Das 23. FilmFestival in Cottbus (5.-10.11.13)

Kino Eine Bilanz des Wettbewerbs beim Festival des osteuropäischen Films

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Am vergangenen Samstag ging das 23. Festival des osteuropäischen Films mit der Preisverleihung in der Stadthalle Cottbus zu Ende. Vom 5.-10. Novemberstanden diesmal 150 Filme aus 38 Ländern auf dem Programm. Mit 20.300 Zuschauern konnte das Festival auch einen neuen Besucherrekord verbuchen. Das Cottbuser Publikum und zahlreiche internationale Gäste füllten besonders an den Abendveranstaltungen die fünf Festival-Kinos in der Stadthalle, dem Weltspiegel, den Kammerspielen des Staatstheaters Cottbus sowie dem Gladhouse- und Obenkino. Bis zu 700 Filme wurden für das Festival gesichtet, wie Programmchef Bernd Buder, der auch den erkrankten Festivalchef Roland Rust vertreten muss, dem Medienpartner Radioeins vom RBB verriet. Bei der Auswahl sei man dabei wie immer um ästhetische und thematische Vielfalt bemüht gewesen. Und so bekam man dann auch eine breite Palette an Genre-, Autoren- oder epischen Filmen im Programm des Festivals geboten. In den Spielfilmwettbewerb hatten es diesmal elf Filme aus dreizehn Ländern geschafft. Das lag vor allem daran, dass viele Filmschaffende Osteuropas untereinander kooperieren oder sich Produzenten aus dem Westen Europas suchen.

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Gleich zum Anfang machte das FilmFestival Cottbus mal wieder seinem Ruf alle Ehre, eine besonders novembrige Veranstaltung mit Hang zur Melancholie zu sein. Besonders düster in Farbe und Thema war dann auch der Beitrag aus Bosnien-Herzegowina, Für die, die keine Geschichten erzählen können. Die Idee zum Film geht auf eine Tanzperformance der Australierin Kym Vercoe zurück, die bei einem Festival in Sarajevo aufgeführt wurde. Vercoe verarbeitete darin ihre Erlebnisse als Touristin im Nachkriegsbosnien. Durch Zufall erfährt sie später im Internet, dass das Hotel in dem für seine alte Brücke bekannten Višegrad, in dem sie übernachtet hatte, während des Krieges als Vergewaltigungscamp genutzt wurde. Bei einer zweiten Recherchereise in die Republika Srpska, dem von Serben bewohnten Teil Ost-Bosniens, stößt sie bei ihren Nachforschungen auf eine Mauer aus Mistrauen, Schweigen und sogar offener Feindseligkeit.

Die bosnische Regisseurin Jasmila Žbanić, bekannt durch den Film Grbavica, der den Goldenen Bären bei der BERLINALE 2006 erhielt, musste diesen Stoff unbedingt in einen Film umsetzten. Mit der Australierin Vercoe in der Hauptrolle stellt sie deren Bemühungen, den stummen Opfern (nichts in der Stadt verweist auf die Kriegsverbrechen) eine Stimme zu verleihen, in einer Art semidokumentarischem Streifen nach. Der Film entstand fast ohne Budget und besitzt allein durch die ständige Präsenz und den hartnäckigen Kampf der Hauptdarstellerin gegen das Vergessen eine Dringlichkeit, die bei aller Sparsamkeit der Mittel und Schwierigkeit des Drehs vor Ort doch ein stetiges Unbehagen beim Zuschauer erzeugt und somit für den notwendigen Gesprächsstoff sorgen dürfte.

Die Religionen in Osteuropa waren großes Thema des letztjährigen Festivals. Diesmal hatte es die Ökumenische Jury etwas schwerer, einen passenden Beitrag zu prämieren. Der Preis ging an den serbischen Wettbewerbsbeitrag Odumiranje (Das Verschwinden) von Regisseur Miloš Pušić. Hier spielt zur Abwechslung mal den Krieg in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens nur ganz am Rande eine Rolle. Hauptthema ist das Ausbluten der ländlichen Gebiete. Bis zu 300.000 junge Serben haben nach Aussage des Mitproduzenten und Hauptdarstellers Branislav Trifunovic schon das Land verlassen. Einer von ihnen ist Janko, der es selbst in der Hautstadt Belgrad nicht mehr aushält und sich entschlossen hat, in die Schweiz auszuwandern. Zuvor will er schnell noch den väterlichen Grund und Boden, auf dem auch das Grab des Vaters liegt, zu Geld machen und kehrt dazu in sein Heimatdorf zurück. Hier lebt noch seine Mutter, die die Hoffnung nicht aufgegeben hat, dass sich Janko doch noch mit einer Frau hier niederlassen wird. Ihre Einwände und Wünsche spielen für Janko aber keine Rolle. Die Hoffnung der Mutter wie auch die Hoffnungen der anderen Dorfbewohner stellen sich bald als Selbstbetrug heraus. Sämtliche Familienverhältnisse sind hier längst tief zerrüttet.

