Punkrock, Marx und Panel

Die Linke Die Linkspartei ist bekannt für ihre - vorsichtig ausgedrückt - robuste Diskussionskultur. Der Kongress "Linke Woche der Zukunft" macht Hoffnung auf Besserung

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Punkrock, Marx und Panel

Foto: THOMAS WIECK/AFP/Getty Images

Linke Parteien lieben Manifeste. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass die beiden Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger gleich zu Beginn der Linken Woche der Zukunft (23.04. - 26.04.) das Manifest Die kommende Demokratie. Sozialismus 2.0 verlesen und verteilen lassen. Dabei stolpere ich über die vielen Adjektive, denn die Linkspartei liebt auch Adjektive. So stehen "gut" (Arbeit), "sozial-ökologisch" (Umbau), "wirklich/wahr" (Demokratie), "kostenfrei" (öffentlicher Nahverkehr, eher selten) in relativ festen Verbindungen. "Demokratisch", "solidarisch", "gerecht", "selbstbestimmt" lassen sich dagegen fast universell einsetzen. "Prekär" (Arbeit) und "autoritär" (Kapitalismus) bilden gemeinsam mit dem universellen "neoliberal" die düstere Gegenseite – ebenso wie die gern vorgetragenen Merkel-Zitate "alternativlos" und "markt-konform" (Demokratie).

Wenn man diese Lektion gelernt hat, wird man bald feststellen, dass vor allem die relativ festen Verbindungen nicht einfach so dahingeworfen wurden. Dahinter stecken Konzepte, die zumeist gut durchdacht sind. Sie sind oft Buchtiteln entnommen und repräsentieren eine soziale Bewegung, einen Arbeitskreis oder eine mühsam erarbeitete Kompromissformel der Gewerkschaften. Ein weiteres Beispiel für einen derartigen Kompromiss, diesmal innerparteilich: Die "sanktionsfreie Mindestsicherung" lässt sich unschwer als Platzhalter für das nicht mehrheitsfähige bedingungslose Grundeinkommen verstehen, zugleich aber auch als "Hartz IV ohne Sanktionen" lesen.

Adjektivgirlanden, Sozialismus 2.0?

Dort, wo es schwieriger wird und der Rechtfertigungsdruck steigt, muss auch der sprachliche Aufwand erhöht werden. Eine ganze Adjektivgirlande aus "frei", "grün", "feministisch" und "lustvoll" schmückt im Titel des Manifests den im politischen Mainstream eher mit der Farbe Grau assoziierten Sozialismus, dessen Version 2.0 mit Syriza nun immerhin wieder als Gespenst in Europa umgeht. Ich ertappe mich dabei, dass in mir bei dem Wort "lustvoll" eine diffuse Unlust aufsteigt, denn Textwüste bleibt Textwüste.

Nicht die Verhältnisse, sondern die Begriffe beginnen in meinem Kopf zu tanzen. Ich wende mich daher an meinen Nachbarn, mit dem ich leicht ins Gespräch komme: Bahner in blauer DB-Uniform, denn er muss gleich seinen Dienst antreten. Zudem ist er Gewerkschaftsmitglied und war vor 1989 in der SED. Schnell kommt er zu seinem Lieblingsthema, dem bereits von Lenin – nicht auch von Trotzki? Den erwähnt er aber nicht – bekämpften, aber weit verbreiteten Karrierismus unter Parteifunktionären. 2,2 Millionen SED-Mitglieder am Ende der DDR, die meisten von ihnen ohne jeglichen Idealismus: Das konnte ja nichts werden. Er ist Mitglied der Kommunistischen Plattform und junge Welt-Leser, das neue deutschland ist ihm "zu verwaschen". Obwohl ich auch gelegentlich und gern die junge Welt lese, traue ich mich nicht, ihn nach seinem Namen zu fragen.

Rhetorischer Zangenangriff

Doch dann kommt Hans-Jürgen "Hansi" Urban von der IG Metall (Mitglied des geschäftsführenden Vorstands) dran. Klare Kante, der Mann. Er referiert über die Entpolitisierung und Technikfixierung in den deutschen Gewerkschaften und die erfolgreiche Mobilisierung gesellschaftlichen Protests in Südeuropa. Man nimmt ihm ab, dass der Ausstieg aus der kohlenstoffbasierten Wirtschaft in der IG Metall wohl nicht so einfach durchgewinkt wird.

