Das Denken in der Reuse

Individualdemokratie Eine Widerlegung der vier gängigsten Annahmen über den Rechtspopulismus und seine Anhänger

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Nach eigener Aussage kein Rechtspopulist: Bernd Lucke
Nach eigener Aussage kein Rechtspopulist: Bernd Lucke

Foto: Sean Gallup/Getty Images

http://stefanhetzel.files.wordpress.com/2014/06/reuse.jpg?w=150Der geschätzte Sozialpsychologe Thomas Grüter machte vor einigen Tagen in seinem empfehlenswerten Blog "Gedankenwerkstatt" vier der gängigsten Annahmen über rechtspopulistische Bewegungen in überzeugender Weise den Garaus. Seine Gedanken möchte ich in der Folge, angereichert durch ein paar eigene Überlegungen, in eigenen Worten wiedergeben:

  1. "Wähler von Rechtspopulisten unterstützen deren Forderungen." - Falsch. Wähler rechtspopulistischer Parteien akzeptieren in der Regel lediglich die Feindbilder dieser Gruppierungen. Mit deren viel weitergehenden Forderungen (z. B. Einführung der Todesstrafe, Zerschlagung der EU, Kriminalisierung von Homosexualität etc.) haben sie sich oft gar nicht beschäftigt. Konfrontiert man sie mit diesen, sind sie oft sehr überrascht ("Das wusste ich nicht!" etc.).
  2. "Ein Nachgeben bei einigen Forderungen wird den Rechtspopulisten früher oder später schon den Wind aus den Segeln nehmen." - Falsch. Teilweises Nachgeben bestätigt rechtspopulistische Bewegungen in ihrem Feindbild ("Sehen Sie, wir haben ja doch recht gehabt, jetzt geben Sie es ja selbst zu.") und zwingt sie darüber hinaus dazu, sich noch weiter zu radikalisieren, schon um ihr Gesicht nicht zu verlieren.
  3. "Rechtspopulisten verschwinden irgendwann von selbst, wenn man sie nur lange genug ignoriert." - Falsch. Rechtspopulistische Bewegungen entstehen nicht zufällig, sondern sind immer Folge bereits länger andauernder sozialer Probleme. Wer also den Rechtspopulismus als gesellschaftliches Problem sieht und beseitigen will, verwechselt Ursache und Wirkung.
  4. "Bindet man Rechtspopulisten in politische Verantwortung ein, wird sie das von selbst erledigen, da sie keine wirkliche Lösung für die Probleme haben, die sie anprangern." - Falsch. Der Rechtspopulist pflegt seine Feindbilder, egal, auf welchem Posten er gerade sitzt. Scheitert er in der Realpolitik, wird er die Ursache dafür so lange bei seinen Gegnern suchen, bis er sie "gefunden" hat, was dann wiederum seinen Hass gegen das "Establishment" befeuert usw. Sollte er "Erfolg" mit seinen "Lösungen" haben, wird ihn das zwingen, sich weiter zu radikalisieren (vgl. 2.).

Grüters Analyse macht vor allem die reusen-artige Struktur rechtspopulistischer Logik klar: Ist man erst mal hineingeraten, führt kein Weg mehr heraus, es bleibt einem nur noch übrig, sich im Kreis zu drehen und dabei immer weiter aufzuheizen. Hat man sich dann schließlich zum "Man-wird-doch-wohl-noch-sagen-dürfen" als (Pseudo-)Weltsicht durchgerungen, kann man nicht nur jegliche Widerstände und alle Kritik locker abtropfen lassen, nein, diese können sogar noch als Futter für's eigene, "prinzipielle" Rechthaben verwendet werden, denn die Reuse (siehe Abbildung) hat mehrere Eingänge, aber keinen Ausgang. Das rechtspopulistische "Denken in der Reuse" ist - so gesehen - ein hermetisches (was erklärt, warum es so schwer ist, begabte Rechtspopulisten in einer Diskussion zu widerlegen): Der Reusenbewohner ist ebenso geschützt ("unangreifbar", weil im Besitz der "Wahrheit") wie gefangen. Alles außerhalb der Reuse wird tendenziell unsichtbar bzw. entwertet.