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Odumiranje (Das Verschwinden) von Miloš Pušić. Foto (c) FFC

Janko lässt sich in seiner Entscheidung auch nicht durch Strahinja, den alten Freund des Vaters, der sich schon vor Jahren erhängt hat, umstimmen. Auch Strahinja selbst steckt in einer tiefen familiären Krise, die er mit sentimentaler Musik und Alkohol ersäuft. Im Film geht es um das Wegbrechen von familiären Traditionen und den Verlust der Heimatverbundenheit infolge mangelnder Perspektiven. Das weite, karge Land tut sein Übriges zu diesem fast wie ein Kammerspiel wirkenden Film, der auch tatsächlich auf einem Theaterstück beruht, und hier zum stummen Mitspieler und bildgewaltigen Mahner wird. Die Ökomenische Jury sah darin vor allem ein moralisches Dilemma und einen provokanten Verweis darauf, das 4. Gebot „Ehre deine Eltern“ neu zu überdenken. Mit dem kroatisch-serbischen Film Svecenikova Djeca (Die Kinder des Priesters) übte ein anderer Wettbewerbsbeitrag Kritik an den strengen Dogmen des Katholizismus und der Scheinheiligkeit sowie den Verfehlungen des Klerus. Regisseur Vinko Brešan erzählt von einem übereifrigen Priester, der, um die Moral seiner Schäfchen zu stärken und den Kindermangel auf einer kleinen kroatischen Insel zu bekämpfen, u.a. Löcher in Kondome sticht. Dass, wenn man selbst Gott spielen möchte, auch einiges schief laufen kann und dem Priester dabei schließlich des Heft des Handelns entgleitet, zeigt dieser Film auf schwarzhumorige Weise, was zum Ende hin auch ins Tragische kippt.

Der dritte Beitrag aus einer der Teilrepubliken des ehemaligen Jugoslawiens ist in Slowenien angesiedelt. Chefurji raus! (Chefurs raus!) spielt in der Ljubiljaner Hochhaussiedlung Fužine, in der überwiegend Einwanderer aus den anderen Republiken des einstigen Vielvölkerstaats leben. Eine Gruppe von Jugendlichen um den Basketballer Marko verbringt hier ihre Zeit mit dem Abhängen vor den Blocks. Die Jungs sind auf der Suche nach einer eigenen Identität und zeigen dies auch stolz in machohaften Gesten und Opposition gegen Elternhaus und Staatsgewalt. Sozialkritische Studie und Coming-of-Age-Drama gleichermaßen, zeigt der Spielfilm nicht ganz ohne Witz ihren Alltag zwischen Traditionen, zerbrechenden Familienbanden und Ausgrenzung durch die slowenische Gesellschaft. Auch dieser Film hat eine bekannte literarische Vorlage und wurde bereits als Theaterstück umgesetzt. Der auf realen Erlebnissen von Jugendlichen aus diesem Stadtviertel beruhende Plot zeigt durchaus Parallelen zu in Deutschland oder anderswo im Westen lebenden Menschen mit Migrationshintergrund, was auch das Interesse am Stoff über die Grenzen Sloweniens hinaus und die Übersetzung der Novelle in mehrere Sprachen erklärt.

