dürfte, kaum, vermutlich, scheinbar, vermeintlich, fragwürdig, umstritten, wird wohl, ..." einstreute.

Kein Vergleich war zu abgeschmackt, keine Beleidigung zu infam, keine Lüge zu dreist, keine Behauptung zu falsch, keine Verunglimpfung zu ehrabschneidend, kein Gerücht zu weit hergeholt, als dass diese nicht unter das Wahlvolk gebracht werden wollten. Die Narren waren los, hätte man in Anbetracht der seinerzeitigen Karnevalszeit entschuldigend einwenden können. Das Dumme war nur: als die Dreckschleudern am Aschermittwoch ihre Narrenkappen abnahmen, kamen auch nur wieder Dreck schleudernde Narren darunter hervor.

Im Vergleich dazu glich die Berichterstattung über Angela Merkel im gesamten Wahlkampf mehr einer Kanzlerin-Hofberichterstattung als einer kritischen und objektiven Begleitung. Derbere Zuschreibungen wie z.B. von Nahles und Stegner wurden i.d.R. – teils empört – medial als unangemessen kommentiert. Eine besondere Leistung hat dabei Frau Fietz im FOCUS vom 2.3.2017 vollbracht, als sie eine in Wahrheit tröge Aschermittwochs-Wahlkampfveranstaltung der Kanzlerin in Mecklenburg-Vorpommern in eine „frenetische, kämpferische“ Jubelveranstaltung hochgeschrieben hatte: es darf bezweifelt werden, ob Frau Fietz sich überhaupt der Mühe unterzogen hatte, nach Mecklenburg-Vorpommern zu reisen! Ein ähnliches Schauspiel führte der FOCUS auch anlässlich Merkels und Schulz´ Auftritt am Tag der deutschen Industrie auf, wo Schulz angeblich „gescheitert“ sei. Ansonsten ließ man die Kanzlerin, bis auf wenige Ausnahmen, weitgehend in (ihrer) Ruhe und man lies auch zu, dass sie später – als es eigentlich ums inhaltlich „Eingemachte“ hätte gehen sollen, ja müssen, die Wähler mit ihrer “uns geht es allen gut“ -Wolke einlullte. Fehler, Versäumnisse, Tricksereien, Schummeleien, Vertuschungen im Rahmen der Autoskandale, der handwerklich missratenen Brennelementesteuer, der nicht geschlossenen Steuerschlupflöcher, der maroden, führungslosen Bundeswehr, der verhinderten Finanztransaktionssteuer, der EURO-Rettungspolitik zu Lasten von Rentnern und Sparern, der fehlgeleiteten Griechenrettung auf Kosten Deutschlands (100 Mrd € laut Spahn), der unter den Tisch gekehrten NSA/BND-Skandale etc. haben die Medien der Kanzlerin mehr oder weniger durchgehen lassen.

Abwertung des Kernanliegens der SPD: soziale Gerechtigkeit

Dem Grundanliegen von Martin Schulz und seiner SPD zu mehr sozialer Gerechtigkeit wurde entgegnet, die SPD würde das Land schlecht reden und einen Zustand kritisieren, den sie selbst in Regierungsverantwortung mit herbeigeführt habe. Was die Rechtfertigung für mehr soziale Gerechtigkeit anbelangt, genügt es, sich die Ergebnisse der GroKo-Verhandlungen vom Februar 2018 z.B. zu den Themen Bildung, Familie, Rente, Wohnen anzusehen, mit denen offensichtlich doch vorhandene Gerechtigkeitslücken geschlossen werden sollen. Viele Medien hatten die alte Mär wiedergekäut, die Sozis könnten nicht mit Geld umgehen, würden Geld, das andere Leute verdienen, mit vollen Händen ausgeben und würden einer Umverteilung (von oben nach unten) das Wort reden. In keinem Medium habe ich im Sinne einer ausgewogenen Diskussion etwa den Hinweis gelesen, dass in unseren Steuer-, Abgaben- und Entlohnungssystemen seit Jahrzehnten eine Umverteilung (von unten nach oben) festgeschrieben ist, übrigens auch ein Grund für die wachsende Einkommens- und Vermögensungleichheit. In keinem Medium wurde relativiert, dass in den 70 Nachkriegsjahren in (West-) Deutschland 48 Jahre die Union die Regierung führte, davon u.a. auch die letzten 12 Jahre, während die SPD nur 20 Jahre „am Ruder“ war. Kein Wunder also, dass z.B. die SPD in der GroKo mühsam mit einer altbackenen, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf Hohn sprechenden Familienpolitik (Stichwort: Hausfrauenehe) aufräumen musste. Kein Wunder also, dass z.B. Deutschland, obwohl vorhersehbar, nicht auf den Flüchtlingsansturm 2015 vorbereitet war, hatte doch die Union lange Jahre gepredigt, Deutschland sei kein Einwanderungsland und ein längst überfälliges Einwanderungsgesetz verweigert. Und erst eine Studie von Prof. Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaft (DIW), gemäß der 42% der Haushalte in den letzten 20 Jahren keinen Einkommenszuwachs verzeichnen konnten, hat die „uns geht es allen gut“-Parole der Union als eine das Bild verfälschende Durchschnittsbetrachtung enttarnt. Diese Studie wurde allerdings insbesondere in den bekannten wirtschaftsfreundlichen Medien mit Hilfe des schon erwähnten Prof. Hüther relativiert. Sein Haupteinwand, auch vorgetragen in der Talkshow von Maybrit Illner am 18.5.2017, war die Feststellung, dass es sich bei den 42% nicht immer um dieselbe Personengruppe handeln würde. Was dieser Hinweis zu Fratzschers Statistik widerlegen sollte, hat sich mir bis heute nicht erschlossen. Wie aufschlussreich wäre es gewesen, wenn die Medien in Anbetracht der seinerzeit von der Union vorgesehen Wahlgeschenke an die Steuerzahler in Höhe von rd.15 Mrd € aufgedeckt hätten, wieviel den 42% Abgehängten in 20 Jahren insgesamt an Einkommen entgangen ist: nach meiner Schätzung rd. 500 Mrd € ! In allen Medien herrschte hierüber jedoch Funkstille. Stattdessen titelte t-online am 19.5.2017: „Wird soziale Gerechtigkeit zum Ladenhüter?“

