Gegen den Staat

Rechter Rand Reichsbürger halten die Bundesrepublik Deutschland und das Grundgesetz für illegitim und sehen sich statt dessen als Bürger des Deutschen Reiches

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Gegen den Staat

Foto: Carsten Koall/ AFP/ Getty Images

Sucht man im Internet nach Akteuren der sogenannten Reichsbürgerbewegung, stößt man auf eine unüberschaubare Anzahl an Organisationen, Einzelkämpfern und vermeintlichen Aufklärungsfilmen. Die dazugehörigen Internetseiten lauten etwa neudeutschland.org, staatenlos.info, volksbetrug.net oder deutsches-reich-heute.de. Filme auf Youtube heißen etwa: Die BRD – Ein nichtexistierender Staat, Das Urteil von Karlsruhe 31.07.1973 – das deutsche Reich besteht fort oder Das Deutsche Reich und die BRD-GmbH (Fakten und Wahrheiten).

Die Reichsbürgerbewegung eint die Annahme, dass das Deutsche Reich weiterhin existiert, dass die BRD demgegenüber illegitim ist und das es gilt, das derzeit handlungsunfähige Deutsche Reich zu neuer Blüte zu verhelfen. Gegründet werden dann etwa eine Kommissarische Regierung des Deutschen Reiches, eine Exilregierung Deutsches Reich, ein Zentralrat Deutsches Staatsbürger und so weiter. Die Reichsbürger melden sich von der BRD ab, stellen sich unter Selbstverwaltung und widersetzen sich der Staatsgewalt der BRD. Sie werden, das kann nicht verwundern, dem rechten Rand zugeordnet.

Die Reichsbürger machen deutschen Behörden und Gerichten zunehmend Probleme. Auch wenn sie die BRD nicht anerkennen, machen sie dennoch mit abstrusen Eingaben bei Behörden und Gerichten auf sich aufmerksam, mit Eingaben, die langatmige Abhandlungen über die angebliche Illegitimität der BRD und seiner Behörden und Gerichte enthalten. Die Reichsbürger verlegen sich jedoch nicht allein auf das Abfassen derartiger Pamphlete, sie machen auf mit gewalttätigen Aktionen auf sich aufmerksam. Wie in dem Film Der Staat bin ich! Eine Bewegung gegen den Deutschen Staat (ZDF-Info) beschrieben, sind insbesondere Gerichtsvollzieher immer wieder mit gewalttätigem Widerstand konfrontiert und erhalten Schulungen im richtigen Umgang mit den Reichsbürgern. Der Grünen-Politiker Andreas Vorrath aus Sachsen, der sich als einer der Ersten mit den Reichsbürgern kritisch auseinandergesetzt hat, ist Bedrohungen ausgesetzt und auf sein Regionalbüro wurde ein Farbanschlag verübt. Er wagt es nicht mehr, sich abends alleine in seinem Regionalbüro aufzuhalten.

Ein logischer Bruch

Eine der zentralen rechtlichen Behauptungen der Reichbürger ist, dass das Deutsche Reich niemals untergegangen ist, dass dieses also noch fortbesteht. Dabei stützen sich die Reichsbürger vor allem – ein logischer Bruch, der sich durch die Reichsbürgerbewegung wie ein roter Faden zieht – auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, also auf ein Gericht der BRD. Es geht hierbei um ein Urteil (Urteil vom 31.07.1973, Az. 2 BvF 1/73), in dem das Gericht im Rahmen einer sogenannten abstrakten Normenkontrolle über die Verfassungsmäßigkeit des zwischen der BRD und der DDR ausgehandelten Grundlagenvertrags (paraphiert am 08.11.1972) zu entscheiden hatte. Dieser Vertrag, in dem die beiden Staaten die Grundlagen ihrer künftigen Beziehungen in zehn Artikeln regelten, war von der Bayerischen Staatsregierung im Wesentlichen mit dem Argument angegriffen worden, der Vertrag verletze das grundgesetzliche Wiedervereinigungsgebot, in dem er die BRD und die DDR als gleichberechtigte, unabhängige und selbstständige Staaten anerkenne.