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Einer der Höhepunkte dürfte der polnische Spielfilm Papusza vom Regie-Duo Joanna Kos-Krauze und Krzysztof Krauze gewesen sein. Ein gewaltiges filmisches Epos und beeindruckender Beitrag zum diesjährigen Fokus auf das Leben der Sinti und Roma im Wettbewerb des Festivals. In langen Einstellungen und vielen Rückblenden erzählt der in Schwarz-Weiß gedrehte Film das Leben der ersten Roma-Dichterin Bronislawa Wajs, genannt Papusza, in einem Zeitraum von ihrer Geburt 1910 bis in die 1970er Jahre des kommunistischen Polens. Die junge Papusza, ein lebhaftes, neugieriges Mädchen, lernt bei einer jüdischen Buchhändlerin, die sie dafür mit gestohlenen Hühnern bezahlt, lesen und schreiben. Ein Schulbesuch bleibt ihr aber verwehrt. Mit 15 wird sie mit dem viel älteren Harfenspieler und Clanchef Dionizy Wajs verheiratet. Der polnischer Schriftsteller Jerzy Ficowski, der sich einige Monate nach dem Krieg bei der fahrenden Romagruppe vor den polnischen Behörden verstecken muss, erkennt ihr lyrisches Talent und bewegt sie dazu, ihre Gedichte aufzuschreiben. Später sorgt er auch für Veröffentlichungen in polnischen Zeitungen. Nachdem er im kommunistischen Staatsapparat aufgestiegen ist, schreibt Ficowski ein Buch über seine Erlebnisse und die Lebensweise der polnischen Roma, für das er auch Gedichte von Papusza verwendet.

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Papusza von Joanna Kos-Krauze und Krzysztof Krauze - Foto (c) FFC

Der Film verfolgt das harte Leben der fahrenden Roma von der Verfolgung vor und während des Krieges, bis zu den Zwangsmaßnahmen zur Sesshaftmachung durch die kommunistische Regierung Polens. Das Leben in der Natur, Sehnsüchte und Träume, aus denen ihr dichterisches Vermögen entspringt, werden Papusza dabei aber auch zum Verhängnis. Die um ihre Identität fürchtenden Roma sehen in Papusza eine Verräterin ihrer Geheimnisse und Gebräuche. Die unglückliche Ehe, ständige Armut und schließlich der Ausstoß aus der Gemeinschaft der Roma lassen Papusza schließlich seelisch und psychisch zusammenbrechen. Ein tragisches Leben als bedrückendes und zugleich aufwühlendes Filmerlebnis.

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Etwas heller wurden die Farben dann in der ukrainisch-türkischen Koproduktion Lyby meine (Liebe mich). Allerdings nicht in dem Maße, wie es sich die Regisseurin Maryna Er Gorbach vorgestellt hatte. Sie unterbrach die Vorführung im Weltspiegel wegen ästhetischer Unzumutbarkeit, so dass nur ein Gang in den Presse-Vorführraum des Festivals blieb, um den Film noch in voller Pracht sehen zu können. Die technische Panne bewahrte zumindest einen Teil des Cottbuser Publikums vor einem etwas zu dick aufgetragenen Sozialkitsch.

Der junge Türke Cemal bekommt von seinem Onkel vor der Hochzeit eine Reise in die Ukraine geschenkt. Dort will man sich noch mal so richtig ausleben, bevor der traditionelle Ehealltag in der Türkei beginnt. Cemal rutscht hier als Sextourist wider Willen in einige Verwicklungen um die junge schöne Kiewerin Sasha, die ihn aus Liebes-Frust (ihr verheirateter Geliebter hat sie an Silvester versetzt) aus einem einschlägigen Club abschleppt. Die mondäne Sasha kommt eigentlich aus ärmlicheren Verhältnissen, und bei der Suche nach der verstörten Großmutter lernt Cemal mit ihr die ukrainischen Verhältnisse hinter den glitzernden Sex-Bars kennen. Das erschöpft sich allerdings in den üblichen Klischeebildern von Säufern, Rassismus, korrupten Polizisten, abgerissenen Mietskasernen und dem allgegenwärtigen Mangel in der postkommunistischen, ehemaligen Sowjetrepublik. Etwas zu blauäugig erscheint hier der junge Türke auf seinem unfreiwilligen Sex-Trip. Und die allzu schöne, etwas oberflächlich gezeichnete Sasha ist auch keine wirklich herausragende Charakterstudie. Man hat das alles schon wesentlich eindrücklicher gesehen.

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Schalgartig heiterer wurde es dann in der russischen Geograf Globus Propil (Der Geograf, der den Globus austrank). Der Film berichtet in flotten Sprüchen und mit viel Humor über das Leben eines Geografielehrers in der eintönigen, russischen Provinzstadt Perm. Viktor, eigentlich Biologe, ist wegen seiner Trunksucht in Moskau entlassen worden und ergreift die Chance, als Lehrer in der Provinz den Unterhalt für seine kleine Familie zu verdienen. Er bemüht sich zunächst noch, den desinteressierten Jugendlichen etwas über ihre Heimat und den Fluss Kama beizubringen, gibt aber schnell auf und verfällt wieder dem alten Trott aus Saufgelagen mit seinem Kumpel und amourösen Abenteuern mit den ebenfalls frustrierten Frauen der Stadt. Der graue Himmel, der die Sonne nur schemenhaft durchlässt und von einer Schülerin als permanente Explosion bezeichnet wird, charakterisiert auch gut Viktors Stimmungsschwankungen. Der zunehmend zynische, sich selbst als überflüssigen Menschen bezeichnende Viktor erkennt erst auf einer Klassenfahrt mit Raftingtour auf der Kama, die fast in einem Drama endet, wieder den Blick für das eigentlich Wesentliche in seinem Leben.