Getreu der Trennung von Basis und Überbau kümmert sich sich nach Urbans "harten" Themen des gewerkschaftlichen Kampfes Volker Lösch (Theaterregisseur) um die "weichen" Themen der Ideologiebildung. In seinen Inszenierungsvorarbeiten, in denen er ganz in brechtischer Tradition das Bewusstsein unterschiedlichster sozialer Milieus erkundete (etwa der berühmte Chor der Arbeitslosen in der Dresdner Inszenierung von Hauptmanns Webern), stieß er auf eine "Gesellschaft der Angst", den "frustierten Rückzug ins Private" und eine "Verinnerlichung des Neoliberalismus". So weit, so schlimm. Aber auch die Linkspartei bleibt nicht ungeschoren. Ihr "kultureller Habitus" sei dringend zu verändern, denn derzeit sei sie ästhetisch zu wenig von den anderen Parteien unterscheidbar, kurzum: unsexy. Starker Applaus, denn Die Linke liebt es, wenn ihr ein_e Künstler_in oder ein_e Intellektuell_er mal ordentlich die Leviten liest, aber ansonsten mit ihren Zielen d'accord ist.

Am Sonntag, am Ende des Kongresses, übernahm die Bloggerin Anne Roth diese Rolle. In einer Twitter-Umfrage zur Außenwirkung der Linken bekam sie unter anderem folgende Antwort: "Die Linke hat ihren Punkrock verloren. Früher war mehr Lametta." Machen wir uns also auf die Suche nach dem Punkrock!

"Mosaiklinke" - mit Gesicht

Pause. Ich komme mit Sebastian aus Frankfurt ins Gespräch. Er ist Mitte 20 und leitet einen Lesekreis, der sich um den deutschen Ableger der Zeitschrift "Platypus Review" formiert. Sebastian, der eine Ausbildung zum Krankenpfleger absolviert, hat weder Soziologie, Politik oder Jura – die gängige Fächerwahl des stark akademisch geprägten Parteinachwuchses – studiert. Ihm liegt vor allem daran, aus den Ursachen des Scheiterns der historischen linken Bewegungen zu lernen. Darüber, dass die Linke heute zunehmend marginalisiert ist, macht er sich keine Illusionen. Das Schnabeltier – so der deutsche Titel der Zeitschrift – ist als Eier legendes Säugetier der Inbegriff eines lebenden Fossils. Starker Tobak für eine linke Selbstpositionierung.

Ganz anders dagegen Janine, IG-Metallerin mit dem Schwerpunkt gewerkschaftliche Bildungsarbeit. Ihr Thema ist die "Zukunft der Arbeit/Arbeit der Zukunft". Obwohl viele ihrer Kolleg_innen in der Gewerkschaft aufgrund einer traditionell gewachsenen Bindung zur SPD ein "gebrochenes Verhältnis" zur Partei Die Linke haben, ist sie davon überzeugt, dass man linke Politik in Seminaren "genau so sexy rüberbringen kann wie ein geschäftsführendes Vorstandsmitglied" (Hans-Jürgen Urban). Den Marxismus hält sie für "zentral und unverzichtbar". Dem würde wohl auch Sebastian zustimmen.

Es sind die verschiedenen Biographien, Projekte und Lebensentwürfe, die dem Strategie-Begriff der "Mosaiklinken" ein Profil geben. Malte Pannemann (SDS Jena, Panel zur Unipolitik) fügt diesem Ensemble die kritische Studierendenschaft hinzu. Drastisch schildert er die freiwillige Unterordnung der Studierenden unter ein sowohl paternalistisches (Lehrstuhlstruktur) als auch verwertungsorientiertes ("Output") Unisystem. "Feindliche Konkurrenz" und wenig, höchstens für das Lebenslaufdesign "simuliertes" soziales Engagemrent und fast gar kein selbstorganisiertes Lernen in Form von Lesekreisen bilden den tristen Alltag der Studierenden unter den Bedingungen eines immensen Leistungsdrucks.

Flügelkämpfe

Gekracht hat es natürlich – was wäre die unter so schwierigen Umständen entstandene Partei ohne ihre Flügelkämpfe? – auch. So im Panel zum sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft. Offenbar ist trotz Naomi Kleins Bestseller Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima das Ökologiethema ein Sorgenkind der Linken. Es könnte aber noch von großer Bedeutung werden, denn das vom Partei übergreifenden Institut Solidarische Moderne (ISM) forcierte Thema zielt auf die strategische Option einer "R2G" (rot-rot-grüne Koalition). Seine Grenzen hat es dort, wo den Gewerkschaften (auf dem Podium vertreten durch Norbert Reuter von ver.di) aus dem Publikum "erbärmliche [Partikular]interessen" unterstellt werden. Es ist schlicht eine Überforderung, in diesem Bereich von IG Metall oder IG BCE eine avantgardistische Rolle zu verlangen. Die "Pioniere des Wandels" lassen sich bis auf weiteres wohl eher in den urban-hedonistischen Milieus, der klassischen Zielgruppe der Grünen, finden.

