Woyzeck III – Magic Murder Mystery

Premierenkritik Das Stück frei nach Georg Büchner von Mirko Borscht und Ensemble am Maxim Gorki Theater überzeugt in seiner Überfülle an bedeutungsschwangerer Düsternis nicht ganz

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Am Maxim Gorki Theater sind seit Neuestem Rechercheprojekte und gemeinsame Stückentwicklungen in Mode gekommen. Nach Falk Richters Small Town Boy und Yael Ronens Common Ground nun also Woyzeck III – Magic Murder Mystery. „Wie viel Woyzeck braucht der Mensch?“ fragen das Ensemble und Regisseur Mirko Borscht in ihrer gemeinsamen Arbeit frei nach Georg Büchner.Eine Frage, die man durchaus auch ganz ketzerisch in „Wie viele Woyzecks verkraftet ein Theaterabend?“ abwandeln könnte. Ausgehend von Büchners Dramen-Fragment um den einfachen Soldaten Franz Woyzeck, der, getrieben durch innere Stimmen und eine ihn quälende Umwelt, aus Eifersucht seine Geliebte Marie ersticht, soll hier verhandelt werden, was genau einen denn da so umtreibt. Ein Blick in den Abgrund des Menschen, zwischen Liebe und Hass, Leben und Tod. „Es schwindelt einen, wenn man hinabsieht.“ - wie es bei Büchner heißt. Oder besser noch: „Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt?”

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Maxim Gorki Theater, Foto (c) Esra Rotthoff

Regisseur Mirko Borscht kommt vom Film. Mit Combat Sechszehn, einem Film über das Abdriften eines Jugendlichen in die rechtsextreme Szene, hatte er 2005 einen ersten größeren Kinoerfolg. Borscht greift in seinen Theater- und Kinoarbeiten immer wieder Extreme und Abgründiges in der Gesellschaft auf. Es scheint ihn wie magisch anzuziehen. Bühnen-Adaptionen von Werken der Schriftsteller Wladimir Sorokin und Matias Faldbakken zeugen ebenfalls von dieser Obsession. Die beiden bilden auch den Grundstock der Inspiration für das nun aufgeführte Theater-Projekt, das mit Texten von Clemens J. Setz, Julian Jaynes, dem Ensemblemitglied Dimitrij Schad und einem weiteren Extremisten der deutschen Underground-Literatur, Jörg Fauser, aufwartet.

Fausers Kriminalromane und seine eigene Biografie sind mit Sicherheit eine Fundgrube des Abstrusen. Durch die amerikanischen Beatpoeten beeinflusst, griff Fauser zur Cut-up-Methode und unter Drogen auch mal gedanklich zur Pistole, was uns zu William S. Burroughs führt, dem Vater der Beatniks, der versehentlich seine Frau erschoss und dessen Roman Naked Lunch auch mal kurz in Borschts Woyzeck-Projekt auftaucht. Hier wahrscheinlich aber eher in der Kino-Fassung von David Cronenberg, den Borscht zwar nicht in seinen Quellenangaben aufführt, der aber mit seinen zahlreichen Horror- und Science-Fiction-Streifen durchaus Pate für diese Inszenierung gestanden haben könnte. Orientiert hat man sich hier laut Angabe am französischen Dokumentar- und Experimentalfilmer Philippe Grandrieux, dem US-Regisseur Abel Ferrara und dem US-Drehbuchautoren Nic Pizzolatto. Da hängt Borscht die textliche und visuelle Messlatte natürlich ziemlich hoch.

Dem Urheberecht ist das Team jedenfalls ganz geschickt und durchaus künstlerisch ambitioniert aus dem Weg gegangen. Wie Burroughs und Fauser bedient man sich ebenfalls einer Art des Cut-ups, zerschnipselt das vorliegende Text- und Bildmaterial und puzzelt das Ganze zusätzlich beballert mit eigenen Überschreibungen als Collage wieder zusammen.

Herausgekommen ist ein düster-magischer Abend, der um das Morden in all seine Facetten kreist. Das Töten aus Gier, Eifersucht, Hass oder Leidenschaft, es wird hier in losen aneinander gereihten Spielszenen von den fünf Darstellern Tamer Arslan, Mareike Beykirch, Friederike Bernhardt, Dimitrij Schaad, Falilou Seck und Till Wonka immer wieder recht plastisch vorgeführt. Es beginnt aber mit einer sehr interessanten, wenn auch etwas fantastisch anmutenden Fassung der Urschöpfung. Falilou Seck trägt den Bericht zur melancholisch-klassischen Klaviermusik der Musikerin Friederike Bernhardt vor. Es geht um die Wandlung des unendlichen Lichts zum Universum, die Entstehung Gotts aus einer Träne, die Schaffung der Welt, des Menschen und des ersten für Gott begangenen Mords. Was darin mündet, dass sich der Mensch fortan in Schmerz in seine Urform der Unschuld zurücksehnt und darum weiter mordet. Auf einer Videoleinwand ist der Rückraum der Bühne zu sehen, auf der Till Wonka Leichenpuppen in einem Totem-Kreis drapiert und gelegentlich mit der Axt bearbeitet. Dazu stößt er Laute und Kommentare aus, die den ersten Woyzeck-Darsteller Tamer Arslan zur Tat treiben sollen.

