Schöne Frauen

Postmoderner Alltag Erotik und öffentlicher Nahverkehr

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Jedesmal, wenn ich in der Großstadt bin und den öffentlichen Nahverkehr benutze, fällt mir als erstes auf, dass man dort viel mehr schöne Frauen trifft als in der Provinz. Grob geschätzt, sehe ich in der Großstadt zehn Mal häufiger eine Frau (egal, welchen Alters), die ich nicht nur als "attraktiv", sondern als tatsächlich "schön" empfinde.

Was einen Skandal darstellt. Für mein seelisches Gleichgewicht. Für mein allgemeines Wohlbefinden. Für meine moralische Integrität.

Denn was bewirkt der Anblick schöner Frauen bei einem heterosexuellen Mann durchschnittlichen erotischen Empfindungsvermögens? Er kommt durcheinander, fühlt ein diffuses mentales Brennen und eine aufdringliche körperliche Angezogenheit. Aber das Schlimmste ist: seine Wahrnehmung ändert sich.

Konnte ich vorher noch meine visuellen, auralen, olfaktorischen und taktilen Eindrücke mehr oder minder beschaulich vor mich hin sammeln und sogar gelegentlich sortieren, macht dies nun ruckartig einer dramatischen Fokussierung auf ein Objekt Platz. Ruppig wird alles Kontemplative von einem dringenden Bedürfnis aus der, hm, Köpermitte verdrängt. Dafür schäme ich mich. Dann schäme ich mich dafür, dass ich mich dafür schäme. Dann fangen diese beiden Gefühle an, in meinem Kopf gegeneinander Pingpong zu spielen. Mindestens fünf Sätze lang.

Es ist ein Desaster.

Die ständige Präsenz hochgradig begehrenswerter Frauen kränkt mein männliches Besitzstreben in unerträglicher Weise. Glücksmöglichkeiten ziehen an mir vorbei wie weiland vor dem gestressten Showkandidaten auf Rudi Carrells "Laufendem Band". Hormonell nachhaltig verstört, muss ich sogar aufpassen, dass mir nicht der Speichel in langen zähen Fäden aus dem halboffenen Mund auf die ausgebeulte Hose tropft.

Das ist schlicht entwürdigend.

Der Versuch, diese Problematik heterosexuellen Frauen zu kommunizieren, erzeugt im Wesentlichen 4 verschiedene Reaktionen:

  1. Feministisch fundierte Entrüstung: "Frauen im öffentlichen Nahverkehr wollen nicht angestarrt, sondern in Ruhe gelassen werden. Sie haben ein Recht auf Distanz, merk dir das mal, Alter!"
  2. Empathiefreies Unverständnis: "Das sagst du doch jetzt nur, um dich interessant zu machen / mich ins Bett zu kriegen / dein Ego zu pinseln etc."
  3. Mitleid, das allmählich in Verachtung umschlägt: "Echt? Schlimm ... aber eigentlich verstehe ich jetzt nicht, wieso das ein Problem sein soll, also echt jetzt."
  4. Spott und Hohn: "Ja mein Gott, musst du auch immer so in dich hineinhorchen!"

Der nie abreißende Anblick schöner Frauen jeglicher ethnischen Herkunft, aus allen gesellschaftlichen Schichten, verletzt meine Gefühle als intakter heterosexueller Mann. Es gelingt mir nicht mehr, "ich selbst" zu bleiben. Ich werde biologisch gezwungen, mein Verhalten zu ändern, werde zum Hanswurst, zum Alleinunterhalter, zum Angeber, zum Macker.

Dabei reicht mir mein Vollbart eigentlich vollkommen aus.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Stefan Hetzel

Bürger, Publizist, Komponist (autonom, aber vernetzt)

Stefan Hetzel

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