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Geograf Globus Propil (Der Geograf, der den Globus austrank) von Aleksandr Veledinsky - Foto (c) FFC

Aleksandr Veledinskys wunderbareTragikomödie konnte aber schließlich nicht wie vermutet den Publikumspreis, dafür aber überraschender Weise den Hauptpreis, die gläserne Lubina, mit nach Hause nehmen. Der Regisseur weilte leider nicht in Cottbus, so dass die Lubina für den besten Spielfilm von Olga Vostretsowa, der ehemaligen Programmkoordinatorin des Goethe Instituts Moskau, entgegengenommen wurde. Der Wettbewerbs-Jury imponierte an dieser "Geschichte um einen modernen, russischen Heiligen" auf der Suche nach dem Glück vor allem die vorzügliche Beherrschung des Handwerks und seine große Verspieltheit. Was in dieser Kombination tatsächlich preiswürdig sein dürfte. Der Film lief ebenfalls schon recht erfolgreich auf den Festivals in Sotchi und Odessa und wird am 27. November im Kino International die 9. Russische Filmwoche in Berlin eröffnen.

Zuvor hatte der Eröffnungsfilm des Festivals Lauf, Junge, lauf von Regisseur Pepe Danquart den Publikumspreis eingeheimst. Die deutsch-französische Koproduktion beruht auf dem gleichnamigen Bestseller von Uri Orlev, der 2004 die Erlebnisse des heute in Israel lebenden Yoram Friedmann während der Jahre 1942-1945 im besetzten Polen aufgeschrieben hatte. Als Neunjähriger war Friedmann aus dem Warschauer Ghetto geflohen und versuchte, indem er sich als polnische Waise ausgab, in den Wäldern und unter polnischen Bauern den Zweiten Weltkrieg zu überleben. Jurek, wie sich der jüdische Junge Srulik in Orlevs Roman nennt, wird im Film von den polnischen Zwillingen Andrej & Kamil Tkacz verkörpert. Bei seiner Flucht vor der SS und deutschen Wehrmacht durch das katholisch geprägte, ländliche Polen erfährt Jurek Nächstenliebe und Hilfe, wie auch Gewalt und Verrat. Pepe Danquart setzt auf starke, emotionale Bilder, versucht aber weitestgehend großformatigen Hollywood-Kitsch zu vermeiden. Der Film kommt im April 2014 in die deutschen Kinos.

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Lauf, Junge, lauf von Pepe Danquart - Foto (c) FFC

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Die Themen und Genres der Wettbewerbsfilme waren in diesem Jahr sehr vielschichtig und breit gefächert, was die Entscheidung sicher nicht gerade leicht gemacht haben dürfte. Bis zum Ende hatte sich kein wirklicher Favorit auf die Hauptpreise herauskristallisiert. Die recht jung besetzte Jury streute die Preise trotz allem scheinbar recht zielsicher. Das Votum fiel eindeutig zu Gunsten künstlerisch und handwerklich herausragender Leistungen aus und nicht (wie sonst öfter) für besonders sozialkritische Projekte oder mutige Low-Budget-Produktionen. Eine solche dürfte auch die rumänisch-moldawische Koproduktion La Limita de jos a cerului (Der untere Rand des Himmels) von Igor Cobileanski sein. Ohne rumänische Hilfe hätte dieser Film sicher nicht entstehen können. Eine in ruhigen Bildern gezeichnete Geschichte über die Schwierigkeiten junger Menschen in der moldawischen Provinz, die in wenig aussichtsreicher Position ihren Platz im Leben finden müssen, ohne dabei ihre moralische Integrität aufzugeben oder sich selbst untreu zu werden. Hier hatte zumindest die Jury der Fédération Internationale de la Presse Cinématographique ein Einsehen und verlieh dem Film den FIPRESCI Preis der Filmkritik.

