Zu den Unruhen in Bosnien und Herzegowina

Aufstand Hintergründe zum Aufstand in Bosnien. Mit freundlicher Genehmigung kopiert von Daniels Politblog.

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Den dritten Tag in Folge, folgten heute [8. Februar] wieder zehntausende Bürger in Bosnien und Herzegowina den Protestaufrufen. Die anfangs noch friedlichen Proteste, schlugen heute in Gewalt und Zerstörung um. In Tuzla wurde das Gebäude der Regionalregierung in Brand gesteckt und auch in der bosnischen Hauptstadt Sarajewo lieferten sich die Demonstranten Straßenschlachten mit der Polizei. Diese setzte Tränengas, Blendgranaten, Gummigeschosse und Schlagstöcke ein. Es sind die schwersten Demonstrationen seit dem Ende des blutigen Bürgerkrieges vor fast 20 Jahren. Diesmal sind es, im Gegensatz zu damals, weniger ethnische, als wirtschaftliche Gründe. Bosniens Wirtschaft liegt seit dem Bürgerkrieg der zwischen 1991 und 1995 tobte und fast 100.000 Todesopfer forderte, am Boden. Jeder vierte Einwohner Bosniens ist ohne Job, die Arbeitslosenquote liegt bei fast 40 Prozent und etwa ein Fünftel der 3,8 Millionen Einwohner lebt unterhalb oder an der Armutsgrenze. Doch die schlechte wirtschaftliche Lage ist nur ein Grund unter vielen, der die Bürger auf die Straßen treibt. Hier bricht sich nun Bahn, was sich seit 19 Jahren unter dem Deckmantel der Friedensordnung von Dayton angestaut hatte.
Der auf der amerikanischen Luftwaffenbasis in Dayton, im Jahre 1995 geschlossene Friedensvertrag, der nach drei Jahren den blutigen Bürgerkrieg zwischen den katholischen Kroaten, den muslimischen Bosniaken und den orthodoxen Serben beendete, hat dem Land eine lähmende Nachkriegsordnung auferlegt. Das Land teilt sich in zwei Entitäten, die bosnisch-kroatische Föderation und die Republika Srpska, die weitgehende Autonomie genießen. Die gesamtstaatliche Ebene ist schwach und hat nur wenige Kompetenzen. Dazu zählen u.a. die Wirtschafts-, Außen und Verteidigungspolitik. Alle anderen Bereiche werden auf der Ebene der Entitäten geregelt. Dies wiegt allerdings nicht so schwer, wie der Proporz der allen staatlichen Institutionen auferlegt wurde und der bis in die Staatsspitze reicht. Der Proporz schreibt vor, dass alle Ämter dreifach besetzt werden müssen. Das bedeutet, dass sich bspw. das Staatspräsidium, dass auch als Staatsoberhaupt Bosnien und Herzegowinas fungiert, aus einem Kroaten, einem Serben und einem Bosniaken zusammensetzt. Der Vorsitz dieses Gremiums rotiert alle acht Monate unter den drei Vertretern. Dieses System setzt sich bis in die Gemeindeebene fort und lähmt das gesamte Land. Kein Entschluss, kann gegen den Willen der jeweils anderen Volksgruppe gefasst werden und so befindet sich das Land in einer politischen Dauerblockade. Die eigentliche Macht übt jedoch nicht die bosnische Regierung, sondern der Hohe Repräsentant der EU aus. Dieser mit weitreichenden Vollmachten ausgestattete Diplomat wacht über den Frieden in der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik und soll die verfeindeten Volksgruppen zum politischen Konsens zwingen. Gelingt dies nicht, so kann er am Parlament vorbei Gesetze erlassen, oder durch eines der Landesparlamente erlassene Gesetze wieder zurücknehmen, als auch missliebige Politiker des Amtes entheben. Das Amt des Hohen Repräsentanten erinnert schon stark an k.u.k. Zeiten, als die Vertreter seiner apostolischen Majestät in Wien, mit ähnlichen Vollmachten über Bosnien herrschten. Dies geschah jedoch nicht zum Wohle des Friedens oder Freiheit, sondern zum Ruhme Österreichs. Bezeichnender Weise residiert dieser Hohe Repräsentant im alten habsburgischen Gouverneurspalast. Seit 2009 wird dieses Amt durch den Österreicher Valentin Inzko ausgeübt. Geschichte scheint sich doch zu wiederholen. Das System von Dayton, damals als das non plus Ultra des Nation Building gelobt, hat es nicht vermocht die Probleme des Landes zu lösen, im Gegenteil, es hat sie eher verschärft. Die bosnische Gesellschaft ist weiterhin entlang ethnischer Grenzen tief gespalten. Die Bürde des Bürgerkrieges lastet schwer auf dem Land. Immer noch leben viele muslimische und kroatische Bosnier als Binnenflüchtlinge im Land. Vor allem in der Republika Srpska erschweren nationalistische Ressentiments der serbischen Mehrheitsbevölkerung die Rückkehr der Vertriebenen in ihre Heimatdörfer und Städte. Vor allem die muslimische Volksgruppe, die nach offiziellen Angaben einen Anteil von 48 Prozent an der Gesamtbevölkerung stellt, der tatsächliche Anteil dürfte die 50 Prozentmarke mittlerweile überschritten haben, fühlt sich durch die Friedensordnung von Dayton betrogen. Auch die kroatische Bevölkerung, die mit den Bosniaken die bosnisch-kroatische Föderation bilden und als