Dem mit einer Langhaarperücke ausgestattetem Zauderer redet Dimitrij Schad als diabolischer Demagoge alle möglichen Gründe für eine Ermordung seiner Frau ein. Mareike Beykirch gibt erst eine Frauenleiche und dann wohl eine recht resolute Marie, die ihren Woyzeck ebenfalls provoziert und wohl an die auch auf dem Programmzettel angegebene Schriftstellerin und Radikalfeministin Valerie Solanas, die durch ihr SCUM-Manifest und Schüsse auf den Popart-Künstler Andy Warhol für Aufsehen sorgte, angelehnt ist. Ansonsten ist eine Rollenaufteilung schlecht auszumachen. Man bewegt sich recht frei eines zwingenden Regiekonzepts zu orgelnden Elektroklängen und flimmernden Videos über die Bühne, und der Zuschauer hat dabei schon etwas Mühe den Faden nicht zu verlieren. Faliou Seck rezitiert im Bühnenhintergrund düstere Verse und es laufen Geschichten ab, die von echten Mördern wie dem als Unabomber bekanntgewordenen US-Amerikaners Ted Kaczynski oder dem britischen Massenmörder Dennis Nilsen inspiriert sein könnten.

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Maxim Gorki Theater Berlin - Foto: St. Bock

Mirko Borscht lässt nichts unversucht, das Publikum mit visuellen Reizen zu überfordern und Mord als Ursache suchender, durch Schuld getriebener Wesen darzustellen. Dabei verliert die sichtlich an sich selbst besoffene Inszenierung irgendwann jegliches Gespür für ein Ziel, Zeit und einen tieferen Sinn. Der ist wohl angesichts des schweren Themas und gruftigen Settings auch nicht ernsthaft zu erwarten.

Als tatsächlicher Lichtblick der Inszenierung schält sich schließlich der im Mittelteil von Dimitrij Schad vorgetragene, selbst gestaltete Monolog nach den Theorien des US-amerikanischen Psychologen Julian Jaynes heraus. Hier ist die Rede von einer, noch in der Antike vorherrschenden, bikameralen Psyche des Menschen. Sie greift die bei schizophrenen Menschen auftretende Stimmenproblematik auf, und zeichnet, anhand der Heldensagen des Homer, den Menschen als von göttlichen Stimmen in seinem Gehirn fremdbestimmten Menschen. Erst später entwickelte sich durch soziale Gegebenheiten ein Bewusstsein, das diese Stimmen verdrängte. Die alten Götter schienen tot, und der Mensch erfand in Form von neuen Religionen die notwendigen moralischen Instanzen. Etwas, was durchaus diskussionswürdig wäre, aber sicherlich zeitlich eine Theatervorstellung sprengen dürfte.

Danach zerfließt das Ganze immer mehr in Kunstnebel, Kunstanstrengung und visueller wie textlicher Beliebigkeit. Man schaut wie in eine sich drehende Dreamachine von Brion Gysin, bis es einem vorm Auge zu flimmert beginnt. Allerdings ohne wirklichen visionellen Zugewinn. Die Inszenierung wiederholt und erschöpft sich schließlich in einer symptomatischen Feststellung, dass jeder Ausweg gleich enttäuschend und sinnlos sei. Etwas versöhnlich aber auch unbefriedigend dann das Schlussbild mit einem sich im wahrsten Sinn des Wortes zusammenraufenden Paar. Liebe als Ausweg? Dem stünde dann nur noch der so schuldbeladene Mensch selbst im Weg.

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Zuerst erschienen am 06.03.2014 auf Kultura-Extra.

Woyzeck III – Magic Murder Mystery

frei nach Georg Büchner von Mirko Borscht und Ensemble

Premiere: 04.04.2014 am Maxim Gorki Theater

Regie: Mirko Borscht, Bühne: Christian Beck, Kostüme: Elke von Sivers, Musik: Friederike Bernhardt, Video: Hannes Hesse, Dramaturgie: Holger Kuhla, Mit: Tamer Arslan, Mareike Beykirch, Friederike Bernhardt, Dimitrij Schaad, Falilou Seck und Till Wonka

Weitere Infos: http://www.gorki.de/spielplan/woyzeck-iii/743/

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Geschrieben von

Stefan Bock

freier Blogger im Bereich Kultur mit Interessengebiet Theater und Film; seit 2013 Veröffentlichung von Kritiken auf kultura-extra.de und livekritik.de

Stefan Bock

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