Den Preis für eine herausragende Darstellerin erhielt Michaela Bendulová für ihre Rolle der 15-jährigen Ela in der slowakisch-tschechischen Koproduktion Zázrak (Wunder) vom slowakischen Regisseur Juraj Lehotskýs. Ela wird von ihrer Mutter, die nicht mit ihr fertig wird, einfach in ein Kinderheim abgeschoben. Das Mädchen versucht immer wieder zu fliehen, um ihren Freund Roby zu suchen. Ihr Traum ist es in England als Friseurin zu arbeiten. Roby ist drogensüchtig und hat Schulden bei zwielichtigen Typen, die nun ihr Geld eintreiben wollen. Um Roby zu helfen, lässt sich Ela für ihre Liebe ohne lange nachzudenken auf eine gefährliche Sache ein. Die Rollen der Jugendlichen im Film sind ausschließlich mit Laiendarstellern besetzt, von denen sich Michaela Bendulová als Ela mit ihrer eindrücklichen Spielweise besonders hervortut. Ein starker Film, der durchaus mehr verdient hätte.

Ähnliches lässt sich sicher auch über den slowenisch-kroatischen Wettbewerbsfilm Chefurs raus! von Regisseur Goran Vojnović sagen, der eine Gruppe Jugendlicher in einer Plattenbausiedlung am Rande Ljubljanas porträtiert. Aber nicht der anwesende junge Hauptdarsteller Benjamin Kretić erhielt den Preis für einen herausragenden Darsteller, sondern der bosnische Schauspieler Emir Hadžihafizbegović für seine ungeheure Präsenz in der Nebenrolle als dessen Vater Radovan.

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Der Spezialpreis der Wettbewerbsjury für die beste Regie ging etwas überraschend an das künstlerische Multitalent Yury Bykov für dessen Film Major, dem zweiten russischen Beitrag im Wettbewerb. Bykov zeichnet neben der Regie auch für Drehbuch, Schnitt sowie die Musik verantwortlich und spielt eine der Hauptrollen. Das allein scheint aber nicht ausschlaggebend für diese Entscheidung gewesen zu sein. Der vom zweifachen Cottbus-Preisträger Alexey Uchitel (Der Spaziergang / Gefangen) produzierte Film will mit einfachen, schlagenden Mitteln überzeugen. Bykows Thema ist die latent im Menschen lauernde Gewaltbereitschaft, die in Extremsituationen urplötzlich und ungebremst zum Ausbruch kommen kann. In Major ist es ein ganzer, organisierter Mechanismus aus Gewalt, Angst und hierarchischem Korpsgeist unter Polizisten.

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Major von Yury Bykov - Foto (c) FFC

Polizeimajor Sobolev ist auf spiegelglatter Straße irgendwo in der russischen Provinz auf dem Weg zur Entbindung seiner Frau. Er verursacht einen Autounfall, bei dem ein Kind getötet wird. Das soll nun mit allen Mitteln vertuscht werden. Die Mutter wird brutal eingeschüchtert und gezwungen eine falsche Aussage zu unterschreiben. Nachdem ihr Mann mit einer Schusswaffe in die Polizeistation eindringt, eskaliert die Gewalt. Schließlich geht es, um Zeugen zu beseitigen, auch unter den Polizisten jeder gegen jeden. Regisseur Bykow zielt hier aber nicht, wie vielleicht nahe liegend, auf die gegenwärtigen politischen Zustände in der russischen Gesellschaft, sondern inszeniert ein spannendes, nahezu perfektes Actiondrama über die Bereitschaft von Menschen, für die Durchsetzung eigener Ziele auch Gewalt anzuwenden. Darüber kann man durchaus geteilter Meinung sein, was die etwas kritische Haltung des Publikums beim Gespräch mit dem anwesenden Koproduzenten nach der Präsentation des Films belegt. Diskussionswürdig ist das Thema aber allemal.

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siehe auch Berichte auf Kutura-Extra:

http://www.kultura-extra.de/film/veranstaltung/23cottbuserfilmfestival_ersteeindruecke.php

http://www.kultura-extra.de/film/veranstaltung/23cottbuserfilmfestival_preistraeger.php

23. FilmFestival Cottbus

Festival des osteuropäischen Films

5.-10. November 2013

Webseite: http://www.filmfestivalcottbus.de/de/home/

Liste aller Preisträger: http://www.filmfestivalcottbus.de/usr_files/463_Liste_Preistr%C3%A4ger-2013.pdf

Das 24. FilmFestival Cottbus findet vom 4. bis 9. November 2014 statt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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