Was die Rentenpolitik anbelangt, wurde, unterstützt von der arbeitgebernahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), wieder das Spiel „Alt gegen Jung“ aufgeführt. Mit anderen Worten: eine Erhöhung des Rentenniveaus (für die Alten) setzt eine entsprechende Erhöhung des Rentenbeitrages (bei den Jungen) voraus, was nur dann richtig ist, wenn man von der Unantastbarkeit der derzeitigen Rentenformel ausgeht. Die Medien haben wieder einmal versäumt, diese Alternativlosigkeit zu hinterfragen: z.B. könnten auch höhere Einkommen und Vermögen ihren Beitrag für das Rentensystem beisteuern. Das könnte auch ein Lösungsansatz für Herausforderungen im Zusammenhang mit der Veränderung der Arbeitswelt durch die Digitalisierung und im Hinblick auf die demografische Entwicklung sein. Stattdessen wurden – wie im Wahlkampf angekündigt - weitere, eigentlich aus dem Bundeshaushalt zu finanzierende Leistungen wie insbesondere die sog. Mütter-Rente der CSU, der Rentenkasse und damit letztendlich den Beitragszahlern auferlegt. So legt die Union – auf Sicht - die Axt an das Rentensystem.

Die Schmutz-Dossier-Kampagne der Union gegen Martin Schulz

Die persönliche Abwertung von Martin Schulz hatte Kampagnen-Charakter erreicht, als die auch von – wen wundert´s? – Schäuble befürworteten, Schmutz-Dossiers der CDU-Protagonisten Reul und Grässle in der Öffentlichkeit lanciert wurden. Die eigentlich als erfolgreich anerkannte Ausübung seiner EU-Parlaments-Präsidentschaft – Schulz wurde von der EVP, also auch von CDU und CSU mit gewählt, die Kanzlerin und der EU-Präsident Juncker, EVP, hatten große Stücke auf ihn gehalten - wurde plötzlich aus heiterem Himmel in Zweifel gezogen. Alle Medien haben das begierig aufgegriffen, was wohl auch von den Schmutz-Dossier-Finken so beabsichtigt war. Ausnahmslos alle Medien haben sich aus dem Gebräu aus – teilweise über 3 Jahren - alten Kamellen, falschen Anschuldigungen, Halbwahrheiten, Verunglimpfungen kritiklos bedient. Das Spektrum reichte von Betrugsvorwürfen über Rechtsverstöße, schlechte Personalführung, Kompetenzüberschreitung, Lügenvorwürfen, bis zu Essensvorlieben. Reul und insbesondere Grässle haben monatelang die Institutionen der EU für den deutschen Wahlkampf instrumentalisiert, ohne dass dieser ungeheuerliche Vorgang in den Medien auch nur ansatzweise kritisch hinterfragt worden wäre. Das einzige, was die Medien in diesem Zusammenhang zu kritisieren hatten, waren die – berechtigten – Vorwürfe der SPD einer Schmutzkampagne und der Instrumentalisierung des EU-Parlaments für den deutschen Unions-Wahlkampf. Stattdessen hatte die ZEIT am 2.3.2017 von der „aufrichtigen Empörung“ des „eigentlich abgebrühten“ Reul über diese Vorwürfe berichtet. Übrigens hatte im Zusammenhang mit der Wiederwahl von EU-Ratspräsident Tusk selbst die Kanzlerin die Versuche der Instrumentalisierung der EU-Institutionen durch die polnische Regierung heftig kritisiert, wie auch die Medien berichteten.

