ENDE im Berliner HAU3

Bühne Das Performance-Kollektiv "She She Pop" denkt über das richtige Schlussmachen nach

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Ende von She She Pop am HAU 3 - Foto: Benjamin Krieg

Was geschieht eigentlich mit den ganzen Dingen, die ein Performancekollektiv so bei der angestrengten Probenarbeit anhäuft, begutachtet, sortiert, wieder verwirft? Kreativmüll sozusagen. Wird das noch gebraucht, oder kann das weg? Die Probenzeit ist mit dem heutigen Tag beendet, konstatiert Mieke Matzke von der Gruppe She She Pop. Aber irgendwie scheinen die vier Performer mit ihrer Arbeit nicht ganz fertig geworden zu sein. Überall auf dem Bühnenboden verstreut liegen diese Dinge, nebst einigen blauen Müllsäcken, die besonders Mieke Matzke Angst bereiten. Die Angst nicht fertig zu werden, nicht zum Ende zu kommen. Dabei hatte das Ganze noch gar nicht richtig angefangen.

Dunkel ist es nämlich zu Beginn der Performance Ende im HAU 3. Und wir hören die ersten Worte vom Anfang und Ende, von der Schöpfung der Welt aus der Ursuppe, herumfliegendem Weltraummüll und dem Problem etwas Unfertiges, Ungelöstes aus dem Tag mit in die Nacht zu nehmen. Denn davon handelt die Performance, vom Willen, das einmal Begonnene zu Ende zu bringen.

Nach und nach beginnt sich das Auge an die Dunkelheit zu gewöhnen, bis es hell geblendet den ersten Tag der She She Pop'schen Schöpfungsgeschichte erblicken darf. Kreationday one. Und da liegt sie dann, die Ursuppe aus aufgehäuften Utensilien, wie Gaffer Tape, Äpfel, Orangen, Post-its, rote Menstruationsfäden, Wasserflaschen und natürlich eine Bibel. Auf einer aufgeklappten Kreisscheibe, die am Rand mit den Albumtiteln der Bat Out Of Hell-LP von Meat Loaf verziert ist. Die Welt als crazy Rock-Scheibe in der kreativen Schöpfungs- und Vorstellungskraft der Performer.

Diese Welt teilt sich in Adam und Eva, die himmlischen Heerscharen und selbstredend Gott, der das ganze Kuddelmuddel verbockt hat. Jeder übernimmt seine Rolle, wobei zuerst das Problem der Nacktheit zu Gunsten hautfarbener Kostüme geklärt wird. Nur die himmlischen Heerscharen bekommen etwas mehr Farbe ab und die vielleicht undankbarste Aufgabe. Lisa Lucassen, einst jugendliches Opfer der Geschmacksverirrungen ihres Bruders, und heute eigentlich eher cool und modebewusst, schmettert mal zart, mal inbrünstig den „Soundtrack ihres Lebens“, den sie hier nun öffentlich durch Absingen des ganzen Albums exorzieren will. You Took The Words Right Out Of My Mouth. Direkt raus aus der Hölle. Und da ist sie wirklich nicht zu beneiden, denn was sich dieser durchgedrehte Hackbraten da in den 70ern so zusammengesungen hat, passt heute auf keine politisch korrekte Kuhhaut mehr.

Sieben Songs und sieben Tage in nur 90 Minuten, da bleibt nicht viel Zeit für überflüssige Details. Aber ob hier etwas Kunst ist oder in den blauen Müllsack gehört, überlässt man dann doch lieber nicht der Putzfrau. Die Performer nehmen sich nun selbst nochmal die allegorisch belegten Dinge eines nach dem anderen vor. Und Mieke Matze ordnet sie akribisch wie Gott auf der Weltenscheibe an. Muss aber erkennen, dass die Arbeit nie getan ist, immer noch was kommt und immer noch eine Frage zu klären bleibt.

Schluss soll also gemacht werden. Zum Beispiel mit den Vorurteilen über Frauen. Ilia Papatheodorou als Eva beklebt sich mit Orangenhaut und stopft sich hinten und vorne aus, ihre weibliche Zuschreibung grotesk betonend. Was erwartet man von Frauen, wie werden sie gesehen und sehen sich selbst? Papatheodorou performt es auf Äpfeln laufend, Prosecco einschenkend und Frauenwitze erzählend. Sie gibt lächelnd Konversationstipps und streicht ein Klischee nach dem anderen von der Welttafel.

Sebastian Bark dagegen trägt als Adam, oder besser vielleicht doch lieber nur Mensch, das Lebenslicht und versucht sich sonst in der Eigenbeschränkung. Das geschieht rein körperlich in Form von Tape, Schnüren und einem Mülleimer. Denn: „Ende ist, wenn nichts mehr geht.“ Das hindert Bark aber nicht daran, noch die Geschichte seines immer zu kurz gekommenen Cousins vorzutragen. Im übertragenen Sinne ein Beispiel für das Verschließen der Sinne als Ende aller Fantasie, die selbst gewählte und von anderen zugeschriebene Rolle, in der man gefangen ist. Und sei es eine Ehe, die alles beendet. Meat Loaf/Lisa röhrt dazu: „I'm praying for the end of time that's all that I can do uhhh.. uhh...”

Wie immer bei She She Pop sind das alles ganz persönliche Erfahrungen und Geschichten, die hier auf Dauer aber doch etwas zu nebulös aus der performativen Ursuppe wabern. Nun ist es ja Gott sei Dank nicht Aufgabe des Kritikers, die unfertig herumliegenden Gedankenenden eines Performers zu ordnen. Lustige Anregungen zum Weiterdenken lassen sich in den zum Ende hin wieder zusammengeschobenen Weltenraumbruchstückchen aber allemal finden. Man muss sie nur aufnehmen und ganz entspannt weiter darüber nachdenken. Heaven Can Wait.

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Zurerst am 9.10.13 auf Kultura-Extra erschienen.

www.blog.theater-nachtgedanken.de

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ENDE
Konzept: She She Pop
Von und mit: Sebastian Bark, Fanni Halmburger, Lisa Lucassen, Mieke Matzke und Ilia Papatheodorou
Bühne und Kostüme: Sandra Fox und SSP
Choreographische Beratung: Minako Seki
Musikalische Beratung: Max Knoth
Premiere war am 8. Oktober 2013 im HAU3
Eine Koproduktion von She She Pop, HAU Hebbel am Ufer und Forum Freies Theater Düsseldorf

Weitere Infos: http://www.sheshepop.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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