Ebenfalls kontrovers ging es im Blockupy-Panel zu, in dem Thomas Seibert (Interventionistische Linke, IL) und Werner Rätz (attac) so heftig aneinander gerieten, dass die Parteivorsitzende Kipping einschreiten musste. Rätz warf der IL eine "Instrumentalisierung" des gemeinsamen Bündnisses vor, weil ihre "eskalierende Strategie" den gemeinsam beschlossenen Konsens ("Wir tun, was wir sagen. Wir sagen, was wir tun.") einseitig aufgekündigt habe. Immerhin war man sich einig, in einer gemeinsamen Aktion Solidarität mit Syriza zu zeigen.

Neben Syriza war das Themenfeld Commons - Share Economy - digitale Revolution unbestritten das "sexiest" Thema. Es ist nicht zuletzt für die Außen- und Medienwirkung der Partei gut, dass sich Netzaktivist_innen wie Anke Domscheit-Berg, Christian Fuchs oder Julia Schramm der Linkspartei zuwenden und es ist auch nicht weiter schlimm, dass das Thema Netzpolitik erst ganz allmählich zu einem relevanten Feld linker Politik wird. Utopisches Potential hat es ja allemal.

Ansätze einer linken Migrationspolitik

Unverzeihlich ist es aber, dass auf einem so zentralen Feld wie der Migrationspolitik bisher kein genuin linker Ansatz vorliegt (Manuela Bojadzijev, Soziologin). Hier bleibt der gesamten Linken oft nur der Verweis auf den bösen Kapitalismus und Imperalismus, der die Flüchtlinge dazu zwinge, sich gegen ihren Willen auf den Weg nach Europa zu machen. "Vielfalt", "Integration" und "Toleranz" als die Worthülsen eines schlechten Gewissens. Einen ersten Ansatz bildet Bojadzijevs Vorschlag, den oft Jahre dauernden Migrationsprozess als logistische Herausforderung zu betrachten, die es effizient zu lösen gilt. Selbstverständlich für emanzipatorische Politik sind dagegen Forderungen nach der Teilhabe an bürgerlichen Rechten (Personenfreizügigkeit, kommunales Wahlrecht, Arbeitsrecht).

Doch die Frage, was das alles für die deutsche Mehrheitsgesellschaft heißt, bleibt seltsam unterbelichtet. Multikulti ist fast ohne Einspruch staatsoffiziell für tot erklärt worden und eine Reflexion über kulturelle Unterschiede – nennen wir sie besser "Alterität" – , fällt bei Linken sofort unter Rassismusverdacht. Dies ist besonders misslich, weil damit die gesellschafttliche Linke den Rechtspopulisten das kulturelle Feld kampflos überlässt.

Ein Plädoyer für den Linkspopulismus

Niemand hat das so gut verstanden wie Chantal Mouffe, die einen linken Populismus fordert, der Gefühle und Leidenschaften aus dem politischen Prozess nicht ausklammert, sondern in einem agonistischen Modell des Kampfes um Hegemonie zur Grundlage der Demokratie macht. Der rechten Mobilisierung des Hasses gilt es eine linke Version des Populismus entgegenzusetzen, die nicht Ausgrenzung von Minderheiten (Immigrant_innen), sondern den gemeinsamen Kampf gegen kapitalistische Ausbeutung und die negativen Folgen der Globalisierung zum Ziel hat.

Leider kam Mouffes' wichtiger Vortrag zu einem Zeitpunkt, als sich beim aufmerksamen Zuhörer – auch beim Autor dieses Artikels – schon eine gewisse Ermüdung, gar Zeichen der Überforderungen einzustellen begannen. Zu überdenken wäre nämlich, ob bei über 80 Veranstaltungen die Aneinanderreihung von Podiumsdiskussionen mit ihrem stereotypen Zeitregime und der damit verbundenen Tendenz zu Kurzreferaten (je 15 Minuten für 3 bis 4 Referenten) die gewünschte "Laboratmosphäre" geschaffen hat. Die gesellschaftliche Linke kennt partizipativere Formen, auf die sich auch die Partei einlassen sollte.

Was tun?

Wie weiter nach dem Zukunftskongress? Alex Demirović (Professor für Gesellschaftswissenschaften an der Uni Frankfurt) hat es in seinem Schlussplädoyer auf den Punkt gebracht: Es geht um eine "Koordinierung der verschiedenen Wege" und deren Transformation in ein "Allgemeines der Emanzipation". Aber wer soll diese Koordinierung übernehmen? Ist die Partei mehr als ein Steinchen im bunten Mosaik der Linken? Könnte sie die dringend benötigte moderierende Funktion übernehmen? Der Kongress und das Manifest weisen in diese Richtung. Das wird nicht immer Punkrock oder sexy sein, sondern ein langer, oft schmerzhafter Prozess.

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