Die im Sinne einer exzellenten Personalführung vorbildliche Förderung seiner Mitarbeiter wurde Martin Schulz u.a. als Mittelverschwendung vorgeworfen. Die in diesem Sinne berichtenden Redakteure und Journalisten hatten durchgängig dabei nicht den Eindruck hinterlassen, dass ihnen geläufig wäre, was unter moderner Personalführung zu verstehen ist. Möglicherweise könnte man ihnen zugute halten, dass sie es aus ihren Verlagshäusern nicht besser kennen. Vielleicht waren sie aber auch der irrigen Ansicht, dass in der Politik Personalführung a là Schäuble üblich wäre, der u. a. seinen damaligen Sprecher Michael Offer im November 2010 vor laufenden Kameras rüde zurechtgewiesen hatte.

Reul und Grässle haben Martin Schulz als Person beschädigt

Reul und Grässle ging es offensichtlich nur um eine Beschädigung der Person von Martin Schulz, um seine Desavouierung. Das ist ihnen ja auch trefflich gelungen. So verwundert es auch nicht, dass Reul danach vom EU-Sommer/Winterzeit-Beauftragten zum CDU-Innenministerin NRW befördert wurde. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Eine dpa-Meldung vom 8. März 2017 über eine Mitteilung des EU-Haushaltskontrollausschuss (Vorsitzende: Ingeborg Grässle, CDU!), nach der Martin Schulz seine Kompetenzen im Rahmen der Förderung von Mitarbeitern überschritten habe, hatten alle Medien 1:1 kommentarlos bzw. mit Erläuterungen übernommen, die erkennen ließen, dass die Schreiber den Vorgang gar nicht durchschaut hatten. Die Meldung las sich so, als sei sie von Frau Grässle bei der dpa lanciert worden. Eine Nachfrage meinerseits bei dpa über die Hintergründe dieser Meldung wurde nicht beantwortet. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass in den Medien in der Vergangenheit Meldungen aus dem Haushaltskontrollausschuss der EU so gut wie nie erschienen sind! Warum also jetzt?

Ausgegangen sind die Vorwürfe wie das Hornberger Schießen

Übrigens, ausgegangen sind die Betrugsvorwürfe wie das Hornberger Schießen: im EU-Parlament hat die Union über ihre EVP-Fraktion eine politische Rüge, man könnte auch sagen eine Gefälligkeits-Rüge, erwirkt, um nicht völlig entblößt dazustehen. Zuvor hatten das von Grässle angerufene EU-Amt für Korruptionsbekämpfung (Olaf) und die EU-Parlamentsverwaltung die Vorwürfe gegen Schulz zurückgewiesen. Selbst Grässle hatte mittlerweile in Bezug auf eine mögliche „Verurteilung“ eingeräumt: „Ich habe da wenig Hoffnung“. Was war dann ihr wirkliches Ziel? Was hätten kritische, gar investigative Medien alles herausfinden können! (Bewusst?) vertane Chance! In seinen besten Zeiten hätte sich der SPIEGEL eine solche Story nicht entgehen lassen. Jetzt ist er zum Handlanger von Schmutz-Dossier-Finken der CDU degradiert.

Die Medien als Handlanger von Schmutz-Dossier-Finken

Für die Medien und für die deutsche Öffentlichkeit gab es nun kein Halten mehr: es gehörte gewissermaßen zum guten Ton, über Martin Schulz nicht mehr ohne derartige, mittlerweile „salonfähige“, Zuschreibungen zu berichten. Selbst in Funk und Fernsehen konnte man sich dieses perfide Spiel nicht verkneifen: so hat z.B. Maybrit Illner im März 2017 als Eingangsstatements ihrer Talkshow ungeniert vom „roten Schwarzmaler“, „Ritter der Enterbten“, „Überflieger Schulz“, „Super-Schulz hebt ab“ gesprochen. Selbst nach der Wahl wurde dieses Schulz-Bashing eifrig fortgesetzt. Nicht wenige Medien, darunter FOCUS und FAZ befleißigten sich einer regelrecht ehrenrührigen, niederträchtigen Hass- und Verleumdungssprache. Begleitet wurde dieser Stil von einer „unterirdischen„ Bildauswahl, die im Zusammenspiel mit entsprechenden Headlines so angelegt war, dass zumindest die Stammleserschaft gar nicht mehr den zugrundeliegenden Artikel lesen musste, um die gewünschte Botschaft zu erhalten. Tatsächlich hatte dann der Artikel häufig gar nichts mit dieser Botschaft zu tun.

Ganz zu schweigen von den von Politikern und Medien angestachelten Eiferern in den sozialen Medien und auf den Community-Plattformen: sie glaubten wohl, den Wettbewerb um die Ausflüsse der niedersten Instinkte unbehindert noch toppen zu müssen: „Raffzahn, Gierhals, unersättlicher Bonze, dumm, Säufer, Alkoholiker, Abitur-los, skrupellos, Witzfigur, Narr…“, um nur die harmlosesten zu nennen.

