Am Maxim Gorki Theater sind seit Neuestem Rechercheprojekte und gemeinsame Stückentwicklungen in Mode gekommen. Nach Falk Richters Small Town Boy und Yael Ronens Common Ground nun also Woyzeck III – Magic Murder Mystery. „Wie viel Woyzeck braucht der Mensch?“ fragen das Ensemble und Regisseur Mirko Borscht in ihrer gemeinsamen Arbeit frei nach Georg Büchner.Eine Frage, die man durchaus auch ganz ketzerisch in „Wie viele Woyzecks verkraftet ein Theaterabend?“ abwandeln könnte. Ausgehend von Büchners Dramen-Fragment um den einfachen Soldaten Franz Woyzeck, der, getrieben durch innere Stimmen und eine ihn quälende Umwelt, aus Eifersucht seine Geliebte Marie ersticht, soll hier verhandelt werden, was genau einen denn da so umtreibt. Ein Blick in den Abgrund des Menschen, zwischen Liebe und Hass, Leben und Tod. „Es schwindelt einen, wenn man hinabsieht.“ - wie es bei Büchner heißt. Oder besser noch: „Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt?”
Herausgekommen ist ein düster-magischer Abend, der um das Morden in all seine Facetten kreist. Das Töten aus Gier, Eifersucht, Hass oder Leidenschaft, es wird hier in losen aneinander gereihten Spielszenen von den fünf Darstellern Tamer Arslan, Mareike Beykirch, Friederike Bernhardt, Dimitrij Schaad, Falilou Seck und Till Wonka immer wieder recht plastisch vorgeführt. Es beginnt aber mit einer sehr interessanten, wenn auch etwas fantastisch anmutenden Fassung der Urschöpfung. Falilou Seck trägt den Bericht zur melancholisch-klassischen Klaviermusik der Musikerin Friederike Bernhardt vor. Es geht um die Wandlung des unendlichen Lichts zum Universum, die Entstehung Gotts aus einer Träne, die Schaffung der Welt, des Menschen und des ersten für Gott begangenen Mords. Was darin mündet, dass sich der Mensch fortan in Schmerz in seine Urform der Unschuld zurücksehnt und darum weiter mordet. Auf einer Videoleinwand ist der Rückraum der Bühne zu sehen, auf der Till Wonka Leichenpuppen in einem Totem-Kreis drapiert und gelegentlich mit der Axt bearbeitet. Dazu stößt er Laute und Kommentare aus, die den ersten Woyzeck-Darsteller Tamer Arslan zur Tat treiben sollen.
Dem mit einer Langhaarperücke ausgestattetem Zauderer redet Dimitrij Schad als diabolischer Demagoge alle möglichen Gründe für eine Ermordung seiner Frau ein. Mareike Beykirch gibt erst eine Frauenleiche und dann wohl eine recht resolute Marie, die ihren Woyzeck ebenfalls provoziert und wohl an die auch auf dem Programmzettel angegebene Schriftstellerin und Radikalfeministin Valerie Solanas, die durch ihr SCUM-Manifest und Schüsse auf den Popart-Künstler Andy Warhol für Aufsehen sorgte, angelehnt ist. Ansonsten ist eine Rollenaufteilung schlecht auszumachen. Man bewegt sich recht frei eines zwingenden Regiekonzepts zu orgelnden Elektroklängen und flimmernden Videos über die Bühne, und der Zuschauer hat dabei schon etwas Mühe den Faden nicht zu verlieren. Faliou Seck rezitiert im Bühnenhintergrund düstere Verse und es laufen Geschichten ab, die von echten Mördern wie dem als Unabomber bekanntgewordenen US-Amerikaners Ted Kaczynski oder dem britischen Massenmörder Dennis Nilsen inspiriert sein könnten.
Danach zerfließt das Ganze immer mehr in Kunstnebel, Kunstanstrengung und visueller wie textlicher Beliebigkeit. Man schaut wie in eine sich drehende Dreamachine von Brion Gysin, bis es einem vorm Auge zu flimmert beginnt. Allerdings ohne wirklichen visionellen Zugewinn. Die Inszenierung wiederholt und erschöpft sich schließlich in einer symptomatischen Feststellung, dass jeder Ausweg gleich enttäuschend und sinnlos sei. Etwas versöhnlich aber auch unbefriedigend dann das Schlussbild mit einem sich im wahrsten Sinn des Wortes zusammenraufenden Paar. Liebe als Ausweg? Dem stünde dann nur noch der so schuldbeladene Mensch selbst im Weg.
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Zuerst erschienen am 06.03.2014 auf Kultura-Extra.
Woyzeck III – Magic Murder Mystery
frei nach Georg Büchner von Mirko Borscht und Ensemble
Premiere: 04.04.2014 am Maxim Gorki Theater
Regie: Mirko Borscht, Bühne: Christian Beck, Kostüme: Elke von Sivers, Musik: Friederike Bernhardt, Video: Hannes Hesse, Dramaturgie: Holger Kuhla, Mit: Tamer Arslan, Mareike Beykirch, Friederike Bernhardt, Dimitrij Schaad, Falilou Seck und Till Wonka
Weitere Infos: http://www.gorki.de/spielplan/woyzeck-iii/743/
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