Selbstverständlich ist das ein sehr genereller sozialpsychologischer Mechanismus, er gilt für Scientology (wie das Paul Thomas Anderson in seinem Film "The Master" aus dem Jahr 2012 so überaus klar darstellte) wie auch - und jetzt bitte nicht irritiert sein - für jegliches zur Weltsicht tendierendes Gedankengebäude, also auch bsp.weise für so anspruchsvolle philosophische Theorien wie Jacques Derridas "Dekonstruktion", Niklas Luhmanns "Systemtheorie" oder auch Theodor W. Adornos "Ästhetische Theorie". Damit will ich natürlich nicht Geert Wilders' xenophobe Tiraden "auf eine Stufe" mit Niklas Luhmann stellen (obwohl, interessanter Gedanke irgendwie) - aber eine Sogwirkung entfalten sie beide, oder?

Die rechtspopulistische Reuse freilich ist schlicht gebaut: Alltagsprobleme ("Sinti und Roma brechen in unsere Wohnungen ein!") werden so emotional wie möglich präsentiert, eine "einfache Lösung" ("Weg mit den Zigeunern!") angeboten, fertig. Die Komplexität der Welt (von "Wahrheit" fang ich jetzt mal gar nicht an) bleibt außen vor, wie praktisch! Klappe zu, Zigeuner tot, das war's, danke, dass hier endlich mal durchgegriffen wurde, nächstes Thema. Voll effektiv, das Ganze! etc.

Emotionen sind immer Grundlage und Motivation für politisches Handeln, wer etwas anderes behauptet - und das tun viele! -, macht sich etwas vor. Viele Menschen scheinen aber diese elementare Verbindung von Gefühl und politischem Handeln komplett vergessen zu haben. Speziell meine Generation (geb. 1960 - 1969), die in rechtsstaatlich relativ gesicherten, liberalen und demokratischen Verhältnissen aufwuchs, ist es gewohnt, die fdGO achselzuckend als "gegeben" hinzunehmen. Kein Wunder, denn was (für diese Generation) immer schon da war, kann schwerlich Begeisterung auslösen.

In diesem Sinn hat die Emotionalisierung bzw. Irrationalisierung der Politik durch die Rechtspopulisten etwas Gutes: Sie zwingt auch Menschen, denen Politik bisher zu "trocken / abgehoben / langweilig" etc. erschien, sich zu positionieren, denn zu einer Forderung wie bsp.weise "Todesstrafe für Abtreibungsärzte!" kann man sich ja schwerlich nüchtern und distanziert verhalten, zur Frage "Soll das Ehegattensplitting abgeschafft werden?" aber schon (im Sinne von "Was geht mich dieser Spezialistenkram an, ist mir viel zu kompliziert, am Ende kommt nichts dabei raus und außerdem betrifft es mich sowieso nicht." etc.).

Vielleicht hilft ja die konstitutive Wirrheit der Rechtspopulisten, ihre markante Kombination aus Wehleidigkeit und Aggressivität sowie ihre Neigung zu kruden Verschwörungstheorien bisher "unpolitischen" Menschen sogar, ihre Komfortzone zu verlassen, um sich die - zugegeben oft wenig unterhaltsame - Mühe zu machen, sich tatsächlich mal eine Meinung zu bilden?

Was nicht heißt, dass ich glaube, dass diese Polit-NovizInnen anschließend alle die "richtige" Partei wählen werden. Einige werden dann erst recht abdriften: in den Rechtsradikalismus nämlich.

Doch auch das hat noch einen Vorteil: Eine offen rassistische Position (à la "Die Ethnie X ist allen anderen Ethnien einfach deshalb überlegen, weil sie die Ethnie X ist. Aus dieser Überlegenheit leitet sich ab, dass alle Ressourcen stets zunächst nur der Ethnie X zur Verfügung gestellt werden sollen.") lässt sich viel einfacher demaskieren als rechtspopulistische Aufgeregtheiten, die lediglich die Vorstufe einer politischen Haltung darstellen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Hetzel

Bürger, Publizist, Komponist (autonom, aber vernetzt)

Stefan Hetzel

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