Abschließend meine wenig schmeichelhafte Zusammenfassung: die Medien haben sich auf beschämende Weise durchgängig von zwei CDU-Schmutz-Dossier-Finken vorführen lassen (wollen?). Das gilt z.B. auch für die ZEIT, die in dem schon erwähnten Artikel vom 2.3.2017 heuchlerisch kommentierte: „Nicht alles, was regelkonform ist, ist auch legitim. Es ist auch noch keine bösartige Kampagne, wenn Spitzenpolitiker, die hohe Ämter bekleiden, gefragt werden, wie sie und ihre Mitarbeiter mit öffentlichen Geldern umgehen.“ Hätte doch die ZEIT – und auch andere Medien – mal gefragt, mit welchen Geldern von wem und in wessen Auftrag die Schmutz-Dossiers erstellt und unters Volk gebracht wurden.

So bleibt mir nur, auszurufen: Chapeau, Herbert Reul und Ingeborg Grässle!

Was für (Qualitäts-?)Medien! Was für (ehrenwerte?) Politiker!

Die Leugner von der wachsenden sozialen Ungleichheit

Lange haben Wirtschaft, wirtschaftsnahe Kreise und die diesen nahestehenden Medien, allen voran FAZ, FOCUS, WELT, Huffington Post, mit großer Inbrunst das Lied vom Märchen der Ungleichheit gesungen. Vgl. hierzu exemplarisch den Artikel „Das Märchen von der wachsenden Ungleichheit“ in der WELT vom 7.6.2016. Das Ziel war klar: möglichst diese unangenehme Wahrheit aus dem Wahlkampf heraushalten! Der WELT-Artikel basierte auf einer Auftragsstudie des arbeitgeberfreundlichen ifo-Instituts, wobei hinter dem Auftraggeber die Stiftung Familienunternehmer stand. Die Studie ist an Unseriosität kaum zu übertreffen, lässt sie doch willkürlich wesentliche Parameter einfach weg, bis das gewünschte Ergebnis – in diesem Fall: „die Ungleichheit ist im letzten Jahrzehnt zurückgegangen“ - erscheint. Häufig wurde auch eine Studie des bereits erwähnten Prof. Hüther zitiert, übrigens Direktor des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), wie oft wohlweislich unterschlagen wird. Darin hat Prof. Hüther im Stile eines Taschenspielertricks aus der zugrundeliegenden Zahlenbasis einfach mal willkürlich den Zeitraum 2009-2013 herausgegriffen, um so nachzuweisen, dass sich – in diesem Zeitraum - die Einkommensungleichheit gar nicht erhöht hätte. Mit einem ähnlichen Taschenspielertrick hatte dieser Professor Deutschland bei der weitaus größeren Vermögensungleichheit mal flugs von Platz 117 in der Welt auf Platz 3 katapultiert (vgl. „Deutschland nur auf Platz 117: Wo die Schere zwischen Arm und Reich am kleinsten ist“, FOCUS, 12.6.2017)! Übrigens sind derartige Taschenspielertricks auch bei den Klimaleugnern en vogue, wenn sie beweisen wollen, dass der Klimawandel gar nicht menschengemacht sei. Noch im Dezember 2016 hatte auch die CDU – im Gleichklang mit dem wissenschaftlichen Beirat des Finanzministeriums - auf ihrer Website veröffentlicht: „Die Schere zwischen Arm und Reich schließt sich“ und „CDU-Politik zahlt sich aus. Laut Armutsbericht nimmt zudem die Einkommensungleichheit ab“. Dementsprechend war es nur logisch, dass im Unions-Wahlprogramm die Abgehängten, bis auf die üblichen Almosen, weitgehend “vergessen“ wurden. Diese Website wurde allerdings mittlerweile – stillschweigend und verschämt(?) - gelöscht.

Die Vernebelungstaktik wird auf die Spitze getrieben, wenn die einen „Experten“ behaupten, es lägen gar keine belastbaren Daten über die Einkommens- und Vermögenssituation der Reichen vor, und - im Widerspruch dazu -, gleichzeitig die anderen klagen, die oberen 10% der Einkommensbezieher tragen 50% des Einkommen-Steueraufkommens. Richtig ist: bis 1996, als die 1952 von Adenauer eingeführte Vermögenssteuer vom Bundesverfassungsgericht wieder aufgehoben wurde, war die Datenlage besser!