Im Rahmen dieses Urteils, mit dem das Gericht die Verfassungsmäßigkeit des Grundlagenvertrags bejahte, sah es sich zu einer Auseinandersetzung mit dem Rechtsstatus Deutschlands veranlasst. Dazu heißt es:

Es wird daran festgehalten (...), dass das Deutsche Reich den Zusammenbruch 1945 überdauert hat und weder mit der Kapitulation noch durch die Ausübung fremder Staatsgewalt in Deutschland durch die Alliierten noch später untergegangen ist; es besitzt nach wie vor Rechtsfähigkeit, ist allerdings als Gesamtstaat mangels Organisation nicht handlungsfähig. Die BRD ist nicht „Rechtsnachfolger“ des Deutschen Reiches, sondern als Staat identisch mit dem Staat „Deutsches Reich“, - in Bezug auf seine räumliche Ausdehnung allerdings „teilidentisch“.

Der erste Satz dieses Zitates deutet darauf hin, dass es der herrschenden Rechtsauffassung in Deutschland entspricht, dass das Deutsche Reich nicht untergegangen ist, sondern fortbesteht. Der zweite Satz zeigt jedoch, dass es dennoch Unsinn ist, aufgrund der Fortgeltung des Deutschen Reiches nunmehr Kommissarische Reichsregierungen zu gründen und die Staatsgewalt der BRD nicht anzuerkennen. Was früher das Deutsche Reich war, ist jetzt die BRD. Dies ist in rechtlicher Hinsicht unproblematisch und es entspricht den faktischen Gegebenheiten. Die Annahme, neben der BRD gebe es noch einen zweiten Staat, das Deutsche Reich, der nur darauf wartet, von einigen Wenigen wieder zum Leben erweckt zu werden, ist lebensfremd. In einem Beschluss vom 26.01.2006, der mit einer für Richter ungewöhnlichen Bissigkeit formuliert ist, schreibt das Amtsgericht Duisburg:

Die Ausführungen des 1960 geborenen Schuldners über die Grundlagen der gegenwärtigen staatlichen Ordnung in Deutschland und über seinen persönlichen Rechtsstatus sind abwegig. Eine deutsche Reichsverfassung vom 19.01.1996, eine kommissarische Reichsregierung oder ein kommissarisches Reichsgericht existieren ebenso wenig, wie die Erde eine Scheibe ist. (...). Die Bundesrepublik Deutschland in den Grenzen von 1990 ist der gegenwärtige deutsche Nationalstaat. Einen anderen gibt es nicht. Die Bundesrepublik Deutschland ist als Staat mit dem früheren Deutschen Reich identisch, sie ist dessen heutige rechtliche und tatsächliche Erscheinungsform.

Viele Reichsbürger begnügen sich damit, lediglich Satz eins des obigen Zitates aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu nennen und Satz zwei schlicht zu ignorieren. Andere nehmen demgegenüber auch Satz zwei zur Kenntnis, geben dann aber zu bedenken, dass die Weimarer Reichsverfassung niemals formal aufgehoben wurde, dass diese also fortgelte. Das Grundgesetz stehe im Widerspruch zur Weimarer Reichsverfassung und sei daher illegitim. Damit sei aber auch die BRD illegitim, denn diese beruhe auf dem Grundgesetz.

Auch hier haben die Reichsbürger im Ausgangspunkt Recht. Formal gesehen wurde die Weimarer Reichsverfassung nicht aufgehoben. Ihre Fortgeltung anzunehmen ist jedoch vor dem Hintergrund der Geschichte dennoch abwegig. Hierzu schreibt der Rechtswissenschaftler Christoph Gusy von der Universität Bielefeld (Die Weimarer Verfassung, Wert und Wirkung für die Demokratie, 2009, Seite 27 f.):

Bekanntlich ist die Weimarer Verfassung (WRV) vom 11.8.1919 niemals formell aufgehoben worden. In einem streng normativen Sinne ließe sich also sagen: Als Bundesrepublik und Grundgesetz geschaffen wurden, war die WRV noch in Geltung. Aber diese Position war schon damals in der Minderheit. Es war politisch, historisch und juristisch ausgeschlossen, Nationalsozialismus, Kriegsniederlage, Befreiung und staatliche Reorganisation nach 1945 als Verfassungsänderungen oder gar als – wenn auch defizitären – Verfassungsvollzug der WRV deuten. Im Gegenteil: Hitlers Staat war in jeder Beziehung ein rechtliches und politisches Gegenmodell zur WRV. Und ein solches hatte er auch sein sollen. Die Weimarer Verfassung wurde einfach ignoriert, der Staat in bewusster und gewollter Abwendung von ihr umgeformt. Damit hatte die Verfassung ihren Gegenstand und so auch ihre Geltung verloren.
Eine Verfassung ohne ein von ihr „verfasstes“ Gemeinwesen büßt ihre Geltung ein. Fehlte ihr also jedenfalls bis 1945 der Gegenstand, so fehlte nach 1945 ganz überwiegend der Wille, zu ihr zurückzukehren. Auch die vorherrschenden Identitätslehren, welche die sich neu etablierende westdeutsche Staatlichkeit für mit dem früheren Reich „identisch“ oder jedenfalls „teilidentisch“ hielten, zogen daraus regelmäßig nicht die Konsequenz einer Rückkehr zur WRV.