einzige Volksgruppe keine eigene Entität erhalten hat, steht der Nachkriegsordnung eher ablehnend gegenüber. Es gibt immer wieder Versuche kroatischer Parteien eigene Institutionen in den von den Kroaten dominierten Kantonen der Föderation, aufzubauen. Dies konnte durch den Hohen Repräsentanten bisher erfolgreich verhindert werden. Die Versöhnung zwischen den Volksgruppen findet nur an der Oberfläche statt. Zwar gibt es in der Republika Srpska Orte mit muslimischen Bürgermeistern, dies ist allerdings kein Resultat erfolgreicher Friedenspolitik, sondern liegt am Wahlsystem, was dafür sorgt, das die ehemaligen muslimischen Einwohner immer noch in ihren alten Heimatdörfern und Städten wählen dürfen, obwohl sie dort schon lange nicht mehr leben und die Städte mittlerweile zu über 90 Prozent von Serben bevölkert werden.
Der durch Dayton verordnete Proporz hat aber auch Auswirkungen auf die Wirtschaft. Die politische Dauerblockade verhindert ausländische Investitionen. Die Korruption ist weitverbreitet, durchsetzt alle Bereiche in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft und wird durch die Dreifachbesetzung aller Ämter noch massiv gefördert. Allein in der bosnisch-kroatischen Föderation gibt es, neben der Föderationsregierung und einem Föderationsparlament, 10 kantonale Regierungen und Parlamente, die alle nach dem dreier Proporz besetzt werden müssen. Fast jeder zweite Bosnier arbeitet im öffentlichen Dienst, denn die Ordnung von Dayton hat eine ausufernde Bürokratie erzeugt. Eine Verfassungsreform ist bisher am Widerstand der serbischen Bevölkerungsgruppe gescheitert, die befürchtet in einem muslimisch dominierten Staat leben zu müssen.
Die vielen staatlichen Betriebe sind meist veraltet, ineffizient und kaum konkurrenzfähig. Aber auch Außerhalb des öffentlichen Sektors liegt die Wirtschaft am Boden. Die wenigen Industriebetriebe sind, sofern nicht durch den Krieg zerstört, meistens in einem schlechten Zustand. Der Dienstleistungssektor ist eher mäßig entwickelt. Der Bankensektor wurde konsolidiert und etwa 85 Prozent der bosnischen Banken stehen unter der Kontrolle ausländischer Institute. Außer Holz und Erdöl gibt es kaum Exporte. Das Leistungsbilanzdefizit wird, ähnlich wie in den anderen ehemaligen Teilrepubliken Jugoslawiens, durch Transferleistungen im Ausland lebende Gastarbeiter ausgeglichen. Die weitverbreitete Korruption verhindert auch eine Kontrolle des Wirtschaftslebens, so dass der Schwarzmarkt blüht und dem Staat damit massiv Einnahmen entgehen. Auch bei der Privatisierung von ehemaligen Staatsbetrieben, haben vor allem die ehemaligen Kriegsherren und ihre Paladine profitiert, die vielfach bis heute hohe Positionen in Wirtschaft und Gesellschaft besetzen. Die normalen Bürger leiden massiv unter diesem System. Der monatliche Durchschnittslohn beträgt, sofern man das Glück hat und einer geregelten Arbeit nachgehen kann, in etwa 420 Euro. Die Preise für Lebensmittel und vor allem für Energie steigen jedoch wesentlich schneller und sorgen für eine massive Verschuldung der Bevölkerung, die dadurch zusehends verarmt. Korruption und Vetternwirtschaft verhindern, dass vor allem junge Menschen einen Job bekommen. Die Jugendarbeitslosigkeit in Bosnien dürfte bei etwa 60 Prozent liegen. Die trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage und der daraus resultierenden Unterfinanzierung des Bildungssektors, sehr gut ausgebildeten jungen Leute wandern deshalb zu Hauf in das europäische Ausland ab. Dies entzieht dem ohnehin durch die ethnischen Probleme sehr fragmentierten Arbeitsmarkt und der bosnischen Wirtschaft gut ausgebildete Fachkräfte die für den Wiederaufbau der bosnischen Wirtschaft dringend gebraucht werden. Die Finanzkrise hat diesen Trend zudem noch beschleunigt. Diese Gründe und die seit der Finanzkrise 2008 herrschende Rezession, haben die Lebensbedingungen der Bevölkerung massiv verschlechtert. So war es nur eine Frage der Zeit, bis die Bevölkerung ihrem Unmut Luft verschaffen würde. Es wundert deshalb auch nicht, dass sich der Protest, nun vor allem gegen eine politische Klasse richtet, die durch Korruption und Vetternwirtschaft massiv korrumpiert ist und das System von Dayton bisher geschickt für ihr eigenes Fortkommen ausgenutzt hat. Man kann nur hoffen, dass die aktuellen Proteste nur der Auftakt für einen tiefgreifenden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Wandel in Bosnien sind. Der erste Schritt hin zu einer funktionierenden Zivilgesellschaft in der alle Einwohner Bosniens an einem Strang ziehen, scheint gemacht worden zu sein.

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Geschrieben von

Sikkimoto

Linkspopulist & Wutbürger

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