Von der Ungleichheitslüge zur Gerechtigkeitslüge

In Nachgang zur Veröffentlichung von Thomas Pikettis „Das Kapital im 21. Jahrhundert“, wurden in den letzten Jahren zunehmend mehr wissenschaftliche Studien zum Thema Einkommens- und Vermögensungleicheit veröffentlicht. Selbst die EU-Kommission, die EZB und das IWF sind Anfang 2017 den Ungleichheitsleugnern in die Parade gefahren und haben auf die wachsende Ungleichheit und deren negative Konsequenzen auch für die Wirtschaft hingewiesen. Dies ließ ein weiteres Leugnen unglaubwürdig erscheinen, weshalb viele Medien ihre tendenziöse Berichterstattung insofern änderten, als die wachsende Ungleichheit jetzt zwar anerkannt, aber gleich wieder heruntergespielt wurde. Der Tenor - oder sollte ich besser sagen: die Nebelbombe? - lautete jetzt: „Ungleichheit ist nicht notwendigerweise auch ungerecht.“ Kernsatz: „Dass ein Prozent der Weltbevölkerung die Hälfte des Vermögens besitzt, ist noch kein Beweis von Ungerechtigkeit.“ ( FAZ vom 28.12.2016). Noch passgenauer für den deutschen Wahlkampf: „Die Deutschen überschätzen massiv, wie ungerecht es zugeht“ (FAZ vom 5.4.2017). Selbst der SPIEGEL und die SZ hatten mittlerweile das Thema mit dem Tenor kommentiert: „ist ja gar nicht so schlimm“! Und der unvermeidliche Prof. Hüther hat in der Rheinischen Post vom 5.9.2016 – übrigens ohne Verweis auf dessen arbeitgebernahen Auftraggeber - behauptet: „Die soziale Schere öffne sich nur im Kopf, nicht aber in der Realität“! Unverdrossen und dreist hat dagegen der o.g. Clemens Fuest noch am 2.1.2018 in einem Gastbeitrag der ZEIT eines oben drauf gesetzt und „Das Märchen von der Jahrhundertungleichheit“ zusammengereimt, ohne Widerspruch zu ernten.

Die Medienmacht steht auf der Seite der Vermögenden

Warum wohl ist die Medienmacht auf die Seite der Vermögenden eingeschwenkt? Zur Beantwortung dieser Frage komme ich später. Es gehört aber nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, dies habe auch etwas damit zu tun, dass ein Großteil der Medienhäuser in den Händen von 4 superreichen und als konservativ geltenden Familien sind: Bertelsmann-Mohn, Burda, Holtzbrinck und Springer.

Die Union umschiffte im Wahlkampf das Thema der sozialen Ungleichheit, indem sie schließlich die Parolen ausgab: „Uns ging es noch nie so gut“ und „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“. Offensichtlich haben es ihr viele – von den Medien gut vorbereitete - Wähler geglaubt.

Schulz kann gar nicht Kanzler – nur keine politische Wende!

Die Anti-Schulz-Kampagne - vom „Schizo-Schulz“ bis zum „Schulz kann gar nicht Kanzler“ - hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Es war en vogue, Schulz und seine SPD nicht mehr ernst zu nehmen, vom Politclown aus Würselen zu sprechen, dessen Ende als Parteichef ebenso wie der weitere Niedergang der SPD nach der verlorenen Bundestagswahl fast täglich herbeigeschrieben wurde – trotz seiner Wiederwahl mit 87% Zustimmung. Und selbst die Kanzlerin hatte die SPD als auf absehbare Zeit für nicht regierungsfähig bezeichnet, was sie ebenso wenig daran hinderte, in GroKo-Verhandlungen mit Martin Schulz einzutreten wie Martin Schulz umgekehrt schnell seine Oppositionspräferenz gegen eine GroKo-Perspektive eintauschte. Nichtsdestotrotz: wer ein solches Bashing, wie Martin Schulz erlebt hat, ist politisch verbrannt. Das hatte bei der letzten Bundestagswahl der damalige SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück erfahren. Das erlebte Martin Schulz nach der aktuellen Wahl, zumal auch noch eigene Fehler hinzukamen. Gemäß dem Motto „Dem „Mord“ folgt derRufmord“ haben alle Medien den Absturz von Martin Schulz ausführlich ausgebreitet und die Gründe hierfür überwiegend an seiner Person festgemacht, ohne dabei ihre eigenen - nicht unwesentlichen - Beiträge zu erwähnen. Warum plötzlich so bescheiden? Insofern war es unausweichlich und konsequent, dass sich Martin Schulz – nach einigen Turbulenzen – schließlich aus der Politik zurückzog. Die Medien hatten, an den Wählern vorbei, ihr Ziel erreicht. Darüber hinaus hatten sie auch noch zu einem Gutteil ihren Anteil am Niedergang der SPD. Der Rest war hausgemacht. Hätte man die in diesem Artikel aufgedeckten Mechanismen durchschaut, hätte man sich die ganze unwürdige „Schulz-muss-weg“-Show ersparen können.

Trotz vieler – durchaus auch von Vielen erwünschter - Einzelergebnisse aus den GroKo-Verhandlungen war die allgemeine Wahrnehmung eher von einem „Kleben an Kanzler- und Ministersesseln“ und einem „weiter so“ geprägt. Ein politischer Aufbruch, gar eine Vision, sehen anders aus. Politikverwaltung anstelle von Politikgestaltung war nach Meinung Vieler, auch vieler Medien, angesagt! Der politische Diskurs war endgültig erstickt.