Besonders gerne berufen sich Reichsbürger auch darauf, dass das Grundgesetz nicht demokratisch legitim zustande gekommen sei. Die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates wurden durch die Landtage und nicht unmittelbar durch das Volk gewählt. Auch das von dem Parlamentarischen Rat beschlossene Grundgesetz wurde dem Volk nicht zur Entscheidung vorgelegt, sondern lediglich den Landtagen. Dieses Argument ist deswegen besonders willkommen, weil man der BRD damit gewissermaßen den Teppich unter den Füßen wegziehen und nahezu alles in Abrede stellen kann, was die BRD für sich in Anspruch nimmt.

Unabhängig von der Frage, ob es besser gewesen wäre, das Grundgesetz der Bevölkerung zur Abstimmung vorzulegen, ist festzustellen, dass es eine Regel, wonach ein Grundgesetz bzw. eine Verfassung nur dann demokratisch legitim sei, wenn es die Bevölkerung in einer unmittelbaren Abstimmung angenommen hat, nicht gibt. Woher sollte eine solche Regel auch kommen, wenn sie nicht grade von den Bäumen wächst.

Gleichzeitig zeigt etwa das Beispiel der Verfassung der USA von 1787, dass es auch anderswo funktionierende Verfassungsstaaten gibt, deren Verfassung nicht unmittelbar durch das Volk angenommen worden ist. Besonders wichtig in diesem Zusammenhang ist jedoch das Folgende: Bei der ersten Bundestagswahl auf der Grundlage des Grundgesetzes beteiligten sich 78,5 % der Wahlberechtigten und wählten ganz überwiegend die das Grundgesetz tragenden Parteien. Ein Grundgesetz oder eine Verfassung benötigen immer und vor allem – unabhängig von der Art und Weise ihrer Entstehung – die Akzeptanz in der Bevölkerung. Ein Grundgesetz, an das sich keiner mehr halten will, ist das Papier nicht wert, auf dem es gedruckt ist. Das zeigt das Schicksal der Weimarer Reichsverfassung nur zu gut.1

Reichsbürger allein zu Haus

Die Diskussion um die demokratische Legitimation des Grundgesetzes zeigt besonders anschaulich, wie absurd das Treiben der Reichsbürger ist. Man stelle sich für einen Moment vor, die Reichsbürger hätten streng juristisch gesehen Recht: Es gelte weiterhin die Weimarer Reichsverfassung und die BRD sei ein illegitimes Verwaltungskonstrukt auf der Grundlage eines illegitimen und damit rechtlich gesehen unwirksamen Grundgesetzes. Folgen hätte dies nicht. Die deutsche Bevölkerung will ganz überwiegend den Staat BRD und die Akzeptanz des Grundgesetzes ist nach wie vor sehr hoch. Die auf der Grundlage des Grundgesetzes erlassenen einfachen Gesetze werden akzeptiert, die Rechtsprechung verkündet ihre Urteil im Namen des Volkes auf der Grundlage des Grundgesetzes. Man könnte mit Blick auf die Reichsbürger sagen: „Stell dir vor, es ist Deutsches Reich und keiner geht hin“. Das Deutsche Reich (auf der Grundlage der Weimarer Reichsverfassung und in Abkehr von der BRD und dem Grundgesetz) wird lediglich in einigen wenigen deutschen Wohnstuben gelebt und dort wird es auch bleiben. Die Reichsbürger handeln nicht im Interesse der Bevölkerung, sondern im Interesse ihrer verqueren, rechtsradikalen, revisionistischen, asozialen Weltanschauung.

1 vgl, hierzu Maurer, Staatsrecht, Verlag C.H. Beck, 1999, Seite 91 ff.) .

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