Chor der 42% Abgehängten: „Uns ging es noch nie so gut“

Wie bereits ausführlich erläutert, wurde das Thema der wachsenden Ungleichheit platt gemacht für die Formel „Uns ging es noch nie so gut! Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben!“ Nachdem schon im Unions-Wahlprogramm als auch in den gescheiterten JAMAIKA-Sondierungen die 42% Abgehängten – bis auf die üblichen Almosen - weitgehend vergessen wurden, wurde nun, insbesondere auf Druck der SPD, in den GroKo-Verhandlungen diese Klientel mit einigen Wohltaten und Geschenken bedacht. Dort, wo die Union hierzu ihren Beitrag geleistet hat, z.B. mit ihrem Unions-Kindergeld, erwiesen sich diese sog. Wohltaten bei genauerem Hinsehen als Mogelpackung. Die von der Union in ihrem Wahlprogramm versprochene Kindergelderhöhung wurde in zwei Schritten 1:1 für die GroKo übernommen: während Geringverdiener mit +25 € pro Monat bedacht werden sollen, erhalten Spitzenverdiener +60 € pro Monat (ich nenne das Umverteilung von unten nach oben). Dieses 25 €-Kindergeld-Almosen der Union gleicht bei den Geringverdienern maximal die Inflation aus. Hartz IV-Empfänger gehen dagegen ganz leer aus! Mal ganz abgesehen davon, dass eine Familienpolitik mit der Kindergeld-Gießkanne aus der Mottenkiste einer Unions-Alt-Herren-Familienpolitik stammt. Dennoch war das unter düsteren Drohungen laut abgesonderte Grummeln der Arbeitgeber-Seite vernehmbar: „das muss jetzt doch mal wieder für die nächsten vier Jahre reichen“! Als ob soziale Grundrechte nicht auch in unserem Grundgesetz und in Landesverfassungen verankert wären! Und zwar als Rechte und nicht als Almosen, Geschenke oder Wohltaten! Zur weiteren Ausgestaltung dieser Rechte und deren Umsetzung hätte man viel Schlaues und Überfälliges schreiben können. Mir ist aber kein einziger nennenswerter Beitrag in unserer Medienlandschaft hierzu aufgefallen. Es steht zu befürchten, dass auch in vier Jahren der Chor der Abgehängten sein traurig Lied weiter singen muss.

Aber wir haben doch Pressefreiheit!?

Der Befund aus meiner Analyse ist eindeutig: die Medien vertreten in wesentlichen politischen Fragen eine einheitliche Meinung, was in der Wahlkampfberichterstattung zu einer klaren Präferenz zugunsten der Union (inkl. FDP) und zulasten der SPD (sowie der LINKEN und Grünen) ging. Das heißt auch, dass die Medien - entgegen häufiger anderslautender Behauptungen - rechts von der Mitte stehen!

Ich habe diesen Befund einer einseitigen Berichterstattung und Kommentierung anhand einiger Beispiele der Chefredaktion der SZ vorgelegt. Diese hat den Vorwurf abgestritten und erklärt, dass die SZ insofern ausgewogen berichte, als sie ein breites Meinungsspektrum abbilde. Natürlich könne und müsse nicht jeder Artikel in sich ausgewogen sein, es würde aber großer Wert darauf gelegt, dass die Fakten geklärt werden.

Zeitgleich hatte sich die SZ – wie auch alle anderen Medien – wieder von interessierten Kreisen für den Unions-Wahlkampf - diesmal in Niedersachsen - instrumentalisieren lassen. Die offensichtliche Lüge der BILD über die – zudem noch skandalisierte – Abstimmung von Ministerpräsident Weils Regierungserklärung mit VW – er habe diese „umschreiben“ und „weichspülen“ lassen – hat die SZ zunächst kommentarlos übernommen. Erst nach Tagen, nachdem Herr Weil - und nicht die Presse - durch Veröffentlichung der verschiedenen Versionen seiner Regierungserklärung für Klarheit, Wahrheit und Transparenz gesorgt und die BILD-Meldung als dreiste Lüge entlarvt hatte, hatten sich die restlichen Medien bemüßigt gefühlt, die Falschmeldung richtigzustellen - ohne übrigens diese „Lügenpolitik“ als solche an den Pranger zu stellen. Ausgewogene, faktenbasierte Berichterstattung?

Noch am 8.6.2017 hatte die SZ erklärt, „Schulz hafte der Vorwurf an, zu unkonkret zu sein“. Seit Vorlage seines Rentenkonzeptes Anfang Juni 2017 „darf dieser Vorwurf zumindest teilweise als entkräftet gelten“. Im Vergleich zu Merkels „inhaltlichem Entleerungs-Wahlkampf“ ist das Rufmord! Ausgewogene, faktenbasierte Berichterstattung?

Noch am 9.2.2018 schreibt die SZ-Chefredaktion in einem Abonnentenbrief über „100-Prozent-Schulz“, der in den GroKo-Verhandlungen nach einem nicht genannten „Unionsmann“ „ der schwächste Verhandlungsführer gewesen sei, den er je erlebt habe“. Ausgewogene, faktenbasierte Berichterstattung?

Übrigens wurde die 100%-Zustimmung zu Söders Bewerbung als Seehofer-Nachfolger im Ministerpräsidentenamt nicht, auch nur ansatzweise nicht, mit einer solchen Häme und Inbrunst kommentiert wie bei Martin Schulz. Dabei ist es nicht vermessen, zu behaupten, die SPD-Mitglieder hätten seinerzeit mit dem Herzen und aus innerer Überzeugung abgestimmt, während fast alle CSU-Mitglieder gespalten und teilweise mit der Faust in der Tasche Zustimmung geheuchelt hätten.

Es ist unbestritten, dass insbesondere die SZ und die ZEIT auch andere Stimmen haben zu Wort kommen lassen. Aber wenn es – im Hinblick auf eine Wahlentscheidung - darauf ankam, haben sie sich klar zugunsten der Union und von Angela Merkel positioniert. Schon gar nicht haben sie - und fast alle anderen Medien - in der heißen Phase des Wahlkampfs geschönte oder gefälschte Aussagen von Unions-Repräsentanten richtig gestellt, während Schulz und seine SPD i.d.R. mit Gegenpositionen konfrontiert wurden. Nicht selten hatte ich den Eindruck, dass, z.B. auch die SZ, auch auf regionaler Ebene, als verlängerter Arm der Pressestellen von Regierung und Parteien fungierte, wenn sie deren Pressemitteilungen und sonstigen Verlautbarungen kommentarlos veröffentlichten, ohne deren Wahrheitsgehalt zu hinterfragen. Gewissermaßen wurde den Politikern 100% Glaubwürdigkeit unterstellt - übrigens im Gegensatz zu den Ergebnissen vieler in den Medien kolportierten Umfragen zur Glaubwürdigkeit von Politikern. Erst nach der Wahl wurde diese Einseitigkeit wieder gelockert und es wurden forsch auch wieder Meinungen vertreten, die konträr zu Medien-Meinungen im Wahlkampf lagen, z.B. zur Begrenzung der Top-Manager-Einkommen (obszöne Handhabung), im Autoabgas-Skandal (Dieselnachrüstung auf Kosten der Steuerzahler, Fahrverbot), zur Steuerpolitik (Steuerschlupflöcher, …), zur maroden Bundeswehrausstattung (bedingt einsatzbereit) etc.

Auf die vorgelegten, meine Behauptung einer einseitigen Berichterstattung stützenden Beispiele, ist die SZ-Chefredaktion übrigens gar nicht eingegangen.

Wer immer noch zweifelt, möge sich kurz daran erinnern, wie bei der letzten Bundestagswahl die Medien mit dem damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück umgesprungen sind. Er wird ein ähnliches Muster feststellen. Was bedeutet das für die nächsten Bundestagswahlen? Ein Frage, der sich die SPD dringend annehmen muss, wenn sie nicht weiter versinken will.

Nur bedingt hoffnungsfroh lässt mich stimmen, dass einige Medien offensichtlich dieses Ungleichgewicht erkannt und eigene investigativ-journalistische Abteilungen für spezifische Themenstellungen gegründet haben. Früher verstanden sich mehr oder weniger alle Journalisten als Investigativ-Journalisten auch im Rahmen der täglichen politischen Berichterstattung. Da ist in den letzten Jahren in den Medienhäusern aufgrund von Medienkonzentration und Sparmaßnahmen wohl einiges an guter journalistischer Tradition verloren gegangen.

Die Medien vertreten in wesentlichen politischen Fragen ein einheitliches Meinungsbild rechts von der Mitte

Wie konnte es passieren, dass fast alle Medien in wesentlichen politischen Fragen ein einheitliches Meinungsbild veröffentlichten? Dass die Medien im Wahlkampf in nie dagewesener Einigkeit die o.g. Kampagne gemeinsam ausdekliniert hatten? Dass sie offensichtlich ihrer demokratischen Kontrollmöglichkeit verlustig gegangen sind? Verschwörungstheoretiker mögen im Hintergrund eine „Super-Redaktion“ oder gar eine „Welt-Diktatur“ vermuten, die entsprechende Meinungen in die Federn der Publizisten diktiert. Das erscheint mir aber doch zu weit hergeholt. Nicht nur, weil die Medien derartige Angriffe weit von sich weisen. Nein, wie sollte es, bei der Vielzahl der Beteiligten, gelingen, eine solche „Verschwörung“ unter der Decke zu halten?

Gibt es sie doch: die unsichtbare, ordnende Hand des Marktes?

Was ist dann das Geheimnis? Die Medien leisten zur Klärung keinen Beitrag. Im Gegenteil!

Gewissermaßen als letzten Beleg für meine These einer einheitlichen Medienlandschaft haben sich Medien und Politik - sogar auch einige Vertreter aus der SPD-Führung - offensichtlich auf ein einheitliches Narrativ zur Erklärung von Aufstieg und Fall des Martin Schulz „geeinigt“ (als Nachweis mögen hierfür exemplarisch dienen: „Medien-Hype um den überlebensgroßen Kandidaten“ in MEEDIA vom 13.2.2018 sowie „Aufstieg und Fall des Martin Schulz“ in BR3-Kontrovers vom 21.2.2018):

1. Der anfängliche Hype um Martin Schulz wurde vorrangig von den Medien - (bewusst?) an der Realität vorbei - befeuert (bisweilen wird die Selbstreferentialität der Medien als Begründung für die schnelle und einheitliche Verbreitung angeführt).

2. Martin Schulz hat sich aufgrund eigener Fehler selbst „heruntergewirtschaftet“.

3. Also war Martin Schulz gar nicht als Kanzlerkandidat geeignet.

Medien und Politik schreiben und reden sich also ihre Rolle schön. Das haben sie wohl auch bitter nötig, um von ihrer unrühmlichen Rolle bei Aufstieg und Fall des Martin Schulz abzulenken, denn die Realität zeigt ein ganz anderes Bild.

Zum Glück gibt es die sog. Elitenforschung. Sie erforscht neben den Fragen der Bildung, der Struktur und Organisation sowie des Einflusses von Eliten und deren Macht auch die Frage der Rolle der Medien in diesem Geflecht. Diese Eliten organisieren sich vorwiegend in selbst finanzierten, häufig als Think Tanks oder Stiftungen bezeichneten Vereinigungen, treffen sich regelmäßig zum Austausch aktueller Zukunftsfragen, häufig hinter verschlossenen Türen, ohne Presse, ohne Protokolle o.ä. Diese Vereinigungen konstituieren sich aus mächtigen, reichen Personen bzw. Familien aus dem industriell-militärischem Komplex, dem Geldadel, der Spitzenpolitik, der Wissenschaft – vorwiegend dem Neoliberalismus verschriebene Volkswirtschaftler – und eben auch von Vertretern der sog. Leitmedien. Kurz gefasst geht es dabei um das Wohlergehen der Mächtigen und Reichen. Etwas konkreter besteht die inhaltliche Ausrichtung und Zielsetzung darin, die militärisch-wirtschaftliche Dominanz der westlichen Welt über den Rest der Welt zu schützen, zu erhalten und auszubauen auf Basis von Privateigentum, Kapitalismus, Freihandel, Marktsteuerung und Neoliberalismus. Instrumente sind die Beeinflussung der Wähler, die Ausrichtung der Politik und der politischen Akteure auf nationaler (Regierungen, Parteien, Sicherheitsdienste etc.) und supranationaler (Weltbank, IWF, EZB, NATO etc.) Ebene. Den Medien kommt dabei die Rolle des Agenda-Settings für den öffentlichen Diskurs sowie einer zentralen Filterfunktion zu mit dem Ziel, dass die nicht-elitäre Bevölkerung die reale Welt so wahrnimmt, wie es den Eliten zweckmäßig erscheint.

Vor diesem Hintergrund ist auch erklärlich, weshalb die Elitenforschung in den Medien kaum stattfindet. Die Medien setzen sie einfach nicht auf ihre Agenda.

Typische bekannte Beispiele für derartige Elitennetzwerke sind international die Bilderberg-Konferenz und die Atlantik-Brücke mit ihrer amerikanischen Schwesterorganisation American Council on Germany (ACG) sowie national die Stiftung Neue Soziale Marktwirtschaft (SNSM).

Aktuelle Agenda dieser Vereinigungen:

  • - Globalisierung
  • - Zukunft der Demokratie
  • - Deregulierung, Privatisierung (auch von Diensten der Daseinsfürsorge)
  • - Marktliberalisierung (Angela Merkel nennt das „marktorientierte Demokratie“, ich nenne das „Markt hat Vorfahrt vor Demokratie“)
  • - Staatliche Aufgaben zurückdrängen
  • - Mehr Eigenverantwortung
  • - Weniger Sozialstaat
  • - Militärische Aufrüstung zur Verteidigung der wirtschaftlichen Überlegenheit und zum Schutz der Handelswege
  • - Verhindern von Regierungen links von der Mitte

Und all dies geschieht ohne politisches Mandat, gewissermaßen unbelangbar!

Nachdem namhafte und einflussreiche Medienvertreter selbst Teilnehmer dieser Elitennetzwerke sind, mag es bei dem einen oder anderen Leser langsam dämmern, wie die o.g. Agenda mit dem Bild, das die Medien im Bundestagswahlkampf abgeliefert hatten, zusammenhängen (könnte?). Inwieweit wir es hier schon mit postdemokratischen Strukturen und einem Auseinanderfallen von idealer und realer Demokratie zu tun haben, wäre ein interessantes Forschungsthema für die Elitenforschung. Zu beobachten ist, dass demokratische Institutionen zwar formal fortexistieren, aber von interessierten elitären Kreisen aus Wirtschaft, Staat und Militär zunehmend unterlaufen werden, um ihre Interessen durchzusetzen. Also gibt es sie doch, die unsichtbare, ordnende Hand, wenn auch in anderer Bedeutung als sie seinerzeit von Adam Smith in den Diskurs eingeführt wurde.

Ob sich am Ende die Eliten aber durchsetzen, ist in Anbetracht von zunehmender Politikverdrossenheit, wachsender Kluft zwischen „denen da unten“ und „denen da oben“ und schwindendem Vertrauen der Bürger in die Eliten ein offenes Spiel.

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